Berlin, Deutschland (Weltexpress). Rasierschaum um den Mund, nur Unterwäsche als Bekleidung. Der ältere Herr ist noch nicht ganz fertig, offensichtlich, dennoch freut er sich auf den Ausflug. Fischen, mit dem Sohn. Ist doch besser als vor dem Fernseher zu hocken, sagt er zu Clint (Willem Dafoe). Einzige Problem: Clint sitzt in einer Höhle, sein Vater ist bloß eine Erscheinung. Clint ist geflohen, vor der Welt. In eine Andere, Fremde, Kalte. Felle und Feuer helfen beim Überleben.
In „Siberia“, dem italienisch-deutsch-mexikanischen Wettbewerbsbeitrag von dem US-amerikanischen Regisseur Abel Ferrara, wortkarg und bildgewaltig, begibt sich ein Mann auf die Suche nach sich selbst. Zunächst sucht er, der Gebrochene, in der Höhle die bloße Einsamkeit, doch das reicht nicht aus, bringt keinen inneren Frieden. Clint will sich finden. Erforscht seine Träume, konfrontiert sich mit Erinnerungen, halluziniert. Seine Reise gerät mitunter zum Tanz mit Dämonen, aber immer wieder gibt es Hoffnung. Licht, das plötzlich aufblitzt, erhellt die Finsternis. Auch die innere.
Ein Fiebertraum? Die Reise geht von einer schneebedeckten Berglandschaft bis in die Wüste, von der Kälte in die Hitze. Ihm begegnen neben dem Vater auch seine Ex-Frau. Oder auch Fremde. Etwa eine Oma mit Enkelin, die auf Russisch Wodka bestellen. Dann wieder groteske Fantasiewesen wie eine deformierte Zwergin im Rollstuhl. Alles sehr mythisch, sehr bedeutungsschwanger, sehr experimentell, sehr geheimnisvoll. Aber leider auch etwas wirr und verwirrend. Sehenswert ist der Film dennoch, wegen der verstörenden Bilder, aber vor allem wegen einem grandiosen Willem Dafoe. Ob der Streifen tatsächlich in Sibirien spielt? Egal, wie Abel Ferrara in der anschließenden Pressekonferenz erklärt. Für viele Amerikaner habe „Sibirien“ eben neben der geographischen auch eine soziale Bedeutung: Ausgegrenzt sein, Isolation, innere Kälte.
Filmographische Angaben
- Originaltitel: Siberia
- Originalsprache: Englisch
- Staaten: Italien, Deutschland, Mexiko
- Jahr: 2020
- Regie: Abel Ferrara
- Drehbuch: Abel Ferrara, Christ Zois
- Kamera: Stefano Falivene
- Schnitt: Fabio Nunziata, Leonardo D. Bianchi
- Musik: Joe Delia
- Darsteller: Willem Dafoe (Clint), Dounia Sichov (Exfrau), Simon McBurney (Magier), Cristina Chiriac (Russische Frau), Daniel Giménez Cacho (Lehrer), Phil Neilson (Waldarbeiter), Fabio Pagano (Mönch), Anna Ferrara (Clints Sohn), Laurentio Arnatsiaq (Inuit)
- Produzenten: Marta Donzelli, Gregorio Paonessa, Philipp Kreuzer, Jörg Schulze, Julio Chavezmontes, Diana Phillips
- Dauer: 92 Minuten