Nun also gibt es als Abschluss einer Shakespeare-Trilogie ein Königsdrama – König Richard der Dritte, dessen Gebeine, wie es der Zufall will, unlängst ausgegraben, identifiziert und in der Kathedrale von Leicester prunkvoll bestattet worden sind. Zwar hatte der gute Shakespeare die Dialektik von Produktivkräften und Produktionsverhältnissen noch nicht so richtig begriffen, und die Ausgangsthese, dass Behinderte auch böse sind, widerspricht der Ethik der Menschenrechte – aber es ist eben Shakespeare und man weiß, dass er historische Figuren zu großen Charakteren zu formen verstand und dass man vom unerbittlichen Gang des Schicksals mitgerissen wird.
Die Macht weniger wert als ein Pferd – Zum Abschluss der Shakespeare-Trilogie beim Theatersommer Netzeband wird »König Richard der Dritte« gespielt
Das macht sie für antike und klassische Stücke vorzüglich geeignet: für Die Nibelungen, Shakespeare, Goethe, aber auch für Grabbe, für Tragödien und Komödien, und natürlich für Märchen wie das Stück »Unter dem Milchwald« von Dylan Thomas, das die Kinder Jahr für Jahr magnetisch anzieht. Die eigenartige Schönheit des Synchrontheaters lockt die Zuschauer von der Prignitz bis Berlin und Hamburg an, immer gespannt: »Womit werden sie uns diesmal überraschen?« Matthus hat es verstanden, die originären Texte mit Anspielungen auf die aktuelle Politik und besonders auf die Kulturpolitik anzureichern.
Also werden die Zuschauer in Richard III. gefesselt von der Kunst der Heuchelei, des Intrigenspiels und des Mordens, die in jener grauen Vorzeit bestimmt viiiiel schlimmer geübt wurden als heute, wo es auch der Rechtsstaat schafft, Menschen, schuldig oder unschuldig, legal um die Ecke zu bringen. Was dank der Medien jeder Normalverbraucher »nachvollziehen« kann. Hier macht sich der Bösewicht viele Feinde, die sich gegen ihn verbünden und ihn als ihr Oberhaupt im Stich lassen. Richards Macht ist am Ende weniger wert als ein Pferd.
Das Spektakel ist ein Genuss für das Auge und ein Spaß für die Schauspieler, denn der Gutspark bietet Raum für das Laufen, Eilen, Stürzen der Verbündeten wie der Feinde, für Bedienstete, Knechte, Boten, Mordbuben und so weiter. Der Regisseur Hermann Höcker versucht, die Kurve in die geschriebene Geschichte zu kriegen, indem er die Figur des Narren einführt (bei Shakespeare in »König Lear« angelegt), der die Zuschauer ein wenig in die Vorgeschichte einweiht und ihnen die Moral von der Geschicht erklärt. Die Schauspieler bieten wieder glänzende Leistungen, ob Laie oder Profi, ist nicht zu unterscheiden. Hervorragend Judith Steinhäuser als Richard III. und Lena Mellin als Narr. Die Masken von Jana Fahrbach lassen einen Stil nicht erkennen, sie wirken wie aus verschiedenen Stücken ausgeliehen.
So weit gelungen – bis auf einen Haken: Der Gutspark in Netzeband hat den Vorzug, dass die Zuschauer vom Hang unter der Temnitzkirche die Spielfläche oder, wenn umgekehrt die Sitzplätze unten liegen, das Spiel auf dem Hügel gut sehen können. Bei Richard III. wurde ein gravierender Inszenierungsfehler gemacht. Die Szene spielt am tiefsten Punkt der Wiese. Die Zuschauer auf der Tribüne bis Reihe vier können den Schauplatz gut überblicken, aber von Reihe fünf an aufwärts sehen sie bestenfalls die Köpfe der Darsteller. Wenn die Zuschauer aber die Masken, die die Schauspieler am Ende abnehmen, und die Darsteller selbst nicht sehen können, bleibt das Theater quasi die Lösung eines Rätsels schuldig. Der Unfallschutz ist ebenfalls vernachlässigt.
Klassische Stücke gibt es in Fülle, jedoch erschöpft sich die Neugier allmählich. Gibt es moderne Stücke, die sich für das Synchrontheater eignen? Da kommen Stücke von Brecht in Betracht, die Brecht selbst oder Benno Besson zum Teil haben mit Masken spielen lassen (Der kaukasische Kreidekreis oder Der gute Mensch von Sezuan), doch wahrscheinlich auch Arturo Ui, Coriolan und vielleicht Die heilige Johanna der Schlachthöfe. Wie wäre es mit Medea von Christa Wolf, dramatisiert? Auch Komödien von Peter Hacks, Rudi Strahl und Heiner Müller könnten sich eignen. Der Versuch könnte lohnen, denn die Zuschauer könnten Erlebtes wiederfinden.
»Gleich um die Ecke«, in der Kammeroper Rheinsberg, gab es tags zuvor eine Opern-Uraufführung, »Adriana« von Elke Heidenreich (Libretto) und Marc-Aurel Floros (Musik). Ein Stück, das die alte Geschichte von Liebe, Leidenschaft, Anpassung, Kummer und Enttäuschung im Heute erzählen soll. Ein an den Haaren herbeigezogenes Problem soll das zeigen. Die junge Frau Adriana steht zwischen der Liebe zweier Brüder. Den reichen Geschäftsmann soll sie heiraten, während sie lieber den armen Romantiker will. Sie soll den Reichen heiraten müssen wie zu Shakespeares Zeiten. Weil ihre innere Zerrissenheit nicht tragisch genug erscheint, muss ein Drama im Drama her, in welchem die reuige Mutter, die Mann und Kind schnöde verlassen hatte, zurückkehrt, aber von Adriana wegen der erlittenen glücklosen Kindheit verachtet wird. Was in einem Monolog erzählt werden könnte, wird als zweiter Strang der Tragödie ausgewalzt. Der harte Fakten gewohnte Zeitgenosse soll gar glauben, dass sich die unglückliche Adriana während eines handgreiflichen Streits der Brüder in Luft auflöst (im Libretto saß sie zuletzt auf der Fensterbank!). Ein Rührstück, angesiedelt in einer heilen Welt. Die Zwänge der Zeit sind andere, zum Beispiel mit dem Verlust der Arbeit und der Wohnung, mit sozialem Abstieg oder mit einer von der Staatsmacht erzwungenen Trennung der Liebenden unterschiedlicher Nationalität.
Weitere Aufführungen von Richard III. am 14., 15., 21., 22., 28. und 29. August, jeweils 20.30 Uhr. www.theatersommer-netzeband.de