Ganz allein sitzt die Kleine bei nasskaltem Wetter auf der Schaukel. Die Zirkuskünstlerin Patty nimmt sie mit in ihren Wohnwagen. Ihr Hund taucht von alleine wieder auf, die Eltern der Kleinen bleiben verschwunden. Nichts ist mehr wie es war für die kleine Wanderbühne, mit der Patty und ihr Ehemann Walter durch Italien ziehen. Aia heiße sie, sagt das etwa 2-jährige Mädchen. Eine Koseform für Asia, vermutet Patty und nennt „La Pavellina“, das Mädchen, von nun an so. Ihr Ehemann Walter fürchtet die Polizei und die Kosten, welche ein Kleinkind verursacht. Doch das zutrauliche, lächelnde Mädchen bezaubert auch ihn. Großeltern, Zieheltern und Tante und Onkel in einem werden Patty und Walter für Asia. Ihr junger Neffe Tairo wird ihr liebevoller großer Bruder. Bevor sie es bemerken, wachsen die vier zu einer unkonventionellen Familie zusammen. Doch für eine Adoption kommen und Patty und Walter nicht in Frage. Den Zieheltern steht eine schwere Entscheidung bevor.
Was man findet, kann man behalten. Ohne es sich ganz einzugestehen handelt Patty nach dem Kinderspruch. Vielleicht zeigen Tizza Covisund Walter Frimmel die Geschichte um „La Pavellina“ daher im Wettbewerb der Berlinale Generations. Explizit auf ein Jugendpublikum ausgerichtet ist ihr Film nicht, doch mit seiner unbedarften Herangehensweise kommt er besonders kindlichen Zuschauern entgegen. Eine kleine Waise wird von Zirkusleuten gefunden. Unter deren Schroffheit verbirgt sich tiefe Herzlichkeit. Der Ehemann ist erst skeptisch, doch er und seine Frau haben „La Pavellina“ schnell ins Herz geschlossen. Mit dem kleinen Mädchen ziehen sie los, in ein nicht immer leichtes, doch spannende Leben auf der Landstraße. Märchenhaft schön klingt die Geschichte. Zu schön, um wahr zu sein. Wie viele Kinder haben sich das nicht gewünscht? Dass die Eltern, die immer schimpfen, schreien oder noch schlimmer einen gehen lassen. Und dann findet einen ein Zirkus und man wird Artist oder Löwenbändiger. Sogar mit den paar Ziegen von Patty und Walter wäre man zufrieden gewesen. Doch so einfach, wie es der Film darstellt, ist die Aufnahme eines Findelkindes nicht, weder für die Eltern, noch das Kind selbst.
Nie scheint „La Pavellina“ unter dem Verlust ihrer Eltern zu leiden. Zu der ihr völlig fremden Patty fasst die kleine Asia sofort Vertrauen. Patty behauptet, die Mutter würde Asia nicht finden wollen. Doch wie sollte sie, wenn die Kleine im Wohnwagen quer durch Italien reist? Und was ist mit dem Vater, Großeltern oder anderen Verwandten, die womöglich gar nicht wissen, dass die Mutter Asia verlassen hat? Unterschwellig scheint Patty Asia nie zu ihrer Familie zurückbringen zu wollen. Sieht die kinderlos gealterte Frau ihn dem Findelkind ihre letzte Chance auf ein eigenes Kind? Glaubt sie – womöglich aufgrund persönlicher Erlebnisse – Asia habe es in der eigenen Familie oder im Heim schlechter als bei ihr? Den Grund für dafür zeigt das Regie-Duo nicht. Nicht nur das Pattys Verhalten kriminell ist, tut „La Pavellina“ mit einer Randbemerkung ab. Der Kinderfilm ignoriert die Frage, ob Patty selbst überhaupt zur Mutter geeignet ist. Mehrfach schlägt sie ihren Hund. Kein Wunder, dass der weggelaufen ist.
Halb dokumentarisch, halb fiktiv sind die nachgestellten Szenen, in welchen die Protagonisten ihre tatsächlichen Erlebnisse um „La Pavellina“ darstellen. Bezeichnend für Covis und Frimmels Werk ist, dass es trotz der dokumentarischen Inszenierung nicht als Dokumentarfilm erscheint. Zu zu malerisch, zu harmlos ist alles, was sich auf der Leinwand ereignet. Für sich genommen könnte die Handlung einem fiktiven Kinderfilm entstammen. Die Romantisierung beraubt das Thema auch seiner Eindringlichkeit. Die echte „La Pavellina“ hat Glück gehabt. Ausgesetzte Kinder sind Italien keine Seltenheit. Zirkusfamilien, die sich ihrer annehmen, hingegen schon.
Titel: La Pavellina
Berlinale Generations
Land/ Jahr: Österreich/ Italine 2009
Genre: Semi-Dokumentarfilm
Regie und Buch: Tizza Covi, Rainer Frimmel
Darsteller: Patrizia Gerardi, Asia Crippa, Tairo Caroli, Walter Saabel
Laufzeit: 100 Minuten
Bewertung: * *