Ein "je ne sais pas quoi" liegt in den Augen. So ist das immer bei einer schönen Frau. Marlene Dietrich als Lola-Lola ist eine besonders schöne, obwohl noch zu füllig und eine Spur vulgär. Kein anderer ihrer zahlreichen Klassiker ist ihrer früheren Person, aus der sie sich für Hollywood häutete, besser auf den Leib geschneidert. Frivol trägt sie den Zylinder. In der Weimarer Epoche hieß ein Herrenhut auf einem Damenhaupt aus der Reihe tanzen. Doch was anderes tut sie, allabendlich im Varieté? Er hingegen ist hutlos, mutlos, machtlos ohne den Herrenhut als Symbol männlicher Dominanz. Nur linkisch ansehen kann er sie, deren Blick desinteressiert von ihm abgewendet ist. Lola-Lola taufte Josef von Sternberg die Sängerin um, die in Heinrich Manns 1905 erschienenem Roman Rosa Fröhlich heißt. Ein einfacher Vorname war nicht genug für die nonchalante femme fatale. Die von der Dietrich verkörperte Tingel-Tangel-Chansonette ist der letzte große Kino-Vamp der Weimarer Zeit neben Lulu, Genuine.
In seinem bissigen Sittenpanorama prangert Heinrich Mann die Bigotterie und Autoritätsverherrlichung des von Professor Unrat verkörperten Kleinbürgers an. Noch schärfer aber verurteilt der Autor die heuchlerische Doppelmoral der Gesellschaft. Josef von Sternberg kondensiert die komplexe Vorlage in seiner kaum minder hintergründigen Gesellschaftsstudie auf Unrats und dessen sozialen und persönlichen Niedergang. Dessen Anfangs- und Endpunkt, das Lokal „Der Blaue Engel“, wird zum titelgebenden Schicksalsort. Gleiches wurde er für den Regisseur, dessen Begegnung mit Marlene Dietrich der Beginn beider Karrieren in Hollywood und einer hitzigen Liebesbeziehung war. Der entrüstete Emil Jannings fühlte sich während der Dreharbeiten zum Nebendarsteller Marlenes degradiert, die noch mit einem Bein auf der Revue-Bühne stand. Ihre Beine sind der Fokus der schillernden Ausstattung des Etablissements, die der Regisseur persönlich mitgestaltete. „Der Blaue Engel“ erstrahlt in Zwielichtigen Glanz als Grand Palais der Demimode, dessen Diva die fesche Lola ist. Von Kopf bis Fuß ´ auf Liebe eingestellt
„Das ist, was soll ich machen,
So meine Natur“
Unrat hingegen ist prüde bis ins Mark. „Die körperliche Liebe ist ihm widerlich.“, sagt Lola in Manns Roman. Der herrschsüchtige Biedermann will das Singvögelchen nur gefangen im Goldenen Käfig. Nach dem Tod von Professor Unrats Kanarienvogel soll die flatterhafte Lola-Lola dessen Platz einnehmen. Von Sternbergs zynische Pointe verkehrt Manns bitter-authentischen Schluss in sein Gegenteil. „Der Blaue Engel“ ist auch Schutzengel der Sinnlichkeit. Die Moral der Kleinbürgerwelt wird an diesem lustvollen Ort verlacht, ihre Spielregeln und Machtstrukturen gelten nicht mehr. Bis zuletzt ist Unrat unfähig zu dieser Erkenntnis. Der bornierte Heuchler geht an seiner eigenen Verbortheit zu Grunde. Die Grabhymne des kleingeistigen Beamten wird „Üb ´ immer Treu und Redlichkeit“.
Das Publikum, das im „Blauen Engel“ des Films seine Lola-Lola bewundert, und das DVD-Publikum, das im Blauen Engel seinen Blauen Engel betrachtet, lauschen weiter der lockenden Liebeshymne, die Marlene Dietrich im Film anstimmt. Das ist ihre Welt, eine berauschende Filmwelt. Die mit Aufnahmen von Bühnenauftritten und Proben als besonderem Extra ausgestattete DVD von Focus sind sie zum Doppelgeburtstag des Films besonders lohnend.
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Titel: Der Blaue Engel
Land/ Jahr: Deutschland 1930
Genre: Drama
DVD-Start: 4. Dezember 2006
Regie: Josef von Sternberg
Drehbuch: Robert Liebam, Carl Zuckmayer, Kalr Vollmöller
Darsteller: Emil Jannings, Marlene Dietrich, Hans Albers, Kurt Geron, Rosa Valetti, Eduard Winterstein
Kamera: Günter Rittau
Musik: Friedrich Hollaender
Laufzeit: 106 Minuten
Untertitel: Deutsch
Extras: Interview mit Marlene Dietrich, Live-Bühnenauftritte, Probeaufnahmen, Filmtrailer
Verleih: Focus