Der blaue Geistesriese – In Tom McGraths turbulentem Animationsfilm stürzt Superschurke „Megamind“ in eine Identitätskrise

Was wäre Professor Moriatry ohne Sherlock Holmes, Batman ohne den Joker und Superman ohne Lex Luthor? Zu Tode gelangweilt von ihren eigenen alltäglichen Untaten, so wie der kostümierte Erzbösewicht Megamind. Um dem frustrierenden Trott der Alleinherrschaft zu entkommen kreiert er mit Hilfe der DNA des verflossenen MetroMan aus dem Kameramann Hal (Jonah Hill), einem Mitglied des Fernsehteams seines Lieblingsentführungsopfers Roxanne Ritchie (Tina Fey), seinen zukünftigen Gegenspieler kurzerhand selbst. Ein Megafehler, denn der Titan getaufte neue Gute hat wenig Interesse am Heldentum. Als Super-Superschurke stiftet er unter dem Namen Tighten Chaos in Metro City und Megaminds Plänen. Mit Hilfe Roxannes und seines Assistenten Minion (David Cross) stellt sich Megamind ihm entgegen. Doch wird ein Bösewicht, wenn er gegen das Böse kämpft, nicht selber zum Helden?

Aus seiner routinierten Selbstgefälligkeit stürzt Regisseur Tom McGrath seine optisch an ein wasserköpfiges Mitglied der Blue-Man-Group erinnernde Hauptfigur in eine doppelte Sinnkrise. Aus Mangel an Identifikationsfiguren definiert Megamind sich über seinen Antagonisten. Ohne ihn bröckelt auch Megaminds eigene Identität. Sein Triumph entpuppt sich als Pyrrhussieg. Als er den Gipfel erreicht hat, fühlt er sich oben einsam. Das Erfüllen seines Vorsatzes macht ihn nicht glücklich, weil er sich die falschen Vorsätze gesteckt hat. „Pubertär“, kommentiert Roxanne treffsicher. Der Identitätskonflikt des blauen Bösen erinnert an den eines unreifen Teenagers. Die Botschaft, welche hinter den temporeichen Animationseffekten und trockenen Dialogen dümpelt, ist konventionell. Wer sich frevelhafte Ziele setzt, wird deren Erreichen bitter bereuen. Wer das Gute Anstrebt, wird mit seelischem Einklang belohnt. Anders als der authentische Bösewicht Gru im Pixar-Animationsfilm „Despicable Me“ ist Megamind aus dem Hause Dreamworks lediglich ein gewöhnlicher Fiesling, der um jeden Preis im Mittelpunkt stehen will. In welcher Rolle er ungeteilte Aufmerksamkeit genießt, ist ihm gleichgültig.

Dass Megaminds romantisches Zielobjekt Roxanne ausgerechnet Reporterin ist, scheint fast unfreiwillige Ironie. An Sarkasmus hingegen mangelt es ebenso McGrath wie an Innovation. Seine Charaktere sind lediglich Kopien der Klischees und populären Heldenfiguren, die sie parodieren sollen. Selbst den versteckten Anspielungen, welche meist der vergnüglichste Teil der animierten Actionkomödien sind, fehlt es an Originalität. Der Plot nimmt sich über lange Strecken wie eine zweitklassiger Abklatsch des ungleich hintergründigen und doppelbödigen „Despicable Me“ aus. Mit dem Original kann es der Nachahmer nicht aufnehmen. Die Erfahrung, die „Megamind“ mit seinem Widersachern macht, teilt er das Publikum.

Titel: Megamind

Land/ Jahr: USA 2010

Genre: Animationsfilm

Kinostart: 2. Dezember 2010

Regie: Tom McGrath

Drehbuch: Alan J. Schoolcraft, Brent Simons

Sprecher: Will Ferrell, Tina Fey, Jonah Hill, Brad Pitt, Justin Long, Bill Hader, David Cross, Amy Poehler, Rob Corddry, Ben Stiller, Tom McGrath

Musik: Hans Zimmer, Lorne Balfe

Laufzeit: 96 Minuten

Verleih: Paramount Pictures

www.paramount.com

www.megamind.com

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