Die psychosoziale Wucht, die der Begriff „Amazonen“ quer durch die Geschichte auslöst – Serie: „Amazonen. Geheimnisvolle Kriegerinnen“ im Historischen Museum der Pfalz Speyer (Teil 2/3)

Demgegenüber stehen dann die Grabfunde der letzten Jahrzehnte im asiatischen Raum, dem historischen Skythien, die eindeutig weibliche Krieger mit Kampfwerkzeugen wie Schwertern, Rüstungen, beweisen. Ist es Mann und Frau, Krieger und Kriegerin, die hier gemeinsam liegen oder ein Vater mit seiner Tochter. Die Details sind nicht immer ausgeforscht, aber die Tatsache selbst bewiesen. Selbst die Kampfverletzungen sind bei den Frauen noch nachweisbar. Aber diese Kriegerinnen haben ihre Weiblichkeit nicht abgelegt. Man findet in diesen Gräbern auch Kämme, Ohrringe, Spiegel und Halsschmuck.

Wir haben eine kleine Umfrage gemacht, was unsere Umgebung, vom Redakteurskollegen bis zum Taxifahrer, von der Toilettenfrau bis zum Generaldirektor, über Amazonen wissen und von ihnen halten. Schon mit diesen Antworten hätte man eine eigene Ausstellung machen können, viel wichtiger aber sind Mienen und Klangfärbung der Sprache beim Antworten. Warum der Internetbuchversand „Amazon“ heißt? Das konnten wir schnell klären, denn tatsächlich wurde dieser Internethandel, der heute alles und jedes verkauft, nach dem südamerikanischen Strom „Amazonas“ genannt, weil sich der Handel so in der Welt verbreiten und verzweigen soll, wie es der Amazonas tut. Aber warum heißt der Amazonas Amazonas?

Und da sind wir wirklich beim Thema, denn einer der Erklärungen der Namensgebung für den längsten Fluß der Welt, sind die kämpferischen Frauen, die die europäischen Entdecker dort gesichtet haben wollen. Sie hatten sie auch in Afrika gefunden und sie finden sie heute sogar in Hollywoodfilmen wie „Salt“, wo Angelina Jolie eine weibliche Geheimdienstwaffe verkörpert, die gegen alle Systeme Krieg führen muß, um zu überleben, was auch Aufgabe von Lisbeth Salander ist, mit der Stieg Larson einer Amazone der Jetztzeit ein Gesicht gegeben hat.

Auch in Speyer wurde einem Wesen ein Gesicht gegeben. Allerdings war sie keine Amazone, sondern ein Schädel aus dem Gräberfeld von Ak-Alacha im Hochland des Altai-Gebirges. 16 Jahre war sie alt, die junge Skythin, deren Skelett in der Ausstellung in Speyer liegt, an ihrer Seite Waffen und Gerätschaften, die sie als Kriegerin ausweisen. Im Kontext der Ausstellung hat nun das Historische Museum der Pfalz geradezu verwegen diesen Schädel einer Gesichtsrekonstruktion zu unterziehen. Und dieses nicht aus Effekthascherei, sondern dem wissenschaftlichen Bedürfnis, sich die Skythen auch visuell vorstellen zu können. Fortsetzung folgt.

***

Bis 13. Februar 2011

Katalog: Amazonen. Geheimnisvolle Kriegerinnen, hrsg. Historisches Museum der Pfalz Speyer, Edition Minerva 2010

Der schön gestaltete Katalog, übersichtlich und gut lesbar, macht einen erst einmal auf den ersten Seiten mit der „Verortung der Amazonenmythen in der Antike“ bekannt. Ganz abgesehen davon, daß wir ganz schön ins Schwimmen kommen, die verschiedenen Orte, die als Skythien bezeichnet werden dürfen, auf diese Ausstellung anzuwenden, stellt diese geographische Karte klar, wo die jeweiligen Amazonen zu Hause gewesen sein sollen: die Amazonen am Kaukausus, die in Thrakien, die Libyschen, die Skythisch/Sauromatischen und die in Kleinasien. Die farblich differenzierten Amazonenorte enthalten dann die literarischen Quellen der antiken Schreiber, wobei Homer sie in Kleinasien verortet, Aischylos, Herodot und Euripides in Skythien.

Dies ist ein wunderbares Geschichtenbuch, die Amazonenmythen werden alle erzählt, aber eben auch ein Kunstbuch, wo die Erzählungen Bild werden. Ein Geschichtsbuch ist es auch, weil die wissenschaftliche Entwicklung verfolgt wird. Dennoch sind für uns „Die Welt der Steppennomaden“, die Geschichte der skythischen Kultur und die Gräber und Gräberfunde noch wichtiger gewesen, einfach weil wir davon zuvor nichts wußten. Der Katalog ist also in der Tat: die Ausstellung in ein Buch gebracht. Ausstellungen vergehen. Bücher bleiben bestehen.

Aber damit nicht genug. Wir hatten zum Katalog noch einen weiteren Aspekt: Begleitbuch zu nennen, hat man sich angewöhnt, bei den Ausstellungskatalogen, die über die Ausstellung und das Ende der ausgestellten Werke hinaus, eine solch stupende Forschungs- und thematische Aufbereitungsarbeit liefern, wie dieses Buch. Deshalb kann man sofort auch ohne Kenntnis der Ausstellung sagen: „kaufen!“. Denn entweder man liest es zur Vorbereitung des Ausstellungsbesuches, was sinnvoll wäre, oder man vertieft sich erst danach in die Thematik, was die meisten tun. Aber diesmal sind auch alle diejenigen aufgefordert, dieses Werk zu erwerben, die bis Februar nicht nach Speyer kommen können, was zwar schade ist, aber wo der Erwerb des Katalogs im Buchhandel einem immerhin deutlich machen kann, was man verpaßt hat. Dafür sorgen schon die reichen und reichhaltigen Illustrationen, die sinnlich rüberbringen, was sowieso im Thema steckt, denn immer geht es auch um Geschlechterkampf, den man heute euphemistisch anders nennt.

www.museum-speyer.de

Vorheriger ArtikelWenn man dem Bildhauer und Goldschmied Cellini mit Aufklärung kommt – Serie: Zum Jahresübergang die alten und neuen Bücher aus vielen Bereichen (Teil 18/20)
Nächster ArtikelDer Weltexpress im Gespräch mit Krimiautorin Chris Silberer über „Korbleger“ – Serie: Frankfurter Krimiabend im kaufhausHessen in Frankfurt am Main (3/3)