Nicht ganz, bemerkt man dann in Marienbad, in dem zwar fast jeder hervorragend mit der deutschen Sprache umgehen kann, wo aber offensichtlich der doch noch krasse Unterschied der Einkommen in Deutschland und Tschechien muntere – aber unangenehme – Blüten treibt: die Währung in Tschechien ist noch nicht der EU angeglichen, d.h. man bezahlt in Tschechischen Kronen, Kurs 1:25, was ohne Gebühren getauscht wird. Steht jedenfalls auf einem Schild vor einer Wechselstube auf der Marienbader Hauptstraße, direkt neben der Polizeiwache. Das Tauschen des Geldes – "Könnte ich bitte eine Quittung bekommen?" "Sorry, no." – wird ein Fiasko, da weder eine Quittung ausgegeben, noch die Null-Gebühren-Ankündigung eingehalten wird. Tatsächlich werden 20 % Gebühren einbehalten, die angeblich erst ab 600,- Euro Tauschbetrag entfallen.
Da das Polizeirevier nebenan liegt, lag der Beschwerdegang dorthin nahe, endete aber mit einem Frust: "Ja, wir wissen von diesem Verhalten der Wechselstube, das seit sieben Jahren zu Beschwerden von Kunden führt, aber unsere Anfrage bei unserem Handelsministerium hat ergeben, daß die Wechselstube so verfahren darf," lautete die perfekt deutschsprachige Auskunft der Polizei, im Inneren der Wache aus einem vergitterten Fensterchen mitgeteilt.
Ein zweiter Geld-Wechselversuch in einer anderen Wechselbüro mit einem Kleinbetrag von zehn Euro wurde ankündidungsgemäß korrekt durchgeführt: unaufgefordert wurde eine Quittung erstellt, und erst nach dem Okay des Kunden wurde der Betrag von zehn Euro entgegengenommen und in 250 tschechische Kronen – also tatsächlich gebührenfrei – umgetauscht.
Es war nachmittags, und die zahlreichen Cafés luden zu einer Kuchenpause ein; vorsichtshalber fragte ich die Kellnerin nach dem Tortenpreis. Antwort: ein Stück kostet "fünf". Zufrieden genoß ich den Milchkaffee samt Torte, was ja zusammen nicht mehr als "zehn" kosten konnte. Der Kassierer – eine andere Person als der Kellner – brachte eine Rechnung über einhundertsechzig tschechische Kronen; nun ja, das waren umgerechnet 6,40 bzw. 8,00 Euro, je nachdem, ob mit oder ohne Gebühr getauscht worden war. Ich sagte: "180 bitte, 20 Kronen als Trinkgeld für die Bedienung". Der Kassierer nahm zweihundert Kronen und verschwand, Meine Bitte um Rückgabe der noch offenen zwanzig Kronen stieß auf Ignoranz. Ein weiteres Alltagserlebnis war der Gang zur Öffentlichen Toilette neben dem Zentralen Touristen-Informations-Büro von Marienbad: Im Vorraum baten zwei Toilettenfrauen um vorherige Bezahlung von 0,40 Cent; allerdings hatte die Toilettenanlage kein Wasser, auch nicht für das Handwaschbecken, und das elektrische Licht leuchtete – wegen eines Defektes – nur vom Vorraum in die Toilettenanlage. Die herrlichen Fontainen in der nicht weit entfernten Brunnen-Kolonnade ermöglichten die ersehnte Handreinigung, wenn auch das Fontainenwasser nicht unbedingt vertrauenerweckend bzgl. der Sauberkeit schien.
Es sollte nur eine Stip-Visite nach Marienbad sein – wegen der Nähe zur Bayerischen Grenze ja auch schnell einmal wiederholbar. Deswegen also der Entschluß zur Rückfahrt bei strahlendem Nachmittags-Sonnenschein auf der superaspaltierten Landstraße nach Selb in Bayern. Wenn da nicht ein Polizeiauto mit Stoppkelle zum Anhalten aufgefordert hätte. Zwei Polizisten – müssen die Uniformierten in Tschechien eigentlich die NVA-Uniformen der DDR auftragen? – baten um die Papiere und verlangten fünfhundert tschechische Kronen für das Nicht-Einschalten des Scheinwerferlichtes. "Abzocke" war mein Gefühl; ein freundliches Aufmerksam-Machen auf die Vorschrift in Tschechien wäre angemessener gewesen. Zumal das ein Durchschnitts-Tagesverdienst in Tschechien ist, was mir da abverlangt wurde.
Zurück in Bayern atmete ich auf: gerettet! Schluß mit Abzocke und kleinlichem Beschupsen im alltäglichen Geplänkel. Jedenfalls ist Bäderkultur nach meinem Gefühl etwas Anderes. Und ein Wir-Gefühl wegen Europa kann dabei auch nicht aufkommen. Schade eigentlich! Ob es noch lange braucht, um Europa wirklich zu realisieren. Ich werde das wieder testen: nächstes Jahr in Marienbad.