Sizilienreisende wählen meist die vom Tourismus überlaufenen 0rte. Wohltuende Alternativen im Südosten der größten Insel des Mittelmeers erkunden wir in unserer 4-tägigen Reise durch die Provinz Ragusa. Die „Associazione Culturale Glocal“ , finanziert vom FEASR (dem europäischen Fonds zur Entwicklung des ländlichen Tourismus) hat dieses Projekt ins Leben gerufen.
Im Verwaltungsdistrikt Val di Noto – einem von insgesamt dreien – wird ursprünglicher Agritourismus groß geschrieben. Sportlichen Aktivitäten sind Trumpf, bei denen es gilt, historische Schätze zu entdecken, wie die Sarazenen-Alarmkette der Normannentürme oder auch das Tal der hundert Höhlen, in denen zuletzt Pasolini und seine Clique weilten.
Bei guter Sicht mit Blick auf den Ätna und auf Malta sind Honigproduktion, Kaktusplantagen, große Bauernhöfe, Herstellung vom berühmten Ricotta DOP, einem Frischkäse, mediterrane Köstlichkeiten zu entdecken – hier wird Reisenden Genuss für alle Sinne geboten!
Typisch für die Region ist auch der 10 bis 20 m hohe Johannisbrotbaum mit seiner bis zu 15 m großen Krone, aus dessen 10 bis 30 cm langen, schokoladenbraunen Hülsenfrüchten Saft, Sirup, Kaftanhonig oder Karob-Pulver gewonnen wird, welches zur u.a. Eis-Herstellung verwendet wird: gelato di carrubo! Carrubo ist auch als Medizin verwendbar bei Halsschmerzen in Bonbonform. Außerdem sagt man dem Carubin auch noch Hilfe bei Verdauungsstörungen, Diabetes, erhöhtem Cholesterin und Fettsucht nach. Die alten Ägypter nutzten es auch zur Mumifizierung ihrer Toten. Zurück zu den Lebenden:
Marina di Ragusa

Schwarze Immigranten verkaufen Schmuck in der Altstadt. Die blaue Flagge, Zeichen für optimale Wasserqualität, findet sich überall entlang der Küste des Val di Noto. Simone, einer unserer Gastgeber vom „Glocal“ erzählt mit den typischen sizilianischen Handgesten ganze Romane und präsentiert uns Delikatessen: „Ragusano DOP“-Käse (Caciocavallo ragusano), Provola fresca siciliana-Käse, Peccorino siciliano mit rotem und schwarzem Pfeffer sowie Pistazien, Cannolo (mit Ricotta gefüllte, frittierte Teigrolle) und Arancino (frittierte, gefüllte Reisbällchen) lauten neben anderen die typisch sizilianischen Gaumenfreuden des ersten Tages. Nicht zu vergessen der Vino bianco und rosso des Ätna, in dem man die Lavaerde tatsächlich zu erschmecken glaubt. Sizilianisches Bier entdecken dann die Nachtschwärmer unserer Gruppe in der „Light-my-fire“-Bar in Marina di Ragusa.
Monte Iblei – Hybläische Berge

Modica, Unesco-Weltkulturerbe – spätbarocke Stadt des Val di Noto

Unser Guide Salvatore, der auch ein paar Worte Deutsch spricht, erzählt und von der wechselvollen Geschichte, in der sich Griechen, Römer, Araber und Normannen gegenseitig das Szepter aus der Hand rissen. 1693 zerstörte ein schweres Erdbeben die Stadt und sie wurde im Stil des sizilianischen Barocks wieder aufgebaut. San Giorgio (St. Georg) und San Pietro (Hlg. Petrus) heißen die beiden rivalisierenden Kathedralen der Stadt, deren auf die Berge hingegossene Schönheit der Architektur nicht zu enden wollen scheint beim Gang von der Ober- zur Unterstadt. Im Dom San Giorgio (12. Jh) , in den ein 250-stufiger Treppenaufgang führt, befindet sich – neben anderen schönen Pretiosen – eine Sonnenuhr, die das Datum anzeigt durch den variierenden, sich ins Dominnere bahnenden Lichtstrahl der Sonne.
San Pietro imponiert durch einen Treppenaufgang mit 12 Aposteln. An einem Panoramapunkt, wo ein Zeichen des jüdischen Viertels zu sehen ist, erzählt er von der grausigen Vergangenheit, als die aus Sizilien verbannte Hebräer zurückkehrten und wohl den Tag Maria Himmelfahrts nicht genügend respektierten. 300 Tote habe es gegeben und der Fluss habe sich rot von Blut gefärbt. Rhetorische Frage: „Den Sizilianern sagt man nach, sie seien heißblütig”¦.?“
Ausgeruht vom Sightseeing wird dann in der besten Cioccolateria modicana „Caffe dell Arte“ und ausgiebig Schokolade in Likör oder Tafel- oder anderer Form genossen. Schon während des Direktfluges Berlin-Catania wiesen mich meine Sitznachbarn, sizilianische Wissenschaftler, darauf hin, wie berühmt die Schokolade von Modica sei.
Scicli (sprich: Schikli), Unesco-Weltkulturerbe – spätbarocke Stadt des Val di Noto

Als „Dolce“ (Nachtisch) gibt es Cannoli, die der Hausherr von zwei Seiten her füllt, wahlweise mit Mandel-Ricotta, Pistazie oder Schokolade. Dieses wird dann noch in Pistazienraspeln getunkt. Achtung, kann süchtig machen und hat natürlich Null Kalorien! Dazu reicht er noch Cioccolata modicana als Pudding in Fischform sowie Gelo di Carrube (Johannisbrotbaum-Eis), Amaretti alla Carruba. Im Delikatessengeschäft vis-í -vis kauft unsere Gruppe ein, als ob es kein Morgen mehr gäbe – zu verlockend sind die außergewöhnlichen lokalen Spezialiäten.
Um die Gaumenkitzel noch zu toppen, begegnen wir noch Umamí¬ Tisaneria, dem Besitzer vom „Umami-Shop“, der 150 Kräuter auf seinen Ackerböden kultiviert, womit er Restaurants beliefert und ebenfalls Delikatessen wie flavour pasta und paté verkauft unweit des Tesori del Mediterraneo.
Keramikshops mit den typischen Maurenköpfen (political correct?) und anderen schöpferischen Keramikkreationen säumen den Rückweg. Wir sehen noch kurz die von der Parade übrig gebliebenen, üppigen Blumen-Pferdedekorationen, die von einem Corso zu Ehren des Heiligen Josefs stammen, der am 19. März gefeiert wurde.
Last but not least sehen wir noch in einer Kirche die „Madonna delle Milizie“, eine Muttergottes in Rüstung, wie wir sie in Nordeuropa nicht kennen: hoch zu Roß mit einem Speer in der Hand Sarazenen tötend, die damals Scicli quälten. Die Holzstatue wird jährlich im Mai in einer Prozession durch Scicli geführt.
Kakteenfarm und Agriturismo – „Vivai del Valentino Farm“ und “Dimore del Valentino”

Schwiegermütter aller Länder – vereinigt Euch! So viele „Schwiegermüttersitze“ wie hier gibt’s nirgendwo! Im Familienbetrieb wird alles gezüchtet, was Stacheln hat und kann auch im onlineshop erworben werden. „Wer einen der riesigen Schwiegermüttersitze hochheben kann, erhält ihn umsonst!“, scherzt ein Kollege.
In der Unterkunft „Dimore del Valentino“ finden sich schöne, schlichte Zimmer mitten in der Kaktusplantage mit Schwimmbecken – Erholung ist hier absolut gewährleistet (70 €/Nacht p.P.),
Radtour „3 Torri“ (3 Türme) entlang der Küste

Schon vor Christus besiedelt, folgte eine griechisch-römische Epoche, übernommen von den Normannen im Königreich Sizilien. Um 1600 bauten diese ihre Abwehr- und Schutzkette an Türmen gegen nordafrikanische Piraten: den Torre (Turm) Vigliena, in Sichtweite des Torre di Pietro, dieser wiederum in Sichtweite des Torre di Mezzo. Zusammen mit dem Torre Scalambrina in Punta Secca, dessen Reste wir im weiteren Verlauf unserer 12 km Radtour besichtigen können, entstand so eine Signalkette bei Überfällen, bei der mit Rauchzeichen die jeweiligen Nachbartürme informiert wurden. In Punta Secca gibt es noch einen schönen Leuchttum zu bewundern und verschiedene Restaurants und Cafés, darunter der „Rosengarten“. „I never promised you a rosegarden?“ Doch, es ist ein Rosengarten: wunderschön!
Francesco, einer unserer Begleiter der „Associazione Culturale Glocal“, erklärt uns, dass es insgesamt 4 Campingplätze hier gäbe, darunter auch einer der Glocal assoziiert sei. Bei vielen Deutschen seien die Campingplätze sehr beliebt. Auch ein ruhiges Bed & Breakfast mit Meerblick finden wir auf unserem Weg. Obwohl ein ordentliches Lüftchen pfeift – Levante-Est, einer von 12 Winden, die Sizilien umtosen können – ist die Tour ein Genuss – bei Sonnenschein sicherlich noch schöner!
Unsere Fahrradhelme waren keine Attrappe – „fasten your seatbelt“ könnte das Motto lauten oder auch: die Strecke ist nichts für Anfänger oder gehandicapte Senioren! Etwas Kondition sollte vorhanden sein!
Punta Secca diente auch als Filmkulisse für die italienische TV-Serie „Il Commissario Montalbano“, einem Antimafia-Inspektor. Filme mit dem Thema Mafia werden auf ganz Sizilien gedreht. Kennen Sie „Capitano Catania“ fragte mich der Berliner Taxifahrer auf dem Weg zum Flughafen. „Ein Antimafia-Kommissar-Film, dreißig Jahre alt.“ Von Mafia sehen wir jedoch weit und breit nichts, nur schöne Natur und friedliche Bürger. Die finsteren Gesellen versammeln sich dann auch wohl eher gern im Norden der Insel. Mit diesem traurigen Kapitel wird man hier jedoch in keinster Weise konfrontiert – ganz im Gegenteil: alle Sizilianer und Sizilianerinnen sind warmherzig, strahlend lächelnd und empfangen uns mit offenen Armen!
Santa Croce di Camerina

Santa Croce ist festlich geschmückt – S. Giuseppe, der heilige Josef, wird an seinem Ehrentag, dem 19.März, in ganz Sizilien gefeiert.
Die Bürgermeisterin begrüßt uns innigst: Ihre Schwiegertochter sei Deutsche! Den Bildband „Archaeotur“ mit phantastischen Bildern von archäolgischen Schätzen im Iblei und auf Malta gibt es mit auf den Weg.
Sizilianischer Käse (Ricotta und Ragusano DOP) auf Cilia’s Bauernhof

Ragusa, Provinzhauptstadt (Unesco-Weltkulturerbe) – spätbarocke Stadt
Zum Abendessen werden wir nach Ragusa-Ibla ausgeführt, ins stilvolle Hotel-Ristorante Il Barocco.
Die geschichtsträchtige Stadt sehen wir nur „by night“ im Vorbeifahren – ihre Schönheit bezaubert allemal! Der zweiteilige Stadtkern wird durch eine Schlucht getrennt. Die Unterstadt Ragusa-Ibla, wo sich auch das Hotelrestaurant befindet, bezaubert mit prächtigen Bauten im Stil des sizilianischen Barocks aus dem 18. Jahrhundert. Hier befindet sich ein großer Teil barocker Kirchen und Paläste.
Großes Kino: Im Restaurant wird „Slow Food“ Gourmet-Gemüse der Region zelebriert: große Platten für alle mit Paprika, überbacken mit Peccorino, überbackene Auberginen, gefüllte Tomaten, gefüllte Zucchini, Mören, Austernpilze. Bei der Super-Qualität wundert es nicht, dass Vorreservierungen nötig sind!
Historische Wassermühle – Mulino ad acqua Ispica

“Das Wandern ist des Müllers Lust” – vor unserer heutigen Wandertour statten wir noch Müllers Wassermühle einen Besuch ab. Beliebt bei Groß und Klein sind diese Ausflüge zur Wassermühle in der Nähe von Ispica und Modica. Die Familie Cerruto pflegt das Erbe ihrer Vorfahren, so dass in einem gut erhaltenen Museum auch heute noch begehrtes biologisches Mehl aus dem Johannisbrotbaum gemahlen wird – ein beliebtes Mitbringsel der Besucher. Ein Rundgang ist mit einem Audioguide in Deutsch ist im Cavallo d`Ispicia möglich.
Parco Archeolgico di Cava Ispica – die Höhlenschlucht von Ispica

Von der Heiligengrotte „Chiesa rupestre di San Nicolo“, geht es auf Schusters Rappen über blühende Wiesen und Auen durch die breite Schlucht – vorbei an bis zu 6-etagigen Höhlenwohnungen, die sich Menschen in den Stein hineingehauen hatten, wie uns der Archeologe Allessandro erklärt. Er zeigt uns das „Gymnasium“, die Katakomben von Antoni und Larderia und führt uns in einige dieser „gastlichen“ „Apartment“-Wohnhöhlen hinein. Bis 1935 haben hier noch Menschen in den "Spaccaforno" gelebt, bevor sie ein Erdbeben vertrieb. Pasolini und seine Clique sollen hier auch eine Zeit verbracht haben, weiß Allessandro zu berichten.
Düfte und Aromen der Cava Ispica

Enzo, der im Sommer auch Gruppen í 15 Personen mit 10 €/Kopf durch die Cava führt, bläst denn auch zum Abmarsch! Weiter geht es durch die Schlucht und jetzt folgt der Teil für Fortgeschrittene. Mit wunderbarem Panoramablick durch die Schlucht geht es an den Hängen und Besichtigung weiterer Wohnhöhlen erst steil bergab und dann 30 Meter steilstens hinauf. Wieder nur für Wanderer mit Kondition! Angenehm erschöpft in den Sitz des Busses fallen und Abfahrt ins Hotel nach Marina di Ragusa sind eins!
Modica – Osteria „dei sapori caduti“

Der Besitzer ist neben dem „König der sizilianischen Originalgerichte“ auch der „König der Schokolade von Modica“, die er ebenfalls selbst produziert. Hierzu erzählt er, dass das Rezept ursprünglich von den Azteken stamme und mit Chili gewürzt wurde. Dieses diente sowohl der Kampf- als auch der Manneskraft. Heutzutage gibt es eine Vielfalt von Aromen wie Pistazie, Mandel, Orange, Zimt, Johannisbrotbaum (Carrube). Er ist auch sozial aktiv und leistet in Afrika aktive Hilfe zur Selbsthilfe, indem er und seine Tochter lehren, wie z.B. Tuch hergestellt wird. Chapeau!!!!
Infos:
Hotel, Web: http://www.andreadoriahotel.it
Anflughafen: Catania (Air Berlin Direktflug 2,5 Std.) oder Comiso (Ryanair)
Reiseführer:
ADAC Reiseführer Plus und Merian live!, Sizilien, Taschenbuch von Ralf Nestmeyer, 128 Seiten, München 2005
Unterstützungshinweis:
Die Recherche wurde unterstützt von „Associazione Culturale Glocal“, Web: www.percorsitorrieprimizie.it, Email: info@percorsitorrieprimizie.it, und Sudtourism – le vie dei sensi tra tradizione e turismo, Association to promote tourism, Via S. Anna, 141, 97100 Ragusa, Sicilia, Italia, Web: www.sudtourism.it, Email: info@sudtourisme.it