Schneeflöckchen wird mondän! – Serie: Bregenzer Festspiele (Teil 4/5): „Schnee. Rohstoff der Kunst“ im Vorarlberger Landesmuseum Bregenz, weiterer Rundgang

Alois Carigiet, St. Moritz 1934, Farblithografie

Aber noch sind wir bei den Malern, die noch einmal groß auftrumpfen. Auch für die Symbolisten und den Jugendstil hat das Vorbild der Impressionisten gezündet. Ferdinand Hodler ging ebenfalls zum Malen in die Berge, aber nicht so sehr der Atmosphäre wegen, sondern der Schichtungen und Strukturen der Formationen auf der Erde, die in Braun und Blau und Weiß wie im „Der Mönch mit den Wolken“, dann zu fast schon abstrakten Bildern gerinnen. Man ahnt noch den Gegenstand, aber kann sich auch davon lösen. Und hier, wir sahen es schon von weitem an der so eigenen Darstellung der Fichten und anderer Bäume: ein Kirchner. „Berge und Häuser im Schnee“ heißt das Gemälde aus dem Jahr 1924 und mehr ist auf dem durch Hügelketten rhythmisierten Bild auch nicht zu sehen. Außer den Bäumen. Auch hier die Farben Blau, Weiß und Braun und ocker- und zimtfarbene Häuser. Es gehört dem Bündner Kunstmuseum Chur wie auch das nächste Bild, das uns zum Staunen bringt.

Nie hätten wir bei „San Gian im Winter“ als Maler Otto Dix vermutet. Wann war er dort? Und wo liegt dieser Ort. Im Tessin oder Italien. Nein, im Engadin und als Zeitpunkt steht 1938 dabei. Dix gibt unsereinem immer einen leichten Stich, weil dieser außergewöhnlich begabte Maler durch die Nazis und später die Malmode der Abstraktion um sein späteres malerisches Leben gebracht wurde. Das Gemälde saugt uns fest. Zu sehen sind merkwürdig geformte Bergkuppen, mal eine Kuppel, eben brustähnlich, einer islamischen Moschee, mal ein Elefantenrücken, dann rechts verwehte Wälder, die wie im Gleichschritt angeordnet sind und auf der Linken trotzige Nadelbäume, schneebestäubt, im Schneenebel eine Trutzburg und einen Kirchturm sichten wir auch, aber vorne, da zeigt sich, daß wir an einem See oder besser Wasserlauf stehen, denn er ist noch nicht zugefroren und in ihm spiegelt sich die Welt. Gesäumt ist das Blau des Wassers von weiß bestäubten Baumsträuchern und mit einem Male wird einem bewußt, daß man das Bild mit den Augen des – um das Schicksal des altmeisterlich Malenden – Wissenden anschaut. Man imaginiert sein Vereistsein, das die Leinwand ausstrahlt und es gefriert einen. Durch Mark und Bein, wie der schöne Ausdruck heißt, ein Eisenhauch. Ein trauriges Bild und ein schönes Bild. Nur, wann wurde es gemalt? Denn auf dem Bild selbst steht 1948.

Wir aber machen uns Gedanken über unsere Gedanken. Denn die auf dem Bild dargestellte Natur hat keine Gefühle, sie hat keine Moral und je länger wir daraufschauen, umso deutlicher wird uns: Die Natur ist einfach Natur und gerade das drückt Dix aus. Hier ist sie zudem mit Minusgraden dargestellt, die die Vereisungen an den Bäumen durch das kristalline Leuchten noch schöner und glitzernder macht. In diesem Kabinett hängen weitere wie Bartle Kleber, dessen „Zürser See“ uns noch einmal deutlich macht, was auch Rudolf Wacker im „Blick auf das verschneite Bregenz“ aus seinem Atelierausblick vormacht. Das exakte Malen der Schneebergwelten erzeugt hyperreale Erzeugnisse. Die Neue Sachlichkeit wolle ein genaues Abbild der Wirklichkeit leisten, aber immer wieder wendet sich die Genauigkeit in ihr Gegenbild: die unwahrscheinlich wirkende Überformung. Der Schritt von dieser Genauigkeitsdarstellung zur Übergenauigkeit ist dicht und gerade dadurch erhalten diese hier aufgehängten Schneebilder eine innere Spannung, die sich dem Betrachter überträgt.

Wir aber übergehen jetzt die restlichen Gemäldeschönheiten, denn auch die weiteren Abteilungen haben es in sich. Seit wann ist Skifahren mondän? Es war es auf jeden Fall und nur für die oberen Zehntausend bestimmt. Aber auch heute, wo der Ski ein Massensportmittel ist, haben sich diese Ausweise einer besseren Welt erhalten. Die Plakate seit 1905 zeugen von den Differenzierungen, einerseits in die Inszenierungen des Wintersports, andererseits in den Hochleistungssport, für den man Zuschauer zu den Rennen brauchte und mit diesen Plakaten auch anlockte. Schnee ist eben auch ein Geschäft geworden und ganz schamlos sprechen diese Plakate davon, die mal Dämchen auf den Skiern gleiten lasen, mal den sportlichen weiblichen Haudegen und auch das Schlittschuhlaufen als Eheanbahnungsinstitut nicht außer Acht lassen. Schweiz und Österreich sind die Nationen, die hier im Werbebild groß rauskommen.

Aber für viele ist der Sport nur vorgeschoben, das sieht man an weiteren Bildern, das für uns Tamara de Lempickas „Sankt Moritz“ beispielhaft vorgibt. Dabei hängt dieses Bild gar nicht in der Ausstellung, aber sie, die Malerin der modernen Frau, hat 1929 die rotgewandete Schöne mit den sportlich geraden Schultern mit sehnsuchtsvollem Blick himmelwärts auf den Skistock gestützt und von den Scheemassen hinterfangen so dargestellt, daß man gleich erwartet, daß der avisierte Kavalier hinter einer Schneewehe auftaucht, damit er die Dame ins Glück geleitet. Die „Mondänen Wintergäste“ von Alfons Wald von 1925/26 haben ihres schon gefunden. Es besteht im Tragen aufwendiger Pelzmäntel und einfacher Topfdeckel auf dem Haupt im Stil der Zeit.

Es lohnt auch, die Filmausschnitte „Der weiße Rausch“ anzusehen, dann erkennen wir wieder, daß es solche Bilder sind, die unserem kulturellen Gedächtnis eingegraben sind, wenn wir dem Schnee und den Bergwelten die Freiheit, die über den Wolken ist, zuschreiben, uns beim Gleiten über die Schneehänge als Herren und Damen der Schöpfung fühlen und doch in Sekundenschnelle Opfer von Unglücken werden, seien es Lawinen, Unwetter oder nur die anderen Skifahrer, die unwillentlich als Gegner auf uns zuschießen und aus der Bahn und manchmal dem Leben werfen. Diese dunkle Seite des Schnees, unser Pechschwarz, ist in einem kleinen Kabinett dargestellt, das die pittoreskeste Seite der Ausstellung ausmacht und hier nur kurz angedeutet wird: Votivbilder aus lange vergangen Zeiten bringen das Unglück, die sieben Schmerzen Mariens und die ewige Seligkeit in einem wunderbar naiven Malduktus zusammen. Die Fotos allerdings zeigen dann, wie tot Lawinenopfer wirklich sind.

Eine überraschende Ausstellung, in der man nicht nur große Kunst sieht, sondern eine regionale Schau gleich mit, in der es aber nicht nur um Kunstgeschichte geht, sondern das, was man im besten Sinne Kulturgeschichte nennt. Denn hier werden die Zusammenhänge zwischen dem Naturphänomen Schnee, seinen Lüsten und Ängsten nicht nur in Bildern gezeigt. Moderne Medien wie Plakate, Videos – die wir hier leider ausließen – Film und Karikaturen – nein, die witzige Folge der Attersees „Komm mit nach Österreich. Ein Führer durch Österreich für außerirdische Wesen durch die neun Bundesländer“ sind mehr als das – lohnen den Besuch. Die im Treppenhaus deponierten Schneekugeln – Traum aus der Kindheit – sind leider hinter Glas, denn die Hand zuckt unwillkürlich vor, um eine zu ergreifen und zu schütteln. Aber jetzt wissen wir wenigstens, daß diese Leihgaben ein Zuhause haben, gibt es doch in Wien ein Schneekugelmuseum, aus dem sie ausgeliehen sind! Schade eigentlich, daß diese Ausstellung nicht weiterwandert. Wenn am 4. Oktober Schluß ist, ist auch das Ende für das Haus angebrochen. Es wird abgerissen und der Einzug in den Neubau ist für das Frühjahr 2013 vorgesehen. Das sind noch viele Winter und viel Schnee.

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Ausstellung: bis zum 4. Oktober 2009

Ein ungewöhnlich vielseitiges Begleitprogramm sollten Sie sich direkt auf der Webseite des Museums anschauen.

Katalog: Schnee. Rohstoff der Kunst, hrsg. von Tobias G. Natter, Vorarlberger Landesmuseum, HatjeCantz 2009. Das Besondere am Katalog ist, daß er nicht nur, was ja Katalogpflicht ist, die Exponate aufführt und dazu Bildbeschreibungen und Kommentierungen liefert, sondern daß in einer Kür auch noch auf hundert Seiten Essays verschiedene Aspekte beleuchten, wie Schnee-Kulturen als Vorüberlegungen zu einer Anthropologie des Schnees in populären Bildwelten, aber auch einen historischen Abriß über die Entwicklung von Skisport und Skitourismus, was zur Folge hat ein Thema wie: Wintertourismuswerbung und Schneeplakate, die geradezu ein sozilogisches und ästhetisches Übungsfeld sind.

Wir hatten uns auch die folgenden Ausstellungen angeschaut und empfehlen die zugehörigen Katalog denen, die nicht vorbeikommen und denen, die die Ausstellungen sehen, erst recht.

Katalog: Ali & Achmed im Landesmuseum. Die Kunstankäufe des Landes Vorarlberg

Katalog: Bevor die Römer kamen. Späte Kelten am Bodensee, hrsg. von Tobias G. Natter u.a., Bregenz u.a. 2008

www.vlm.at

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