Gesicht und Gesichter – Die Burg Beeskow zeigt Helden und »Helden« aus der DDR

Die Leute vom Kunstarchiv und von der Burg sind Idealisten, aber nicht von gestern. Zwanzigster Jahrestag, sechzigster Jahrestag – wenn eine Kampagne »die Öffentlichkeit« bewegen soll, fällt auch ihnen etwas ein. Das kann jeder verstehen, wie er will. Rohstoff ist da. 

Es kam den Ausstellungsmachern darauf an, Künstler unterschiedlicher Generationen und Werke aus den vier Jahrzehnten der DDR vorzustellen, aber auch unterschiedliche Bildnisse hinsichtlich des Alters, der Rolle und der Haltung der Dargestellten. Zugleich suchte man nach weniger bekannten, in einigen Fällen unfertigen Arbeiten. 
Aus 300 Werken wählten die Macher um die Kuratorin Simone Tippach-Schneider aus, was ihnen interessant und doch repräsentativ schien. Immerhin konnten sie davon ausgehen, dass beim künstlerischen Porträt in der DDR stets auch die Auseinandersetzung mit dem Menschenbild in der Gesellschaft eine wichtige Rolle spielte. 
Was hatten die Künstler gewollt? Nach Auffassung der Autoren war für die Mehrzahl der Künstler das Porträt nicht vordergründig von Interesse, weil sie den »neuen Menschen« entdeckt hatten oder ihn erziehen und ehren wollten, sondern weil durch die Demonstration am Menschen die Resonanz von Kunst verstärkt wurde. In der Kunst der DDR existierte ein tiefes Vertrauen in die Ausdruckskraft der menschlichen Gestalt, das bei allen Widersprüchen und Rückschlägen nie verloren ging. Vorherrschend war die Gewissheit, dass sich die alltäglichen wie die großen Probleme noch immer am eindringlichsten »cum figuris« schildern lassen. Daher stand auch die Intention im Mittelpunkt des Porträts, etwas vom Menschen zu erzählen. 
Ohnehin kommen die Besucher nicht wegen eines repräsentativen Querschnitts, sondern um zu sehen, was da ist und was sie wiedererkennen. Bewusst ist ihnen die Epoche der DDR, ob mit Sympathie oder ohne. Was anzieht, sind die Gesichter, die Haltung, auch der Bildhintergrund. 
Kaum wahrnehmbar hat Tippach-Schneider doch einen formalen Aspekt befolgt: fast von jedem Jahr der DDR, von 1951 bis 1988, ist ein Porträt ausgestellt, dabei von jedem Künstler nur ein Werk. Bei unterschiedlichster Gestaltung kann der Besucher irgendwie den Spuren der Zeit folgen, etwa: wer war wann interessant? Er begegnet Werken bekannter Maler und Bildhauer der DDR wie Gudrun Brüne, Hermann Bruse, Fritz Cremer, Petra Flemming, Wieland Förster, Ulla Gottschalk-Walter, Waldemar Grzimek, Joachim Jastram, Ronald Paris, Wilhelm Rudolph, Rolf Schubert, Gustav Seitz, Christoph Wetzel, Norbert Wagenbrett, Walter Womacka und Heinz Worner. Man sieht Porträts von den Aktivisten Hilde Müller, Erika Steinführer, Rückert und Meister Schuchna, von den Ärzten Theodor Brugsch und Dr. A., von Walter Ulbricht, Johannes R. Becher und Max Suhrbier, von Brecht, Eisler, Busch und Seghers, von Richard Christ, Simone von Zglinicki und Christian Grashof und anderen interessanten Leuten. Nach guter Beeskower Gewohnheit wird jedem Bildnis eine Schrifttafel zugesellt, die etwas über den Künstler, den Hintergrund der Entstehung des Werkes und die Stellung des Porträtierten sagt. Zu jedem Werk gibt der Katalog eine tiefgründige Beschreibung – eine Leistung für sich.
Was sind nun Helden auf Zeit? Im Katalog gehen die Autoren wie selbstverständlich von dem Postulat aus, dass aus dem Sozialismusversuch der DDR nichts werden konnte und dass – sehr verkürzt gesagt – auch ihre vermeintlichen Helden nicht bestehen konnten, jedenfalls wenn sie sich mit dem Staat identifizierten. Entweder waren sie falsch, nach rein propagandistischen Gesichtspunkten ausgesucht, oder sie waren in Wahrheit keine Helden – denn wofür? – oder selbst bei bester subjektiver Haltung und achtenswerter Leistung haben sie sich für die falsche Sache eingesetzt und damit ihre Vorbildrolle logischerweise oder sogar berechtigt eingebüßt. Das Bild stimmt allenfalls, wenn man den sozialistischen Weg der DDR und ihres Volkes in Bausch und Bogen als verfehlt und zum Scheitern verurteilt abtut. Das ist, auch wenn den Autoren daran nicht gelegen sein sollte, sowohl undialektisch als auch ahistorisch. So gesehen hätte auch Jesus Christus seine Mission von vornherein bleiben lassen können, denn seine Hinrichtung blieb ihm nicht erspart. Dennoch sagen Millionen Gläubige und große Kirchen, dass sein Opfergang nicht vergebens war. Seine Lehre sei wahrhaftig und beispielhaft. 
Ihre Interpretation verstellt den Wissenschaftlern den Blick dafür, das Auf und Ab der gesellschaftlichen Entwicklung und ihrer Reflexion in der Kunst wahrzunehmen. Es gab nicht nur den geistigen Aufbruch der Befreiung von der faschistischen Ideologie, sondern auch die spürbare Verbesserung des Lebensstandards im Wege des antifaschistisch-demokratischen und sozialistischen Aufbaus. Zumindest gebietet die wissenschaftliche Neugier, danach zu fragen, was war denn Neues und was war ein Irrtum? Dem Historiker konnte auffallen, dass Hermann Bruse 1951 den Elektriker Horst Markert aus dem Transformatorenwerk Oberschöneweide malte und ihn überzeugte, in die SED einzutreten. Sein Porträt hat den Titel »Schweißer Umara« (nach einem sowjetischen Vorbild benannt). Markert blieb nicht ein Mitläufer aus Gefälligkeit, sondern wurde später zum Parteisekretär gewählt. So erging es auch dem Schlosser Willi Pöland aus dem VEB Bergmann Borsig. Ewig ein Meckerer, war er eines Tages APO-Sekretär. Diese Arbeiter wollten – man glaubt es heute kaum – den Sozialismus. Die DDR war ihr Staat. Ob sie bei dieser Überzeugung blieben, will heute keiner mehr wissen. 
Postulat und eigener Eindruck sind zweierlei. So bleibt fraglich, ob der Betrachter sich mit dem »Grundkonflikt einer Gesellschaft, dem Konflikt zwischen Individuum und Kollektiv« konfrontiert sieht, wie es im Katalog heißt, oder mit mehr oder weniger interessanten Menschen, mit denen er etwas Gemeinsames oder an denen er etwas Abstoßendes entdeckt. Die Bildwerke zeigen Aufbruch, Selbstbewusstheit, Offenheit, Nachdenklichkeit, Resignation, Ernüchterung und Widerspruch. Es sind sowohl Helden des antifaschistischen Widerstands und Aktivisten des Aufbaus, als auch Außenseiter und Skeptiker. Was nicht vorkommt, sind militärische Helden! Held auf Zeit oder auf Dauer – das Werk spricht den Betrachter an oder es lässt ihn kalt. Beobachtung am Rande: Wovon nicht gesprochen wird, ist, ob die Künstler in der DDR von ihrer Kunst leben konnten. Es wird als selbstverständlich vorausgesetzt. Sonst hätte es die Auftragskunst nicht gegeben. 

Helden auf Zeit. Porträts aus dem Kunstarchiv Beeskow, Burg Beeskow, bis 20. Juni 2010. Geöffnet Dienstag bis Sonntag: Oktober bis März 11 bis 17 Uhr, April bis September 10 bis 20 Uhr. www.kunstarchiv-beeskow.de

Erstveröffentlichung in junge Welt vom 28.11.2009.
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