Frankfurt am Main, Deutschland (Weltexpress). Kindheitserinnerungen wirken nach – für den Autor der Besuch des oberfränkischen Zinnfigurenmuseums in Kulmbach, damals die wohl größte derartige Schau in Europa. Unübersichtlich viele „Guckkästen“, in denen hinter einer schützenden Glasscheibe Armeen von Zinnsoldaten in einer Landschaft aus Gips und Pappmaschee im Nachvollzug historischer Schlachten aufeinander eindrangen. Die „serielle Reihung“ der Aufstellung ließ die eigentlich zweidimensionalen Zinnfiguren eine zusätzliche Dimension gewinnen, bot der Phantasie zusätzliche Spielräume an. Die Ära der Zinnfuguren und Zinnfigurensammler scheint vorbei, auch die später in Heimat- und Naturkundemuseen vorgefundenen Dioramen, in denen die Zinnfiguren durch ausgestopfte Tiere in idealtypischer Naturdekoration ersetzt wurden, scheinen ihren Höhepunkt hinter sich zu haben.
Dioramen – ein Versuch, die Wirklichkeit zu rekonstuieren
Vor diesem Erfahrungshintergrund erweitert die Ausstellung in der Schirn Frankfurt unser Wissen und unsere Wahrnehmung über diese Form der Darstellung und Repräsentation von Wirklichkeit, auch wenn sie dabei die in Deutschland doch ehemals so verbreiteten Zinnsoldaten übergeht. Das Diorama als Präsentationsform zeigt Ereignisse, Geschichten und Lebensräume mit unterschiedlichen gestalterischen Mitteln, scheinbar wirklichkeitsgetreu arrangiert und rekonstruiert. Im 19. Jahrhundert von dem französischen Maler und Wegbereiter der Fotografie, Louis Daguerre, als eine mit Lichteffekten belebte Schaubühne konzipiert, wurde es als Schaukasten aus Glas für Naturkundemuseen die Präsentationsform schlechthin. Die Ausstellung ist die erste umfassende Untersuchung zum Diorama und thematisiert sowohl die unterschiedlichen Entstehungsgeschichten der Präsentationsform als auch Wechselwirkungen und parallele zeitliche Entwicklungen. So präsentiert die Ausstellung in der Schirn auch Frühformen des Dioramas in der religiösen Kunst, vertraut etwa aus den Besuchen von Wallfahrtskirchen, seine Anfänge in der Bühnen- und Schaustellerkunst des 19. Jahrhunderts bis hin zu Ansätzen in der zeitgenössischen Kunst, diese Präsentationsform wieder aufzugreifen.
Beeindruckende Exponate aus der Frühzeit
Beeindruckend sind die Exponate aus der Frühzeit (ausgehendes 18, und frühes 19. Jahrhundert): Transparente bedruckte oder bemalte Leinwände, die durch unterschiedliche Beleuchtung von hinten zum Leben erweckt werden. Die Ausstellung in der Schirn zeigt u. a. die Arbeit Naguere Daguerre (2012) von Jean Paul Favand, der zwei aufwendig restaurierte Leinwände eines mechanischen Theaters aus dem 19. Jahrhundert zugrunde liegen. Mittels digitaler Technik werden die Leinwände beleuchtet, und erzählen vom Ausbruch des Vesuv in der Bucht von Neapel. Indem das Diorama bewegte Bilder auf eine Leinwand projizierte, wurde es zum Vorläufer des Kinos und der 3D-Technik.
Als Objekte der Volksfrömmigkeit fanden Dioramen insbesondere im 17. und 18. Jahrhundert weite Verbreitung. Die Ausstellung präsentiert u. a. Werke der neapolitanischen Wachspuppenmacherin und Nonne Caterina Oe Julianis (1695-1742), ein dreidimensionales Andachtsbild mit dem Titel Paradis aus dem 19. Jahrhundert sowie kleine Schaukästen, die mit äußerster Präzision vom Leben im Kloster erzählen.
Dioramen auch Stilmittel der modernen Kunst
Bis heute ist das Diorama eine wesentliche Inspirationsquelle: Zahlreiche Künstlerinnen und Künstler des 20. und 21. Jahrhunderts setzen sich in ihren Arbeiten mit dem inszenierten Sehen auseinander, indem sie das Diorama und die Illusion einer Wirklichkeit hinterfragen und auflösen. Die Dekonstruktion des Dioramas in der Kunst der Gegenwart verdeutlichen raumgreifende Installationen, zeitgenössische Dioramen und Plastiken. So hinterfragt z.B. der US-amerikanische Künstler Mark Dion die menschliche Repräsentation von Natur und bricht mit den herkömmlichen idyllischen Darstellungen der Tiere in ihrem natürlichen Ökosystem und reichert die Präsentationsform „Diorama“ mit zeitgenössischen Themen wie Konsumverhalten und Umweltverschmutzung an. Er reagiert damit auch auf Werke der deutschen Bildhauerin Isa Genzken und des französischen Künstlers Mathieu Mercier, die in der Ausstellung ebenfalls mit Werken vertreten sind.
Die Ausstellung wurde konzipiert und realisiert in Zusammenarbeit mit dem Palais de Tokyo in Paris, dort wurde sie auch zuerst gezeigt. Die Ausstellung in der Schirn in Frankfurt am Main läuft noch bis zum 21. Januar 2018.