„Das ist das Hexen-Einmaleins“ – „Hexen. Mythos und Wirklichkeit“ zaubert kulturgeschichtlich das Historische Museum der Pfalz in Speyer herbei

Der imposante Eingang zum Historischen Museum der Pfalz in Speyer, wo die "Hexen"-Ausstellung noch bis zum 2. Mai gezeigt wird.

Sehr vieldeutig ist der Begriff „Hexe“ und wenn wir uns etwas vorsichtig der Ausstellung in Speyer näherten, dann hat das eher mit dem baldigen Karneval zu tun, wo wieder so viele Hexen ihr Wesen und Unwesen treiben und den Filmen aus Hollywood, wo das Zaubern allerdings den jungen Burschen vorbehalten ist, erst recht wenn sie Harry heißen. Das alles kann man beiseite schieben, denn in Speyer finden Sie eine total solide, fachwissenschaftlich wohl fundierte Ausstellung aufbereitet, die die geschichtliche Analyse dessen, was soziologisch Hexen waren, besser: wieso sie zu Hexen erklärt wurden, was sie haben sein sollen und weshalb sich der gezielt eingesetzte Volkszorn so grausam niederschlagen konnte, exakt klärt. Was uns besonders gut gefallen hat, ist, daß in der Ausstellunge unglaublich viele Exponate aus Kunst, Wissenschaft, Alltagsgegenständen, Hexenzeug und sonstwas zu sehen sind, die nicht nur historisch interessant, sondern auch ästhetisch ansprechend sind. Man schaut sich also auch durch diese Ausstellung gerne durch, von den Hörstationen unterstützt, die das Geschaute vertiefen können.

Alles beginnt mit den geschichtlichen Erklärungen. Diese erläutern, daß die Hexen und somit der Hexenwahn eben keine mittelalterliche Herleitung haben – damals waren solche Frauen Kräuterweiblein und im Gefolge der Hildegard von Binden gesellschaftlich angesehen -, sondern schlicht eine Konstruktion der frühen Neuzeit sind. Das war die Zeit vor und nach der Entdeckung Amerikas, wo der Humanismus eigentlich das Hirn und das Gemüt des Menschen bilden wollte. Erst im 15. Jahrhundert kam es wie in einer Pendelbewegung zu dem, was man Schadenszauber nennt, und zu dem, wodurch man die Hexen „entlarven“ konnte. Heute meint man, daß Hungersnöte, Krankheit, Krieg und das Klima von Angst der Nährboden waren, wo man mit den Hexen die Schuldigen finden und mit ihrer Ausrottung sich vormachen konnte, daß alles wieder gut und heil würde. Heute wäre es albern, die damaligen Zeiten nur zu verdammen und ob deren Dummdreistigkeit, bestimmte Menschen für das Unheil der Welt büßen zu lassen, hochnäsig uns als moderne aufgeklärte Menschen zu gerieren. Schließlich liegen die Zeiten des Nationalsozialismus, wo dieselben Phänomene mit anderem Personal stattfanden, nicht weit zurück.

Die Ausstellung versucht also, uns zu erklären, wieso es zu den Stigmatisierungen als Hexen und den anschließenden grausamen Hexenverfolgungen kommen konnte. Das ist das eine, das andere sind in weitem Bogen Gegenstände und Belege, die weit in die Vergangenheit reichen und uns sichtbar machen, daß der Wunsch des Menschen, daß es andere Menschen gäbe, die den Göttern, der Natur, den finsteren Mächten näherständen und für sie im Guten oder im Schlechten Fürbitte leisten könnten. Über 600 Exponate sind so zusammengekommen, von denen viele aus tatsächlich 97 Museen nach Speyer gereist sind. Von besonderem Interesse sind dabei die Kuriositäten. Es gibt beispielsweise abweichende Exemplare der Natur, für die man Erklärungen brauchte. Hexerei und Verwünschungen waren gefundene Ursachen und damit auch die verantwortlichen Menschen als deren Verursacher entlarvt. Wenn der notwendige Regen nicht kam, oder umgekehrt, keine Sonne, es war leicht die Herrschaft über das Wetter denen zuzuschieben, die man als anders als sich selbst empfand. Projektionen nennt man solche menschlichen Verhaltensweisen. Die Sache selbst aber ist differenzierter, denn gleichzeitig gab es auch die „Guten“, die Heiler und Handaufleger, Menschen, deren spezielle Fähigkeiten von Hilfesuchenden goutiert wurden.

Die Übergänge sind es, das Überschreiten von Sphären, was diese Ausstellung zusätzlich leistet. Denn die oben genannten Phänomene wie Magie, oder erst recht alle übersinnlichen Erscheinungen sind nicht mit dem Kopf ohne weiteres zu erklären und all das muß in Verbindung oder in Abgrenzung zu den Hexen erläutert werden, was in der Ausstellung gut gelingt. Dennoch sind es für die Besucher erst einmal die Definitionen für Hexen, wie Ritt mit dem Teufel, sexuelle Aktivitäten, das Fliegen zum Hexensabbat, ihre Treffen, anhand derer man dann angeblich die Hexen erkannte und was der Hexenhammer festgehalten hat, was das Interesse bindet. Später im Verlauf der Ausstellung auch die Prozeßdetails, die festhalten, in welcher Weise man diese Menschen um den Verstand brachte, so daß es ihnen lieber war, sich als Hexe auszugeben, denn derart weiterverfolgt zu werden. Es sind grauenhafte Dokumente, aber auch dringend nötig, diesen Wahnsinn, den Menschen Menschen angetan haben, nicht zu scheuen. Das gilt auch für die Folterwerkzeuge, die Zellen, die Hexenbekleidungen. Zum Mythos der Hexe gehört dann auch, daß ihre Verfolgungen angeblich in die Millionen gingen, was heutige wissenschaftliche Forschung auf unter 100 000 reduzieren. Hunderdtausend zuviel.

Aber so ernst das Thema auch wird, die Ausstellung selber ist so aufgebaut, daß der Rundgang spannend bleibt und das Grauen von den vielen komischen Momenten unterbrochen wird. Es gibt also auch viel zu lachen. Zudem sind die Objekte, die aus dem Bereich der Kunst kommen, wie die Darstellungen von Hexen in der Kunst, ausgesprochen sorgfältig ausgewählt und von großer Qualität. Es kommen unglaublich viele Themen zusammen, die Hexensagen werden aufgelistet und selbst die Hexenforschung im Nationalsozialismus wird ausgebreitet. Diese hatte nämlich eine interessante Variante. Heinrich Himmler und die seinen sahen in den Hexen die reinen Vertreter der germanischen Rasse, die insbesondere durch die Katholische Kirche verfolgt wurden und suchte wissenschaftlich nach Beweisen, die nicht zu erbringen waren. Denn die katholische Kirche steht zwar für vieles, damals insbesondere für die Inquisition, aber die Hexen gehen auf andere Konten. „Das Ende der Verfolgungen ließ noch bis zu den letzten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts auf sich warten. Im deutschsprachigen Raum wurde 1782 im Kanton Glarus die letzte Hexe verurteilt und hingerichtet. In Gesamteuropa gilt die Hexenhinrichtung des Jahres 1795 in Posen als letzter Akt dieses dunklen Kapitels.“

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Ausstellung: bis 2. Mai 2010

Katalog: Hexen, Mythos und Wirklichkeit, hrsg. vom Historischen Museum der Pfalz Speyer, Edition Minerva München 2009. „Begleitbuch“ nennt sich dieser Wackerstein, mit dem nur Nichthexen einen anderen erschlagen täten, denn Hexen habe dazu subtilere Mittel. Mit einem Wort, ein Begleiter durchs Leben. Denn in diesem Buch finden Sie das Wissen der Welt um Hexen so süffig zubereitet, daß das Lesen Vergnügen macht. Nur eines kann passieren. Daß man noch einmal in die Ausstellung zurück will, weil man etwas übersehen hatte oder der Kontext des Gesehenen einem erst jetzt klar geworden ist.

Das ist wirklich ein Gang durch die Geschichte der Hexen, der vermeintlichen Hexen und der verwandten Gestalten. Viele Details der Ausstellung und viele Exponate tauchen auf, aber wenn man sie im Zusammenhang mit den Texten anschaut, sieht man auf einmal mehr. Deshalb ist dies Begleitbuch auch gut als Lesebuch über die Ausstellung hinaus geeignet, mit einem Wort, man hat auch viel davon, es alleine ohne Ausstellung zu erobern. Nur würde man sich um die Sinnlichkeit des Ganzen bringen, wäre man mit dem Papier zufrieden. Gerade dazu ist dann die Ausstellung da.

Es gibt zusätzlich eine Ausstellung für die ganze Familie „Hexen – Krötenschleim und Spinnen“, ebenfalls bis 2. Mai 2010

Internet: www.hexen.speyer.de, www.museum-speyer.de

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