Dokumentation: „Wegweisendes Urteil des Bundesverfassungsgerichts: Erste Ultra-vires-Entscheidung gegen den EuGH in der deutschen Rechtsgeschichte“ von Peter Gauweiler

Karlsruhe.
Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. © 2018, Foto: Dr. Bernd Kregel

Berlin, Deutschland (Weltexpress). Das heutige Urteil aus Karlsruhe schreckt die Berliner Republik, die manche seit den Merkel-Regierungen für ein Mehltauland halten, auf. Dr. Peter Gauweiler, Staatsminister a.D., teilt per Pressemitteilung vom 5.5.2020 mit der Überschrift „Wegweisendes Urteil des Bundesverfassungsgerichts: Erste Ultra-vires-Entscheidung gegen den EuGH in der deutschen Rechtsgeschichte“ auch seine Sicht der Dinge, die wir im WELTEXPRESS dokumentieren, mit:

Zum heutigen Urteil des Bundesverfassungsgerichts in Bezug auf das Anleihenkaufprogramm der EZB (APP) erklären der Kläger Dr. Peter Gauweiler und sein Prozessvertreter, der Freiburger Staatsrechtler Professor Dr. Dietrich Murswiek:

Das Ergebnis ist eindeutig: Bundesregierung und Bundestag haben durch ihre Hinnahme der Staatsanleihenkäufe der EZB die demokratischen Mitwirkungsrechte aller deutschen Staatsbürgerinnen und Staatsbürger über Jahre in verfassungswidriger Weise verletzt. Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass die Bundesbank am weiteren Vollzug des PSPP nicht mehr mitwirken darf, solange die EZB den Anforderungen nicht nachgekommen ist, die das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil formuliert hat.

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist für uns ein großer Erfolg. Erstmals in der Geschichte der Europäischen Union hat das Bundesverfassungsgericht sich dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) entgegengestellt und eine Kompetenzüberschreitung der Europäischen Zentralbank (EZB) festgestellt, obwohl der EuGH zuvor das Handeln der EZB gebilligt hatte. Indem das Bundesverfassungsgericht jetzt nicht mehr – wie noch zuvor im Prozess um das OMT-Programm der EZB, also um die Käufe von Anleihen speziell der Krisenstaaten – vor dem EuGH zurückweicht, sondern seine eigene, gut begründete und überzeugende Auffassung durchsetzt, leistet es der europäischen Integration einen großen Dienst. Denn die EU kann auf Dauer nur als Rechtsgemeinschaft bestehen. Die nun vom Bundesverfassungsgericht festgestellt Kompetenzanmaßungen seitens der EZB und des EuGH wirken sich nicht nur demokratie­schädigend in den Mitgliedstaaten aus, sondern untergraben das Fundament der EU.

Zur Prozessgeschichte erinnern wir an Folgendes:

Die EZB hat im Rahmen PSPP Staatsanleihen der Eurostaaten mit riesigen Mengen zu diesem Zweck aus dem Nichts geschaffenen neuen Geldes gekauft. Das Gesamtvolumen des APP-Programms betrug bis zum vorläufigen Ende der Nettoankäufe Ende 2018 2,45 Billionen Euro – ein unvorstellbar großer Betrag. In 500-Euro-Scheinen gestapelt ergäbe das einen Turm, der mit 490 Kilometern Höhe weit in den Weltraum hineinragt. Die gesamte Zentralbankgeldmenge wurde auf diese Weise fast verdreifacht. Das kann auf die Dauer zu Inflation führen, die die EZB nicht mehr in den Griff bekommen kann, weil die Geldvermehrung nicht einfach rückgängig zu machen ist. Das Ankaufprogramm war Ende 2018 keineswegs erledigt, sondern die EZB reinvestiert das Geld aus allen auslaufenden Anleihen, so dass die Gesamtsumme der aufgekauften Anleihen auf unbestimmte Dauer gleich hoch bleibt. Außerdem hat die EZB im November 2019 erneut mit Nettokäufen begonnen, so dass das Volumen der Ankäufe weiterhin ansteigt und die Geldmenge immer mehr zunimmt.

Obwohl die EZB Staatsanleihen aller Eurostaaten kauft, ist das Ankaufprogramm der Sache nach ein Programm zur finanziellen Unterstützung der überschuldeten Staaten, insbesondere Spaniens, Frankreichs und nicht zuletzt Italiens. Die Politiker dieser Länder werden dadurch angeleitet, zusätzliche Schulden auf Kosten Dritter zu machen. Sie werden durch die EZB-Politik um dreistellige Milliardenbeträge „entlastet“, während den deutschen Sparern die Nullzinspolitik bereits weit über 200 Milliarden gekostet hat.

Mit einem Beschluss vom 18.7.2017 hatte das Bundesverfassungsgericht unsere Sicht übernommen, dass derartige Staatsanleihenkäufe als Staatsfinanzierung anzusehen sind und dass gegen das Unionsrecht und das Grundgesetz verstoßen. Es hatte deshalb mit diesem Beschluss die Sache dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt. Denn bevor das Bundesverfassungsgericht in einer das EU-Recht betreffenden Frage eine eigene Entscheidung trifft, muss es zuvor dem EuGH Gelegenheit zur Entscheidung geben.

Das Bundesverfassungsgericht hatte sich in jenem Vorlagebeschluss auch unserer Auffassung als plausibel angesehen, dass das Ankaufprogramm die Haushaltsverantwortlichkeit – die Budgethoheit – des Bundestages verletzt. Denn mit den Anleihenkäufen nimmt die EZB exorbitante Ausfallrisiken in ihre Bücher, und die Verluste müssen dann letzten Endes zu einem großen Teil die deutschen Steuerzahler tragen. Deren Volksvertreter sind aber bei den diesbezüglichen Entscheidungen praktisch ausgeschaltet. Das ist mit dem Demokratieprinzip unvereinbar. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner ständigen Rechtsprechung gesagt, dass über Einnahmen und Ausgaben des Bundeshaushalts nur der Bundestag entscheiden dürfe und dass es mit dem Grundgesetz unvereinbar sei, wenn die Bundesrepublik sich einem internationalen Finanzmechanismus ausliefert, innerhalb dessen der Bundeshaushalt ohne vorherige Zustimmung des Bundestages durch Entscheidungen internationaler Organe oder fremder Staaten finanziell belastet wird. Hinsichtlich des PSPP ist zwar für den größten Teil der Staatsanleihenkäufe vorgesehen, dass die Haftung für die Risiken der Staatsanleihen eines bestimmten Staates bei der nationalen Zentralbank dieses Staates liegt, also insofern keine Haftungsvergemeinschaftung stattfindet. Das Bundesverfassungsgericht teilt im Vorlagebeschluss unsere Bedenken, dass nicht sichergestellt ist, dass es im Ernstfall, also beim Ausfall eines weiteren Krisenstaates, nicht doch zu einer Vergemeinschaftung der Haftung kommt. Das Bundesverfassungsgericht hat außerdem ausdrücklich festgestellt, dass das Ankaufprogramm nur akzeptiert werden dürfte, wenn der Europäische Gerichtshof durch eine für die EZB verbindliche Auslegung der EU-Verträge sicherstellt, dass es eine solche Gemeinschaftshaftung nicht gibt.

Der EuGH hat dann mit seinem Urteil vom 11.12.2018 als Bedenken und Einwände des Bundesverfassungsgerichts zurückgewiesen und das EZB-Programm für unionsrechtskonform erklärt. Der EuGH hat mit diesem Urteil das Bundesverfassungsgericht in mehrfacher Hinsicht brüskiert. Er hat gegen jede Evidenz behauptet, dass vom PSPP kein Anreiz für die Staaten, neue Schulden zu machen ausgehe. Er ist mit keinem Wort auf die Bedenken des Bundesverfassungsgerichts, dass die EZB keine demokratische Legitimation besitze und dass ihr Mandat daher eng ausgelegt werden müsse, eingegangen. Und er hat es abgelehnt, die Frage des Bundesverfassungsgerichts, ob die Haftungsvergemeinschaftung mit dem EU-Recht zu vereinbaren ist, zu beantworten.

Mit seinem heute verkündeten Urteil hatte das Bundesverfassungsgericht auch darüber zu entscheiden, ob der EuGH mit seinem Urteil die ihm von den EU-Verträgen gesetzten Kompetenzen überschritten hat.

Bewertung des heute verkündeten Urteils:

Erstmals in der Geschichte der beiden Gerichte hat das Bundesverfassungsgericht sich mit dem heute verkündeten PSPP-Urteil offen gegen den EuGH gestellt und eine von ihm getroffene Entscheidung in wesentlichen Punkten für willkürlich und nicht nachvollziehbar erklärt. Dies war ein lange erwarteter und unbedingt notwendiger Schritt, denn seit Jahrzehnten missbraucht der EuGH seine richterliche Kompetenz, um aktivistische Politik zu betreiben und die Kompetenzen der EU – und damit auch seine eigenen Kompetenzen – über die geschlossenen Verträge hinaus immer weiter auszudehnen. Diese Kompetenzanmaßungen durch EU-Organe haben auf schwerwiegende Weise das Demokratieprinzip verletzt.

Um dies zu verhindern, hat das Bundesverfassungsgericht schon mit den Urteilen zum Vertrag von Maastricht und zum Vertrag von Lissabon die Kompetenz für sich in Anspruch genommen, das Handeln der EU-Organe daraufhin zu überprüfen, ob sie im Rahmen der ihnen in den Unionsverträgen übertragenen Kompetenzen bleiben („Ultra-vires-Kontrolle“). Diese Kontrolle hat heute zum ersten Mal zu einem vom EuGH abweichenden Urteil geführt.

Das Bundesverfassungsgericht verlangt von der EZB, alle Entscheidungen über Staatsanleihenkäufe transparent zu begründen und vor allem die – von der EZB bisher überhaupt noch nicht berücksichtigten – negativen Auswirkungen der Anleihenkäufe auf die Sparer und auf die Alterssicherungssysteme im Rahmen einer nachvollziehbaren Verhältnismäßigkeitsprüfung zu berücksichtigen. In diesem Zusammenhang hat das Bundesverfassungsgericht das diesbezügliche Unterlassen – auf eine derartige Prüfung nicht hingewirkt zu haben – der Bundesregierung und des Bundestags ausdrücklich als verfassungswidrig gerügt.

Das Bundesverfassungsgericht hat alle Verfassungsorgane daran erinnert, dass sie zur aktiven Wahrnehmung der Integrationsverantwortung verpflichtet sind. Dies heißt auch, dass alle zukünftigen Anleihenkaufprogramme ohne eine diesbezügliche Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht mehr durchgeführt werden dürfen. Solange beim laufenden PSPP-Programm dieser Abwägungsmangel nicht behoben ist, ist das Programm verfassungswidrig und die Bundesbank darf sich an seiner Durchführung nicht beteiligen.

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