Erdbeben spüren und alte Mosaike finden in Rom – Serie Rom (Teil 1): Von Zufällen in der alten Römerstadt, dem Haupt der Christenheit vor Ostern

An einem Sonntagnachmittag, der erste richtig heiße Tag, Anfang April, wo die Bewohner Roms noch in Stiefeln und pelzbesetzten Mänteln spazierengehen, fällt am Giardino Piazza Vittorio die dichtgedrängte Menge auf, die alle Bänke – eine Besonderheit in Rom: bei rund jeder vierten Holzbank ist eine Strebe durchgebrochen – besetzen und ihr Gesicht der Sonne entgegenstrecken. Hier, so dicht am Bahnhof, sind keine Touristen vorhanden, nur die Anwohner haben sich eingefunden, noch dazu die meisten mit Kindern, die mit Lust, wie sie nur Kinder haben, die Schaukeln von den Eltern so bedienen lassen, daß sie hoch in den Himmel fliegen. Vor Lust kreischen sie und – man mag es nicht glauben – Koreaner, Japaner, Philippinen in der Mehrzahl. Von ihnen schieben zwei wohlbeanzugte Väter ihre kleinen Jungen im Kinderwagen, heben sie in die Schaukel, geben den Schubs, der die Kleinen in die Luft fliegen läßt, die Tasche mit dem Laptop über dem Arm. Auf den Straßen dann sieht man die Italiener, die heute alle irgendwo den Palmsonntag begangen haben, denn sie selbst, aber auch die Straßen sind voll der Zweige.

Jetzt auf dem Weg zur Oper – denn die Römische hat Erstaunliches vor. Bald gibt es zum Hundertsten des Futuristischen Manifestes eine musikalische Hommage und ab Dienstag werden ebenfalls die hundert Jahre alten Aufführungen „Die russischen Ballette“ gegeben, nämlich die Stücke, die Sergej P. Diaghilev 1909 für das Pariser Chatelet in Ballettszene gesetzt hatte und die nun als Hommage an ihn in seiner Lesart aufgeführt werden. Vielleicht. Denn ein Streik droht. – jetzt also auf dem Weg zur Oper haben wir uns verlaufen und sind bei Santa Pudenziana gelandet. Dort laufen die meisten vorbei, weil sie nicht wissen, was sich unter ihnen tut. Denn diese Kirche ist so alt, daß man eine doppelläufige Treppenanlage hinuntersteigen muß, um zum Eingang zu gelangen. Wir sind hier tatsächlich auf der Ebene des antiken Roms, denn der Höhenunterschied zur Straße liegt am Kulturschutt, der sich über die Jahrhunderte durch Häuser- und Straßenbau angesammelt hat und den man von der ehrwürdigen Kirche fern gehalten hat. Denn die ist eine der ältesten der Stadt und besitzt das älteste Mosaik. Ob es wirklich schon aus dem 4. Jahrhundert stammt? Dem Jahrhundert, in dem 313 erst durch das Toleranzedikt von Mailand durch Kaiser Konstantin die Christen nicht mehr verfolgt wurden, also legal ihrem Glauben nachgehen durften und Ende des Jahrhunderts das Christentum von Kaiser Theodosius 1380 durch das Edikt cunctos populos sogar zur offiziellen Staatsreligion aufstieg.

In der Apsis sitzt – so wie in byzantinischen Malerei – Christus auf dem Herrscherthron, aber hier hat er weder Weltkugel noch den Segensgestus, hier lehrt er aus dem aufgeschlagenen Buch in der Linken. Die ihm zuhören, rechts und links verteilt, sind die Apostel und Frauen, hinter ihm durch Arkaden eingesäumt erscheint das himmlische Jerusalem und darüber tauchen die Evangelistensymbole auf. Man sieht vor allem einen gewaltigen Lukasstier, aber auch noch den erhöhten Löwen des Markus. Man sieht auch die weiblichen Verkörperungen der Kirchen vor und nach dem jüdischen Gottesbegriff, Paulus stellt die Verbindung zur heidnischen Kirche her und Petrus den zur jüdischen. Erst später werden in der Zweiteilung die Kirchen symbolisiert, die vor und nach Christus heilig sind: die jüdische und die christliche.

Die Farben der Mosaike sind eher Ton in Ton, allein Christus ragt nicht nur durch den Sitz auf dem Thron hervor, sondern ebenso durch seine goldglänzenden Mosaiksteinchen, den Tesserae. Das Mosaik ist sehr malerisch gestaltet, mit gleich großen Figuren, nicht von der formalen Strenge und späteren isokephalen Ausrichtung der Mosaiken von Ravenna zum Beispiel. Dies sei die älteste figürliche Darstellung, die noch erhalten ist und aus einer Zeit zudem, wo aus den abstrakten Gotteszeichen erstmals Figuren das göttliche Heil in den aufkommenden Kirchen verbreiten, denn Figuren können Geschichten erzählen, die die damaligen Menschen lesen lernten, was heute den meisten wieder unbekannt wurde.

Warum hier und warum Santa Pudenziana? Dazu gibt es die christliche Legende, daß Apostel Petrus in Rom im Haus des Senators Pudens oder Pudentius gewohnt und die ganze Familie zum Christentum bekehrt habe, was durch die Taufe besiegelt wurde. Aus Dank seien die Kirchen gestiftet worden, denn die der zweiten Schwester Praxedis liegt dicht hinter Santa Maria Maggiore in der Nähe: Santa Prassede. Und so führt der Zufall zur Konsequenz. Denn vor der Oper muß nun auch diese Schwester besucht werden. Die versteckte Kirche hat eine sehr ehrwürdige Atmosphäre und ist voll von Mosaiken, die allerdings durch den rücksichtslosen Einbau der Barockarchitektur schwer einsehbar sind. In der Apsis stehen statisch und in exakt gleicher Höhe zwei Figurengruppen mit je drei Personen. Es sind die Aposteln Peter und Paul, die je eine Schwester und den Heiligen Zeno und Papst Paschalis zu Christus führen, der überdimensioniert in Bedeutungsperspektive in der Mitte aufrecht steht. Der Papst was Stifter dieser Kirche und der Mosaike, die an den Anfang des 9. Jahrhundert gehören und denen er kunsthistorisch seinen Namen gab: das Paschalische Zeitalter.

Unter den Figuren ein Lämmerfries in gleicher Gestaltung von rechts und links kommend. Sowohl auflockernd wie auch durch das Ebenmaß geglättet, formal. Auf dem Apsisbogen dann erkennt man ganz oben das Lamm, das Bezug nimmt auf die Offenbarungen des Johannes und mit ihm symmetrisch angeordnet viel himmlisches Personal. Der Triumphbogen wiederum, der den Altarraum oben von der Kirche für jedermann abtrennt, zeigt, wohin die christliche Reise gehen wird: das himmlische Jerusalem. Hier leuchtet es in allen Farben, denn zugleich mit der Ebenmäßigkeit und starren Gestaltung der Figuren haben die Farben Einzug gehalten: Gründ und Blau bevorzugt, viel Weiß, Purpur für besonders Heiliges. Dies nun spiegelt sich in der kleinen Kapelle des Zeno, die Papst Paschalis seiner Mutter als Grabbau errichten ließ und in einer üppigen Fülle von sehr kleinteiligen Mosaiken ausgestalten ließ. Ein Kleinod, weil nicht die Erhabenheit hier zum Ausdruck kommt, sondern durch die Nähe und Intimität der christliche Glaube als Stütze für den Menschen erklärbar, ja sichtbar wird. Die Kuppeldecke ist kunstvoll gestaltet durch vier Trägerinnen, die in der Mitte das Christusbild stützen, das den Gottessohn ebenfalls in byzantinischer Manier und gemäß altem Testament mit der Schriftenrolle zeigt. Mit den Karyatiden sind geschickt die Grate der Wölbung verdeckt, diese selbst stehen zudem auf den korinthischen Kapitellen, die als Stützpfeiler hier dekorative Funktion haben. Die gesamte Kapelle ist in den blaugrünweißen Farben gestaltet, wobei das Gold nur so glitzert, hier kann man die Geschichten der sich ausbreitenden Religion an Ort und Stelle erzählen. Wir aber müssen nun endlich zur Oper und darum diesmal Santa Maria Maggiore buchstäblich links liegen lassen, die die älteste und größte der über 80 Marienkirchen in der Stadt ist und zudem eine der vier Patriachalbasiliken neben Sankt Peter, Paul und Johannes – wo eine Türe verschlossen bleibt und nur jeweils zum Heiligen Jahr geöffnet wird – und eine der sieben Pilgerkirchen, die jetzt zu Ostern den Ansturm erleben. Neben den vier Genannten sind dies San Lorenzo, San Sebastiano und Santa Croce.

P.S. I. Die Italiener sind sehr gastfreundlich. So gibt es in Rom an vielen Stellen den freien Internetzugang über W-Lan: Free Public WiFi. Allerdings funktioniert der immer nur 15 Sekunden, denn man muß sich erst registrieren, um länger den freien Zugang nutzen zu können. Dies allerdings gelang trotz italienischer Hilfe nicht, denn es sind derart viele Felder auszufüllen, die zudem in einem Zeitraffer auch noch telefonisch bestätigt werden müssen, daß jeder Versuch mit einem Mißerfolg endete. Schade, denn die Idee ist gut, allein die typisch italienische Art des bürokratischen Hürdenaufbaus verhindert den Erfolg. Wie oft.

P.S. II. Auch heute war sie wieder da, den dritten Tag. An der rechten Ecke von Santa Maria Maggiore direkt vor dem Touristenkiosk residiert eine Deutsche. Sie führt mit sich ein etwa einen Kubikmeter beladenes Wägelchen, in dem wohl ihre Habe transportabel untergebracht ist, einschließlich eines Stuhles, den sie hier nicht braucht, weil sie sich auf dem Gestänge daneben niedergelassen hat. Und schimpft. Auf Deutsch. Sie schimpft über die Männer, vor allem über die Männer, von denen sie noch nie Gutes erfuhr und die ihr gestohlen bleiben können. Sie schimpft auch auf anderes, aber immer wieder werden zum basso continuo diese verfluchten Männer. Zwischendurch kämmt sie sich oder ißt. Sie ist ganz in Schwarz gekleidet, Hose und Pullover, hat eine kinnlange Frisur und sieht nicht so aus, als ob sie Tag und Nacht auf der Straße lebe, was sie aber tut. Hilf, Himmel, hilf.

Mit freundlicher Unterstützung von Enit Deutschland, Frankfurt.

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