Der Ikea-Deutschlandchef zeigte sich tief betroffen und bat um Entschuldigung. Den nimmermüden Opferverbänden, Roland Jahn und Hubert Knabe genügt das nicht: sie fordern Wiedergutmachung und wollen Geld sehen. Die FDP-Bundestagsfraktion kündigte am Donnerstag eine öffentliche Anhörung zur Zwangsarbeit im DDR-Strafvollzug am 30. November an. Eine umfassende Aufarbeitung dieses Kapitels gebe es bislang nicht, hieß es. Alles gut – und schön.
Da kommt man allerdings nur schwer vorbei an dem Umstand, dass der Knacki auch heutzutage arbeiten muss. Das regelt § 41 StVollzG – Arbeitspflicht. § 43 regelt die Vergütung. Üppig ist die nicht. Bekannt ist auch, dass die Arbeit heute in den Justizvollzugsanstalten genau so rar ist wie »draußen«.
In der DDR waren die Arbeitskräfte chronisch knapp. Da ließ man auch die, die einsaßen, nicht rumsitzen. Die meisten sahen das realistisch. Zumindest meiner Mutter, in den fünfziger Jahren politischer Häftling, hat die Arbeit auf den Feldern in der Halberstädter Gegend und später im Zwickauer Knast die Beschäftigung in der Qualitätskontrolle für die Webereien geholfen, eine schreckliche Zeit zu überleben. Arbeit, besonders in der Gemeinschaft, lenkt ab vom Grübeln, man kann – wenn auch unter Aufsicht – die Wände wechseln – und kommt zu einem Taschengeld.
Mehr verdienten freilich andere. Nicht nur für Ikea hat es sich ausgezahlt. Auch Quelle und Neckermann wussten, dass ihre Waren zumindest zum Teil in DDR-Gefängnissen produziert wurden. Nach der Wende wurde die Produktion für Ikea zu teuer und nach Osteuropa bzw. nach China verlagert. Wo wahrscheinlich paradiesische Arbeitsbedingungen herrschen. Warum nicht mal über den immer noch aktuellen Zwang zur Gewinnoptimierung – speziell natürlich durch die Arbeit von Gefangenen – forschen und diskutieren? Und bei der Gelegenheit auch gleich klären, wohin das Geld fließt, das eventuell von den zahlreichen Kunden der DDR-Knast-Produkte als »Wiedergutmachung« gezahlt wird. Werden die Betroffenen womöglich mit Almosen abgespeist wie die Zwangsarbeiter des Naziregimes, während bestimmte Summen z.B. für Stiftungen und ähnliches abgezweigt wurden?
Erwähnt sei noch, dass regelmäßige Arbeit der Gefangenen in besonderer Weise dazu beiträgt, ihr Selbstwertgefühl zu steigern und ihr soziales Verhalten positiv zu verändern, und damit auch ein wichtiger Beitrag zur Resozialisierung geleistet werden kann.
Und weil ich so dies und das aufhebe, kann ich jetzt einen Artikel der Berliner Zeitung vom 12. Juli 2003 zitieren: »Termingerecht zur Love Parade bringt Europas größtes Gefängnis, die Justizvollzugsanstalt (JVA) Tegel, mit "Haeftling – Jailwear since 1898" ein eigenes Modelabel auf den Markt. "Wir arbeiten schon an der Entwicklung weiterer Produkte", sagt Ulrich Fehlau, der Geschäftsführer des Bereichs Arbeitswesen der JVA Tegel. Und mit einer Werbekampagne will die Berliner Werbeagentur HerrLedesi den Imagewandel der Knastware zur Kultware steuern. Agentur-Chef Stephan Bohle weiß schließlich, was sich die Partymenschen in den schicken Bars in Mitte oder Prenzlauer Berg wünschen: "Marken, die eine Geschichte erzählen und eine Botschaft authentisch und glaubwürdig vermitteln können." Kritisch ist Klaus, ein ehemaliger Strafgefangener, gegenüber der Werbekampagne für Sachen aus dem Gefängnis. "Ich sehe die Gefahr, dass die Leute draußen es als schick ansehen könnten, Knastkleidung zu tragen. Dabei wird aber das ganze Elend sowie die tagtägliche Gewalt und Angst vor Übergriffen durch Mitgefangene nicht gesehen". Cemal Seis, Redakteur der Sträflingszeitschrift Lichtblick, findet die Vermarktungsidee "im Prinzip gut". Er hofft, dass dadurch neue Arbeitsplätze in der JVA geschaffen werden können. Im Tegeler Gefängnis seien 40 Prozent der 1 700 Gefangenen arbeitslos und auf jeweils 26 Euro Taschengeld im Monat angewiesen. Zudem müssten die Gefangenen immer mehr Kosten selbst übernehmen: "Ab August müssen wir sechs Euro pro Monat für den Fernsehanschluss bezahlen", sagt Seis. Aber auch die arbeitenden Gefangenen könnten mit Löhnen, die zwischen 7,50 und 12,50 Euro pro Tag lägen, nicht viel für später sparen. Zwar seien Strafgefangene in der Arbeitslosenversicherung, sagt Frank Geppert von der Gefangenenhilfsorganisation Freie Hilfe Berlin e.V. Aber durch die niedrigen Löhne sei das Arbeitslosengeld nach der Entlassung kaum höher als die Sozialhilfe. Zudem seien die Gefangenen nicht in die Rentenversicherung einbezogen. «
Da lehne ich mich auf meinem Biedermeiersofa zurück (Erbstück, garantiert nicht von Zwangsarbeitern, ja, nicht mal in der DDR produziert), vergesse Ikea’s Beziehungen zu den DDR-Knästen und setze meine Hellerau-Schrankwand von 1972 gegen ein nagelneues Billy-Regal: Demnächst wird wieder eine andere Sau durchs Dorf getrieben. Wetten dass?