Eine Einstellung, ein Film – Kritik zum Berlinale-Beitrag Victoria

© Berlinale, Senator Film Verleih

Victoria, eine junge Spanierin lernt nach einem Discobesuch vier Jugendliche kennen mit denen Sie durch die Straßen zieht. Der Film erlebt einen Wendepunkt als sie sich bereit erklärt für die Jugendlichen als vierter Mann bei einem dubiosen Unternehmen einzuspringen, der sich dann als Bankraub entpuppt. Diese verläuft nicht so wie geplant und die fünf werden von der Polizei verfolgt, an deren Ende nur Victoria unbeschadet aus der Sache herauskommt. Was den Film so besonders macht ist zum ersten, dass der ganze Film in einer einzigen Einstellung und ohne Schnitt gedreht ist und der Film hat eine Länge von 140 min.!!! Das ist zwar nichts wirklich Neues doch in dieser Art und Weise haben wir es so bisher nicht auf der Leinwand gesehen. Hitchcock hat es schon in Cocktail für eine Leiche praktiziert und später Alexander Sokurov mit Russian Ark. Doch beide Filme fanden in geschlossenen Räumen statt und waren sorgfältig einstudiert, ohne große Improvisation und Freiheiten im Spiel und der Inszenierung. Die Improvisation ist hier auf den ganzen Film ausgedehnt. Victoria bewegt sich in der Stadt umher und die Darsteller müssen hier fast 2 ½  Stunden durchspielen und müssen improvisieren, zumal ihre Dialogen nicht festgeschrieben sind (Das Drehbuch umfasste lediglich 12 Seiten).

© Berlinale, Senator Film VerleihDer Film entwickelt bis zu seinem ersten Wendepunkt eine aufwühlende und zugleich beunruhigende Spannung, die zu trägt weiß, da nicht abzusehen ist, in welche Richtung der Film letztlich ausschlagen wird. Mit Beginn des Banküberfalls ist klar dass es sich um einen Genrefilm handelt und auch hier fährt der Film seine Linie fort. Wir ahnen was kommen kann verfolgen aber mit Spannung und Empathie das Spiel seiner Protagonisten. Das dies so ist liegt zum einen am Spiel der fünfköpfigen Darstellerensembles als auch an der Kameraführung von Sturla Brandth Grovlen, der die Kamera im Stil eine Kriegsberichterstatters führt, mit Kamerawacklern, Unschärfen, grobkörnigen Bildern, ja letztlich führen muss bei einer einzigen Filmeinstellung. Der Film heißt zwar Victoria und auch zu Recht, da er mit der spanischen Hauptdarstellerin Laia Costa einen echten Treffer gelandet hat, ist letztlich aber ein echter Ensemblefilm, der durch das Zusammenspiel aller lebt, einschließlich der Kamera, die man hier fast als sechsten Protagonisten hinzufügen will. Es ist als ob wir als Zuschauer in der Rolle des stillen Beobachters hautnahe Anteil nehmen an den Ereignissen dieser Nacht. Eben weil auch kein Schnitt erfolgt, der uns dann immer auch bewusst macht, dass es sich um eine filmische Inszenierung handelt.

© Berlinale, Senator Film VerleihSebastian Schipper hat das Kino als wohldressiertes Tier von der Streichelwiese beschrieben, d.h. als etwas wo alles genau inszeniert ist, nichts dem Zufall überlassen werden darf und technisch korrekt abläuft. Er wollte das Gefährliche, wollte die Zwischentöne, die einen Film dann auch zu dem machen was er ist, wollte die absichtlichen Fehler, die einem Film  erst Leben einhauchen. Er hat wie er selbst meinte den Prozess des Schreibens und Schneidens, die mehr gemeinsam haben als man wahr haben will, in die Dreharbeiten hineingelegt. Es muss ihm gut gelungen sein. Er hat, laut eigenen Angaben, nur drei Takes gebraucht. In diesem Take war alles drin und eben jenen können wir nun im Kino begutachten.

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Titel: Victoria
Land: Deutschland
Jahr: 2014
Dauer: 140 Minuten
Regie: Sebastian Schipper
Buch: Sebastian Schipper, Olivia Neergaard-Holm, Eike Schulz
Kamera: Sturla Brandth Grovlen
Musik: Nils Frahm
Darsteller: Laia Costa (Victoria), Frederick Lau (Sonne), Burak Yikit (Blinker), Franz Rogowski (Boxer), Max Mauff (Fuß), André M. Hennicke (Andi), Anna Lena Klenke (junge Mutter), Eike Schulz (Barkeeper)

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