Die Architektin – Tatjana Turanskiy skizziert „Eine flexible Frau“ und ihr soziales Scheitern im Berlinale Forum

„Ist doch toll, dass du jetzt mal Zeit hast.“, sagt eine Bekannte Gretas. Die arbeitslose Architektin Anfang vierzig sieht das anders. Den Forderungen der auf Teamfähigkeit und Assimilation setzenden Arbeitswelt kann und will Greta sich nicht beugen, dennoch nimmt sie aus Angst vor dem Verlust ihres sozialen Status eine Call-Center-Stelle an und verdrängt mit Alkohol, dass sie ohne gesellschaftlichen und materiellen Halt ins gesellschaftlichen Abseits driftet. Für ihr als aufmüpfig empfundenes Verhalten wird die Architektin oberlehrerhaft behandelt. Die Lehrerin ihres Sohnes setzt Greta wortwörtlich zur Schulbank, beim Coaching heißt es: „Als Hausaufgabe definieren Sie ihre Ziele. Konkret.“ Doch Gretas Problem ist nicht Mangel an, sondern die Unerreichbarkeit ihrer Ziele. „Ich habe eine Erfolgsquote von 97 Prozent. Und sie sehen nicht aus wie drei Prozent.“, sagt ihr die Berufsberaterin. Wer scheitert, ist selbst schuld, ein Aussätziger, einer der drei Prozent. So wie Greta, die schließlich betrunken im Berliner Restaurant „Entrecote“, das so beliebt ist für lockere Geschäftsessen, ein solches Geschäftsessen sprengt:“Ich habe doch nur gesagt, dass ich Architektin bin, dass ich meinen Job verloren habe und dass heute mein Geburtstag ist. Was ist denn daran so schlimm?“

Inszenatorisch ist Turanskiys Drama schwach, die darstellerischen Leistungen sind nicht mehr als erträglich. Die ganze Kraft des Films liegt in der aktuellen Thematik und den pointierten Dialogen. „Dem Leitfaden folgen – präzise und auf die Situation eingespielt.“, wie es die Chefin des Call-Centers fordert, ist die entscheidende Fähigkeit, welche Greta fehlt. Originalität, Kreativität, Persönlichkeit – all dies ist nicht gefragt in der modernen Berufswelt. Man selbst sein soll man gefälligst woanders. Nach Feierabend oder wenn es keiner sieht. Dann trinkt die Grundschullehrerin drei Schnäpse auf ex und die Sozialarbeiterin gießt sich Wodka aus der Thermosflasche ein. Beide erzählen Greta die selbe Geschichte: dass sie nicht mehr an einen Nutzen ihrer Arbeit glauben, dass sie den Schülern oder Arbeitssuchenden gerne helfen würden, aber nicht können, weil „die es nicht schaffen“ und „es sowieso keine Jobs gibt“, dass ihnen vor ihrer frustrierenden Tätigkeit graut. Sie führen Greta das Leben vor Augen, vor dem sie unbewusst flieht, wenn sie fast absichtlich zu scheitern scheint.

Dennoch sind die anderen Greta voraus. Sie haben ein Arbeit, Greta 20.000 Euro Schulden. Fast immer finden Gretas Konfrontationen mit Frauen statt. In bestechender Schärfe entwirft Turanskiy das Bild einer Gesellschaft, in welcher sich die weibliche Emanzipation in einen konservativen Antifeminismus verkehrt hat. Gretas Ex-Mann bewährt sich als Vater des gemeinsamen Sohnes, ihre angeblichen Freundinnen hingegen begreifen ihr Verlangen nach Arbeit nicht. Die konservative Rolle der Mutter und Hausfrau, die von ihrem Mann abhängig ist, ziehen sie der Selbstständigkeit vor. „Diese Schnullibulli-Welt, diese heile Mutti-Welt, die Zuverdienerinnen-Welt“ ist Greta zuwider. Dieses Selbstbewusstsein macht sie trotz ihrer Sauferei, ihrer Unbeherrschtheit und ihrem Zynismus sympathischer als ihre angepassten Mitmenschen. Anders als die anderen lebt sie nicht in der permanenten Angst, unangepasst zu sein. Sie eckt an statt „Eine flexible Frau“ zu sein – zu einem hohen Preis.

Titel: Eine flexible Frau

Berlinale Forum

Land/ Jahr: Deutschland 2010

Genre: Drama

Regie und Drehbuch: Tatjana Turanskiy

Darsteller: Mira Partecke, Laura Tonke, Andina Weiler, Bastian Trost, Michaela Benn

Laufzeit: 97 Minuten

Bewertung: ***

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