Gegen Windmühlen kämpfen – Der Debütfilm des Jury-Präsidenten in der Berlinale Retrospektive: Werner Herzogs „Lebenszeichen“

Eine Raupe folge immer der nächsten, sagt einer der Soldaten. Wenn man die erste Raupe wieder der letzten zuwende, müssten sie sich alle im Kreis zu Tode laufen. Der gleiche blinde Gehorsam bringt drei Wehrmachtsoldaten, unter ihnen der verwundete Stroszek, auf die Insel Kos. Hier sollen sie ein Munitionslager bewachen. Die darin gelagerte Munition ist für ihre Waffen nicht brauchbar. Die Soldaten, ihre Aufgabe, die Munition – alle sind sie nutzlos. Unter der brütenden Sonne bleibt die Zeit auf der Insel stehen. Die Monotonie des erzwungenen Nichtstun treiben Stroszek langsam in den Wahnsinn. Sich und die anderen sieht er als Gefangen einer perversen, nutzlosen Maschinerie, deren verzweifeltes Regen diese am Laufen erhält. Die verzerrte Weltsicht eines Irren oder eine Erkenntnis, so grausig, dass sie den Erkennenden den Verstand kostete? Wie die Fliegen, welche in einer mechanischen Miniatureule gefangen deren Bewegungen erzeugen, lauert in jedem „Lebenszeichen“ die Offenbarung des Irrsinns. Verschanzt auf einem alten Castell gibt Stroszek der Munition einen Zweck. Die Dächer der Stadt will er sprengen, um zu sehen „was unter den Dingen liegt“. Die Sonne, welche seinen Wahnsinn an den Tag gebracht hat, will er in Brand schießen. Doch letztlich „war er so elend und schäbig gescheiter, wie alle seinesgleichen.“

Diese gleichen sind die späteren Filmtitanen Herzogs, Aguirre, Fitzcerraldo oder da Silva. Zu ihrem Schicksal ist auch Stroszek verdammt, in dessen Aufbegehren gegen alles um in herum bei Herzog etwas „Titanisches“ liegt. Die Soldaten in sind das menschliche Pendant zu der griechischen Munition, die sie auf der Insel finden. Wie die Munition vom Militär dazu geformt, verpulvert zu werden, leiden sie darunter, das ihnen bestimmte Schicksal nicht erleiden zu können. Einen Drang zur Selbstauslöschung vermutet Stroszek schließlich in allem. Beschossen zu werden sei die Wollust einer jeden Stadt, phantasiert Stroszek. Das Sinnlose fasziniert Herzog. Immer wieder tritt es in Schlüsselwerken seiner Regie-Karriere auf. Wie in „Lebenszeichen“ ist dieses von Herzog als „Die Eroberung des Nutzlosen“ bezeichnete Sinnlose gleichzeitig verlockend und bedrohlich. Die großen Helden und Anti-Helden Herzogs glauben, das Sinnlose beherrschen zu können. Indem sie es erreichen, meinen sie die Natur, Gott oder eine höhere Gewalt bezwingen zu können. Doch mit dem Erlangen der Sinnlosigkeit zerstören sie ihren eigenen Geist. Die Berührung des Sinnlosen lässt sie selbst Sinn-los, ohne Verstand, werden.

Stroszek ist nicht der einzige, welcher unter dem erzwungenen Stillstand leidet. Beunruhigender als Stroszeks Verhalten ist der latente Sadismus, mit dem einer der Männer genüßlich beschreibt, wie man Tiere oder Insekten zu Tode quälen könne. Stroszek dagegen kann keiner Fliege etwas zu Leide tun, ob er will oder nicht. Nur einen Esel trifft es. Vermutlich auch das nur ein Querschläger von Stroszeks Feuerwerk-Knallerei. Ein Stuhl geht auch in Flammen auf. Wie Herzog persönlich dies aus dem Hintergrund kommentiert hat etwas Rührendes, als verstünde der Sprecher den aussichtslosen Kampf des Soldaten. Lächerlich mögen nur seine Kampfgefährten gelegentlich wirken, die anders als Stroszek nie kämpfen. Als sie es doch tun, ist es, um ihn zu bändigen. Mehr als Anti-Held ist Stroszek ein tragischer Held. Ein Held, dessen Heldenmut ins Leere gerichtet ist und der sich daher einen imaginären Gegner sucht. Sinnbildlich äußert sich dieser Kampf gegen Windmühlen als ebensolcher. Angesichts eines Feldes voller Windmühlen äußert sich zum ersten mal Stroszeks Wahnsinn. Trotzig scheinen die Windmühlen dort zu stehen, als wollten sie Stroszek als Don Quichote verhöhnen. Kaum ein Regisseur vermag wie Herzog Dingen oder Ereignissen einen ungeahnten emotionalen Gehalt verleihen. Die trotzigen Windmühlen, der halb wie aus mitleidigem Spott brennende Stuhl. Zeigt die Kamera Thomas Mauchs, mit dem Herzog mehrfach zusammenarbeitete, den zerschmetterten Schädel des Esels, erlangt sogar dessen Tod etwas ungeahnt Tragisches.

Das Tiermotiv erinnert an die Insektenkarawanen, welche auf der Insel über den Boden kriechen. Wie Insekten schlängeln sich die Armeefahrzeuge mit dem physisch versehrten, geistig gesunden Stroszek auf die Insel. In der letzten Szene tragen sie ihn wieder fort, gesundet am Körper, krank im Geiste. Die Insel wird zum Ort seiner Bestimmung. Wer die gefunden hat, dem sei nicht zu helfen, schließt die Erzählerstimme. Des Menschen Wille ist sein Himmelreich. Kaum ein anderer Filmkünstler hat Glanz und Bitterkeit jener Wahrheit wie Herzog auf die Leinwand gebannt. Von außen kommt dieser Himmel einer Hölle gleich.

Titel: Lebenszeichen

Berlinale Retrospektive

Land/ Jahr: BRD 1967

Genre: Drama

Regie und Drehbuch: Werner Herzog

Darsteller: Peter Brogle, Wolfgang Reichmann, Athina Zacharopoulos, Wolfgang Stumpf

Laufzeit: 87 Minuten

Bewertung: *****

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