Ein Handball-Rückblick: WM-Dritter 1958 mit einer gemeinsamen Mannschaft aus Ost und West

Logo der III. Weltmeisterschaft im Hallenhandball der Männer, Berlin 1958. Quelle: wikimedia

Berlin, Deutschland (Weltexpress). Fünf Spiele – drei Siege, zwei Unentschieden und jedes Mal eine ausverkaufte Halle. Als Gruppenerster verließen die deutschen Handballer die Hauptstadt. „Es waren überragende Tage hier in Berlin, wir hatten eine Riesenzeit“, sagte Bundestrainer Christian Prokop.

Ein gutes Omen – Vor 61 Jahren hatte ein deutsches Handball-WM-Aufgebot mit ähnlichen Eindrücken die damals noch geteilte Stadt verlassen. Denn bei der WM im März 1958 hatte die deutsche Vertretung die Vorrunden-Begegnungen im östlichen Teil der Stadt bestritten. Und auch die folgenden K.o.-Spiele der WM mit damals 16 Mannschaften bis hin zum Kleinen Finale um Platz drei. Das gewannen die Deutschen gegen Dänemark mit 16:13.

Spielstätte war seinerzeit die Werner-Seelenbinder-Halle im Stadtbezirk Prenzlauer Berg. Auch die Finals der Handball-WM der Männer 1974 gingen übrigens hier über die Bühne. Sie hatte eine Kapazität von 6000 bis 7000 Zuschauern. Die heutige Berliner WM-Spielstätte, Mercedes-Benz-Arena am Ostbahnhof im Friedrichshain, fasst beim Handball 14 800 Besucher und kennzeichnet so das gewachsene Interesse für diesen rasanten Mannschaftssport.

Die nach einem von Nazis ermordeten kommunistischen Arbeitersportler benannte Werner-Seelenbinder-Halle wurde 1992/93 abgerissen. An deren Stelle wurde mit Blick auf die Berliner Olympiabewerbung 2000 das Velodrom sowie eine Schwimmhalle mit Wassersprung-Anlagen errichtet. Die Seelenbinder-Halle verdankt ihre Entstehung einem ersten Umbau 1950 der Großmarkthalle der angrenzenden Vieh-Schlachthöfe.

Nach weiteren Modernisierungen waren hier auf einer Kunsteisfläche auch Wettkämpfe im Eiskunstlaufen bzw. im Eishockey möglich. Die Werner-Seelenbinder-Halle wurde zur bedeutendsten Hallen-Wettkampfstätte des DDR-Sports. Hier fanden Europa- und Welttitelkämpfe u.a. im Judo, Ringen, Volleyball statt. Sie war Zuschauermagnet beim TSC-Boxturnier, bei den Handball-Neujahrsturnieren sowie bei den Winterbahnrennen der Radsportler. Hier gab es Messen, Konzerte (u.a. Depeche Mode oder Peter Maffay) sowie die mit großem Aufwand inszenierten Parteitage der Regierungs- und Staatspartei SED.

Die deutsche Mannschaft bezwang 1958 bei der 3. Handball-WM (Beginn war 1938 in Deutschland mit vier Teilnehmern) in der Vorrunde Norwegen 14:9, Frankreich 32:12 und Luxemburg mit dem Rekordergebnis von 46:4. Es folgten wiederum auf Berliner Boden in der Hauptrunde ein 22:15 über Ungarn und ein 14:17 im Halbfinale gegen die Tschechoslowakei sowie das erwähnte 16:13 über Dänemark im Kampf um WM-Bronze.

Die drei anderen Vorrunden wurden in Erfurt, Magdeburg und Rostock ausgespielt. Die zweite Hauptrunde ging in Leipzig vonstatten. Unter 16 teilnehmenden Ländern kam mit Brasilien nur ein Aufgebot außerhalb Europas.

Wie 1954 und letztmals dann 1961 ging 1958 ein gesamtdeutsches Aufgebot mit wohlwollender Zustimmung des Handball-Weltverbandes IHF in den WM-Wettbewerb. Unter Leitung der beiden Trainer Werner Vick für den Handball-Bund der BRD und Heinz Seiler für den DDR-Verband waren je acht Akteure aus Ost und West nominiert worden.

Von Hirsch bis Hinrichs

In der Rangliste der erfolgreichsten deutschen Torschützen fanden sich damals mit Rudolf Hirsch (22 Treffer/ SC Dynamo Berlin), Otto Maychrzak (20/ SV Polizei Hamburg), Klaus-Dieter Matz (SC Dynamo) und Hinrich Schwenker (je 19/ Habenhausen) die Leistungsträger bei den Feldspielern. Die Position im Tor teilten sich vornehmlich Hans Beier (SC Empor Rostock) und Hans- Jürgen Hinrichs (THW Kiel). Auch drei Akteure aus Westberlin fanden sich vor dem sportpolitisch Kalten Krieg in der gemeinsamen Mannschaft wider.

Sportlich gab es wegen der kurzen Vorbereitungszeit ein paar Abstimmungsprobleme. In beiden Verbänden wurden in der Sommerperiode zwar noch Handball auf dem Großfeld gespielt – von 1938 bis 1966 wurden dabei sieben Weltmeister ermittelt -, doch war da in der DDR die Kleinfeld-Version in der Halle gemäß des internationalen Trends bereits stärker gefördert und entwickelt worden.

Der Erfolg als WM-Dritter basierte vor allem auf der im Großfeld erworbenen Wurfkraft sowie den Torhütern. Topscorer Otto Maychrzak aus Hamburg bekam von den westlichen Boulevard-Blättern den Spitznamen „Atom-Otto“.

Heinz Seiler als verantwortlicher Trainer für die ostdeutschen WM-Starter hatte für den Angriff u.a. Peter Kretzschmar vom SC Lokomotive Leipzig berufen. Peter gelang später das seltene Double Weltmeister als Spieler und als Trainer der DDR-Handball-Frauen. Er hatte Waltraud Kretzschmar geheiratet, die mehrmals Handball-Weltmeisterin wurde.

Stefan Kretzschmar – der verhinderte Weltmeister

Deren gemeinsamer Sohn Stefan Kretzschmar wiederum war mehrfach Handballer des Jahres im wiedervereinten Deutschland, Deutscher Meister, Supercup-Gewinner mit dem SC Magdeburg. Der Linksaußen profilierte sich zudem mit buntgefärbten Haaren und diversen Tatoos/Piercings als Handball-Popstar und Provokateur. Er zählte 2004 zum bundesdeutschen olympischen Silbermedaillen-Aufgebot, lief in mehr als 200 Länderspielen auf, jagte aber vergeblich der Auszeichnung als Weltmeister hinterher.

Die Dynastie der Handball-Familie aus Leipzig könnte aktuell eine weibliche Fortsetzung-Linie bekommen. Tochter Lucie-Marie hat es bereits in die Auswahl der besten Juniorinnen im Deutschen Handball-Bund geschafft.

Während ihr medial omni-präsente Vater, nun vom Outfit altersgerecht seriöser, sein Bestes als TV-Moderator, Handball-Kritiker und Talkshow-Gast gibt. Kretzschmar auf allen Kanälen.

Vorheriger ArtikelSelten so gejammert und gejault – Sportliche Bankrotterklärung der Eisbären Berlin
Nächster ArtikelAngeschlagene Airline gerettet? Germania Fluggesellschaft mbH verkündet erfolgreiche Finanzierungsverhandlungen