Eine Amazone erhält ein Gesicht, der Kopf einer Skythin wird rekonstruiert – Serie: „Amazonen. Geheimnisvolle Kriegerinnen“ im Historischen Museum der Pfalz Speyer (Teil 3/3)

Die Kopfrekonstruktion bestätigt, dass es sich bei der Skythin um eine Frau „europiden Typs“ handelte.

Und tatsächlich ist es wie ein Wunder, was diesem gelang und was eine filmische Dokumentation Schritt für Schritt festhielt, die ab 1. Dezember die Ausstellung um solche Sensationen bereicherte. Man sieht, wie eine solche Kopfrekonstruktion entsteht. Zuvor aber wurden die Schäden begutachtet, die das sibirische Eis bewirkten. Denn Eis hat ein Janusgesicht. So gut es die sterblichen Überreste konserviert, so sehr kann der Druck des Eises die Knochen verletzten, was beim Schädel geschah. Also wurde zuerst eine Replik des Schädels angefertigt, was exakte Vermessungen voraussetzt, das Scannen per Computertomograph und die Erstellung eines 3 D Modells.

Dieses bekam nun Marcel Nyffenegger, der weiß: „Der Schädel gibt Ansätze, Form und Dicke der Muskeln vor und zweigt, an welchen Stellen die Haut direkt auf dem Knochen zum Liegen kam“. So hat er die einzelnen Muskeln- und Gewebeschichten zusammengesetzt, den hautaufbau rekonstruiert, Augen und Mimik bestimmt. Das war nun ein Plastilinmodell, das er in Silikon mit einer Gummimischung goß. Das alles kann man im Film verfolgen, wie er nun die Kleinarbeit anging, Augenbrauen, Wimpern und Kopfhaar einzusetzen. Allein für das Haar verwendete er mehr als 100 000 Strähnchen, um Natürlichkeit herzustellen. Und schon steht er vor uns der Kopf dieser Skythien, der die Ausstellung nun ein Gesicht gegeben hat.

Das ist außerordentlich bewegend, diesem Gesicht gegenüberzutreten und sich den Film ihrer Rekonstruktion anzuschauen, also dem Schädelaufbau zu folgen. Das Skelett der Sechzehnjährigen liegt in dem auffälligen Doppelgrab, zusammen mit einem älteren Mann, der an einer Knochenkrankheit litt, weshalb man annimmt, daß die junge Frau seine stütze war, im Leben und über den Tod hinaus. Beide entstammen der Pazyryk-Kultur, einem skythischen Reiternomadenvolk des 6. Bis 3. Jahrhunderts v.Chr.. Auffällig ist nun, daß beide die gleiche Kleidung tragen und beide zahlreiche funktionstüchtige Waffen im Grab bei sich hatten. Der Dauerfrost hatte das Grab konserviert, was gut für die Ausstattung der Toten war, zu der sogar neun Pferde gehörten.

Die junge Frau, die nun ein Gesicht hat, ist der östlichste Beleg für die Existenz von Reiterkriegerinnen und damit auch ein Beleg dafür, daß und wie die Tradition von bewaffneten Frauen verbreitet war. Man kann vermuten, daß das Eis noch weitere Knochen freigeben wird. Mit diesen Fortschritten in der Rekonstruktion von Menschen aufgrund ihrer Knochen ist auf jeden Fall ein Faß aufgemacht, daß der Anthropologie neue Nahrung gibt.

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Bis 13. Februar 2011

Katalog: Amazonen. Geheimnisvolle Kriegerinnen, hrsg. Historisches Museum der Pfalz Speyer, Edition Minerva 2010

Der schön gestaltete Katalog, übersichtlich und gut lesbar, macht einen erst einmal auf den ersten Seiten mit der „Verortung der Amazonenmythen in der Antike“ bekannt. Ganz abgesehen davon, daß wir ganz schön ins Schwimmen kommen, die verschiedenen Orte, die als Skythien bezeichnet werden dürfen, auf diese Ausstellung anzuwenden, stellt diese geographische Karte klar, wo die jeweiligen Amazonen zu Hause gewesen sein sollen: die Amazonen am Kaukausus, die in Thrakien, die Libyschen, die Skythisch/Sauromatischen und die in Kleinasien. Die farblich differenzierten Amazonenorte enthalten dann die literarischen Quellen der antiken Schreiber, wobei Homer sie in Kleinasien verortet, Aischylos, Herodot und Euripides in Skythien.

Dies ist ein wunderbares Geschichtenbuch, die Amazonenmythen werden alle erzählt, aber eben auch ein Kunstbuch, wo die Erzählungen Bild werden. Ein Geschichtsbuch ist es auch, weil die wissenschaftliche Entwicklung verfolgt wird. Dennoch sind für uns „Die Welt der Steppennomaden“, die Geschichte der skythischen Kultur und die Gräber und Gräberfunde noch wichtiger gewesen, einfach weil wir davon zuvor nichts wußten. Der Katalog ist also in der Tat: die Ausstellung in ein Buch gebracht. Ausstellungen vergehen. Bücher bleiben bestehen.

Aber damit nicht genug. Wir hatten zum Katalog noch einen weiteren Aspekt: Begleitbuch zu nennen, hat man sich angewöhnt, bei den Ausstellungskatalogen, die über die Ausstellung und das Ende der ausgestellten Werke hinaus, eine solch stupende Forschungs- und thematische Aufbereitungsarbeit liefern, wie dieses Buch. Deshalb kann man sofort auch ohne Kenntnis der Ausstellung sagen: „kaufen!“. Denn entweder man liest es zur Vorbereitung des Ausstellungsbesuches, was sinnvoll wäre, oder man vertieft sich erst danach in die Thematik, was die meisten tun. Aber diesmal sind auch alle diejenigen aufgefordert, dieses Werk zu erwerben, die bis Februar nicht nach Speyer kommen können, was zwar schade ist, aber wo der Erwerb des Katalogs im Buchhandel einem immerhin deutlich machen kann, was man verpaßt hat. Dafür sorgen schon die reichen und reichhaltigen Illustrationen, die sinnlich rüberbringen, was sowieso im Thema steckt, denn immer geht es auch um Geschlechterkampf, den man heute euphemistisch anders nennt.

www.museum-speyer.de

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