Der Staat bin ich – “Il Divo” führt korrupte Mechanismen der italienischen Regierung vor

Szene aus der Film "Il Divo"

Giulio Andreotti (Toni Servillo) ist “Der Fürst” im Sinne Machiavellis. Minister auf Lebenszeit, Spitzenpolitiker der konservativen Partei Italiens, schien er zu Beginn der Neunziger mit seiner Kandidatur als Präsidenten der Republik im Zenit seiner Laufbahn angelangt. Gleichzeitig nehmen staatliche Ermittlungen gegen Andreotti ihren Anfang. Die Reihen um ihn beginnen sich zu lichten. Ein mächtigerer Gegner Andreottis ist die Mafia. Mit dieser soll der schweigsame Politiker selbst verstrickt sein. Doch der verschlossene Andreotti entpuppt sich, für Unterwelt und Rechtsstaat gleichermaßen als hartnäckiger Gegner. Beim Damespiel kann ein geschickter Zug eine Reihe von Gegner schlagen und einen selbst zur mächtigsten Figur machen. Und werden die opulenten Räume durch die Schwarz-Weiß Muster nicht zum politischen Spielbrett? Ein Kardinal, ein Geschäftsmann, verschiedene Minister – zu den “Unberührbaren” zählt am Ende nur noch “Il Divo”. Der Segen kommt von höchster Instanz. Neunundzwanzig Mal angeklagt, Neunundzwanzig Mal freigesprochen. Wie ein Mantra sagt der Titelcharakter die Urteile am Ende auf. Gottes Wege sind unergründlich, die des “Göttlichen” Andreotti ergründet “Il Divo”.

Giulio Andreotti gewinnt im Film diabolisches Format. Beelzebub war einer seiner Spitznamen, ebenso “die Ewigkeit”, “der schwarze Papst”, “Mann im Dunkeln” oder einfach Giulio. So nennt ihn nur noch seine Frau. Livia Andreotti (Anna Bonaiuto) scheint ihn als einzige nicht zu fürchten. Andreotti respektiert sie, weil er weiß, dass sie ihn kennt. Ihr Urteil über ihn ist die größte Erniedrigung, welche ihm widerfährt. Als einfachen Mann enthüllt sie ihn, mit ein wenig Bildung, ein wenig Überzeugungskraft, mehr nicht. Durch Taktik ist er in die höchsten Ränge aufgestiegen. Seine Kunst war vor allem die des Wartens. Warten, bis ein Politcoup gefahrlos ist, warten, bis sich die Gegner selbst zu Fall bringen. Dann eiskalt die Stelle des Widersachers einnehmen oder sie mit einem Günstling besetzten. Nüchtern lässt Regisseur Paolo Sorrentino seine Charaktere ermorden. Zum Abspann singen die Fehlfarben “Da da da” – sarkastische Metapher für die sich stets wiederholende Monotonie des Politzirkus. Die Ermordeten sind Bauernopfer im Spiel der Macht. Als solches ist “Il Divo” durch seine bestechenden Szenebilder angelegt. Schachbrettmuster stechen hervor, die hohen Gänge erscheinen wie ein Labyrinth, dem nur entrinnt, wer dem Ariadnefaden der Macht folgt. Wer sich darin verirrt, ist tot – keineswegs nur beruflich. Er würgt am vergifteten Kaffee oder endet mit einer Kugel im Kopf.  “Il Divo” verzerrt Andreotti nicht zum menschlichen Monster, sondern entwirft das scharfsichtige Porträt eines skrupellosen Machiavellisten.  Niccolo Machiavellis “Der Fürst” muss Giulio Andreotti genau gelesen haben. Tugend setzt er gleich mit politischem Tatendrang. Seine immerwährenden Kopfschmerzen bereitet ihm, was er nicht kalkulieren kann, seine schlechte Konstitution. Vielleicht schlagen sich hier die permanenten Sorgen um die Staatsgewalt in psychosomatischen Schmerzen nieder.

Nicht Amoralist ist der Hauptcharakter, sondern Machtmensch. In seiner politischen Funktion fühlt er sich nicht an Ethik und Gesetz gebunden. Als Individuum kennt er durchaus Selbstzweifel. Regelmäßig besucht er die Kirche. Im katholischen Italien ist sie unverzichtbarer Bündnispartner im Geflecht der Macht. Doch Sorrentino zeigt mehr. Einen einsamen Menschen, den seine hohe Position isoliert hat. Nicht einmal spazieren gehen kann er in Ruhe. Die Leibwächter schützen ihn nicht nur, sie bewachen ihn. Zum freudlosen Gefangenen seiner eigenen Herrschaftsstellung ist Andreotti geworden. In seinen brillantesten Momenten erinnert Hauptdarsteller Toni Servillo, zu Recht für seine intensive Darstellung mit dem Europäischen Filmpreis ausgezeichnet, an Shakespeares Richard III. Der Hohn und die Verbitterung des Bühnencharakters gehen ihm jedoch ab. Bemitleidenswerte Züge erhält er dadurch, erscheint beinah armselig mit seinen ständigen physischen Beschwerden. Im Grunde seiner Seele ist er ein kleiner Mann. Vielleicht macht ihn dies so heimtückisch. “Die Bösartigkeit der Guten ist sehr gefährlich.” Ebenfalls ein Zitat von Andreotti.

Der reale Andreotti war nicht erfreut über sein filmisches Ebenbild. Wahrscheinlich wird er “Il Divo” in sein “privates Archiv” aufnehmen, von welchem im Film die Rede ist. Hier notiert er im Geiste jeden Verstoß seiner  potentiellen Gegner und deren Schwächen. Paolo Sorrentino vermittelt in seiner visuell wie darstellerisch herausragenden Charakterstudie nicht nur das Bild eines erbarmungslosen Parteiführers. Er stellt in beängstigender Klarheit die Korruption, Intriganz und Impertinenz eines gesamten Politapparates dar. Jesus antwortete nicht, als er nach der Wahrheit gefragt wurde, sagt Andreotti einmal. Sorrentino wurde nicht gefragt. Gesprochen hat er mit “Il Divo“ dennoch. 

Titel: Il Divo – Der Göttliche

Genre: Biographie

Kinostart: 16. April 2009

Regie und Drehbuch: Paolo Sorrentino

Darsteller: Toni Servillo, Anna Bonaiuto, Giulio Bosetti, Flavio Bucci

Länge: 117 Minuten

FSK: keine Angaben

Verleih: Delphi

Internet: www.ildivo-derfilm.de

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