Eva Menasse: „Georg Kreisler hatte damals gerade einen offenen Brief an die Republik Österreich geschrieben, wonach er sich offizielle Glückwünsche zu seinem bevorstehenden 75. Geburtstag verbat. Wir müssen das als eine typisch Kreislersche paradoxe Intervention verstehen. In Österreich wurde er, solange er aktiv auftrat, über Jahrzehnte ignoriert, das heißt selten bis nie engagiert, er selbst ist sogar überzeugt, er sei aktiv verhindert worden. So etwas läßt sich in Österreich zwar nie beweisen, als gebürtige Wienerin glaube ich es aber sofort.
Mit diesem ungewöhnlichen Brief also rief er ganz laut in eine Grabesstille ’Laßt mich dann übrigens auch zum Geburtstag in Ruhe’, da wachte die so berechenbare Journalistenmeute auf – darunter leider auch ich – und wollte sich den störrischen Jubilar als ’Story’ einverleiben.“
Daß sie bei ihrem Interview auf einen schlecht gelaunten Kreisler traf, versteht sie heute und schämt sich beinahe für das Interview. Dies nun wiederum verstehen besonders gut ihre Journalistenkollegen, die wissen, wie oft sie erst dann eine aufgebauschte Sache verfolgen, die bei klarem Verstand am Anfang eine Echtheit gehabt hätte und die beiläufige Nachlässigkeit, mit der Österreichs Offizielle Leben und Werk des Exilanten nicht zur Kenntnis nehmen, hätte medial viel früher an den Pranger gehört, angefangen von der österreichischen Staatsangehörigkeit, die man ihm nicht anbot – was sich gehört hätte – sondern ihm mitteilte, er könne um diese ansuchen. Das bleibt eine Unverschämtheit.
Eva Menasse zog eine Quintessenz für Hörer: „Wer mit Georg Kreislers Werk vertraut ist in dem Sinne, dass er mehr als das ’Taubenvergiften’ kennt, der wird bestimmte Sätze und Reime nie mehr vergessen können. Das Gegenstück zum Ohrwurm der Popmusik ist Kreislers literarischer Verswurm. ’Wenn in Arabien die Zeiten besser sind, dann heißt es Bessarabien’, singt Georg Kreisler oft in meinem Kopf, wenn mich die Langeweile des Alltags zu überfluten droht, ’Wenn man Tomatensaft nur maschinell erzeugt, dann heißt er Automatensaft’. Dieses scheinbar harmlose, sprachbesessene Wort-Blödeln ist zumindest für Menschen, die mit Sprache arbeiten, ein unabdingbares Aufwärmtraining wie die Tonleitern für den Sänger.“
Aber es geht dabei nicht nur um das spielerische Blödeln, sondern um die glasklare Einfachheit, mit der er Sachverhalte als Lieder in die Welt setzt, von denen man danach glaubt, daß es sie schon immer gegeben habe: „Der Tod, das muß ein Wiener sein, genau wie die Lieb’ a Französin“ und „Dreh das Fernsehen ab, Mutter es zieht“, das sie zum Entzücken des Publikums in bester Tonqualität abspielte er und fortfuhr: „Und wenn ich Ihnen gestehe, dass zu meinen sadistischen Lieblingsphantasien ein gemeines Zitatenquiz für Literaturkritiker gehört, wem würde dann folgender Satz wohl mehrheitlich zugeschrieben:
’Ich singe Lieder in die blauwattierte Ferne, ich hänge Klagen an die pausenlose Zeit’?
Ich glaube ja, der Satz würde eher Paul Celan zugeschlagen als diesem angeblichen Kabarettisten mit der bedrohlich großen Brille, der, am Klavier sitzend, so giftig grinsen konnte.“
Warum Georg Kreisler, der gerade ob seiner sprachlich ziselierten und inhaltlich so treffenden Lieder und Gedichte bisher noch keinen der großen Literaturpreise erhielt und dieser Hölderlinpreis nun, wo er fast 88 Jahre ist, der erste ist, erklärte die Laudatorin: „Man mag das auf den ersten Blick ungerecht und unfaßbar finden, aber es scheint mir auch ein beinahe tröstliches Beispiel zu sein für die naturgegebene Unvereinbarkeit großer Kunst mit dem Zeitgeist. Die Kunst stört die Menschen und kommt deshalb immer zu früh, nämlich dann, wenn die sich gerade erst an das gut Abgehangene gewöhnt haben. Für Georg Kreisler gilt das in allen seinen Schaffensperioden.“, von denen die mit der Schublade „Schwarzer Humor“ die beliebtesten bleiben, auf die die Enthusiasmierten Kreisler gerne ein Leben lang verpflichtet hätten.
„Kreisler war da längst woanders und weiter, bei den „Seltsamen Gesängen“, den „Seltsamen Liebesliedern“ und den „Nichtarischen Arien“, die allesamt literarisch hoch anspruchsvoll sind. Das Kunststück, das er in seinen besten Liedern vollbringt, durchzieht ja alle Ebenen, die musikalischen und die literarischen. Zuerst ist da natürlich die charmante Musik, das perfekte Schmiermittel, das einem hinterhältig das Herz öffnet. Die Musik ist aber genauso Ablenkung wie Kreislers vielgerühmter Humor. Denn wie jeder, über dessen Kunst man mehr als zweimal lachen kann, ist Georg Kreisler in Wahrheit kein lustiger, sondern ein tieftrauriger Künstler. Denn der echte Witz dient in der Kunst ja ausschließlich dazu, die Menschen weich und offen zu machen, damit sie sich überhaupt von irgendeinem Gedanken berühren lassen.“
Eva Menasse sprach so eindringlich und aufklärerisch über das Künstlerische am völlig ungekünstelten Georg Kreisler, daß wir ihr und ihren Originaleinspielungen von Kreisler noch lange hätten zuhören wollen, aber sie nicht länger zitieren können, denn der Preisträger hatte auch noch etwas zu sagen. Und wie. Denn nichts Abgeklärtes und Geschöntes kam als Dankesrede, sondern eine große Gelassenheit und intellektuelle Schärfe, mit der Georg Kreisler zielsicher den Finger in die Wunden unserer Zeit legte, gleichwohl die Hauptrolle seinem Verhältnis zu Hölderlin zukam. Ihn selbst habe im Exil dessen „Doch uns ist gegeben, auf keiner Stätte zu ruhn“ begleitet und sei ihm auch heute nicht fremd. Hölderlin habe Wesentliches auch zur Frage der Kritiker gesagt.
Launig ging Kreisler den sanktionierten deutschen Großkritiker Reich-Ranicki an, der gleichermaßen Hölderlin und ihn kritisiert habe und antwortete mit Hölderlin: „Was aber bleibt, stiften die Dichter“ und sprach damit den ewigen Zwist zwischen den schöpferisch Tätigen an und denen, die vom Schreibtisch aus deren Werke beurteilen und oft verurteilen. Auch wenn Kreisler dies nicht weiter ausführte, kam einem beim Zuhören sofort die Erkenntnis, daß in der öffentlichen Wahrnehmung längst eine Schieflage eingetreten ist, zwischen den Erzeugern von Worten und ihren Aburteilern.
Der Denker und Dichter Hölderlin auf jeden Fall habe sich nie angepaßt und sei seiner eigenen Kunst verpflichtet geblieben. Im Vergleich mit dessen Existenz bedauerte Kreisler fast, daß er zum Lebensunterhalt einen Ausweg als Entertainer gefunden habe. Das aber nun begeistert wiederum das Publikum, daß Kreisler gezwungen war, sich auf das Feld der musikalischen Kommentierung unserer Lebensverhältnisse zu begeben. Und so ist es schon ganz richtig, daß Eva Menasse dem Jubilar ins Stammbuch schrieb, mit seinen Liedern pfleglicher umzugehen, will sagen, endlich auch als Verfasser und Interpret seiner Werke diese in der Qualität zu schätzen, wie es das Publikum dankbar entgegennimmt und Georg Kreisler und seine Lieber liebt.
Das konnte Georg Kreisler nicht versprechen, aber seine scharfsinnigen und pointiert vorgebrachten Analysen zeigen, der Körper ist bald 88 Jahre, aber der Geist ist nicht nur wach, sondern reagiert sensibel auf uns und unsere politischen und persönlichen Verhältnisse. Wir können seine Reflexionen auf unser Leben in Liedern und Gedichten weiter noch sehr gut brauchen! Und er? Georg Kreisler sieht den Boden für schöpferisches Tun nicht gut bestellt, sehr mühsam sei das Geschäft, „wie Ameisen, die über ihre Gärten nicht hinauskommen“. Aber es gäbe Inseln, von denen wiederum steinige und liebliche. „Der Hölderlinpreis ist eine liebliche Insel!“ schloß der Preisträger Georg Kreisler, dem ein langanhaltender Applaus folgte.
Bisherige, uns bekannte Kreislers in Buch-Form. Eine vollständigere Version einschließlich der CD-Aufnahmen folgt in Artikel 3/3.
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Georg Kreisler, Der Schattenspringer, Edition DIA 1996
Georg Kreisler, Ist Wien überflüssig? Satiren über die einzige Stadt der Welt, in der ich geboren bin, Ueberreuter 1987
Georg Kreisler, Mutter kocht Vater und andere Gemälde der Weltliteratur, Buch- und Schallträger-Verlag Wien o.J.
Georg Kreisler, Zufällig in San Francisco. Unbeabsichtigte Gedichte, Verbrecher Verlag 2010