Hamburg, Deutschland (Weltexpress). Susanne Gerhards war ein typisches Pferdemädchen und ist heute auf dem Weg zum Natural Horsewoman. Ihr Literaturwissenschaftsstudium führte sie nach Hamburg und zurück zu den Pferden. Nach den Jahren an der Universität und dem Berufseinstieg wuchs der Wunsch nach erneutem Pferdekontakt. Das führte dazu, dass sie 2010 ihr erstes eigenes Pferd auf eine große Wiese am Hamburger Stadtrand stellen konnte. 2018 lernte sie bei Uwe Weinzierl das Natural Horsemanship kennen und lieben. Ihr zehnjähriger Wallach Blondie war von Dezember bis April in Neu Drehfahl bei Uwe Weinzierl zur „Umschulung“ auf die Arbeitsweise nach Weinzierl Natural Horsemanship. Susanne Gerhards hat Blondie dort oft besucht und mitgelernt. Kommunikation spielt auch in ihrem Leben jenseits der Pferde eine große Rolle. Sie ist macht als Teilzeit-Angestellte und Teilzeit-Selbstständige in der Öffentlichkeitsarbeit tätig und als Systemischer Coach und Systemische Teamentwicklerin unterwegs.
Das Interview
Paschel: Liebe Susanne, als Pferde- und Katzenliebhaber werden wir uns gut verständigen können bei diesem Interview. Ich liebe Katzen, weil sie so selbstständig sind und gleichzeitig so verschmust, wenn man sie respektiert. Mein letzter Kater ist mit 17 Jahren an Nierenversagen gestorben. Er hieß Amadeus und hat mich vor dem Haus immer mit einem herzzerreißenden Gesang begrüßt, wenn ich von der Arbeit heimkam. Beim Fernsehen lag er immer schnurrend auf meinem Bauch. Kurz vor seinem Tod lag er oft auf der Heizung.
Gerhards: Lieber Bernd, da haben wir ja schon gleich zwei Gemeinsamkeiten – Pferde und Katzen! Mein erster Kater Joschi war ein großer Schmuser – zumindest Menschen gegenüber. Mit den Nachbarskatern lieferte er sich hingegen wilde Kämpfe. Tinka, seine Nachfolgerin, sah etwa so aus wie dein Amadeus. Sie war eine sehr unabhängige Dame, wie Amadeus ist sie 17 Jahre alt geworden. Streicheln fand sie überflüssig, aber sie hat es unheimlich genossen, immer in der Nähe zu liegen und dabei zu sein. Nun wohne ich mit einem roten Tigerkater zusammen. Ich habe meine Katzen aus dem Tierheim übernommen, für mich eine gute Möglichkeit, etwas zum Tierschutz beizutragen.
Paschel: Als Moderner Fünfkämpfer habe ich 1969 im Mekka des Reitsports „Warendorf“ als junger Kölner Sportstudent Reiten gelernt. Die Legende des Mod. 5-Kampfes hat mich damals sehr motiviert. „Ein Kurier sollte eine Botschaft überbringen, dabei wird ihm in feindlichem Gelände das Pferd getötet, er verteidigt sich zunächst mit der Pistole, danach mit dem Degen, schwimmt danach durch einen weiten Fluss (300 m) und legt die Strecke bis zum Ziel querfeldein (4000 m) laufend zurück.
Wie sind Sie zum Reiten gekommen?
Gerhards: Die Fünfkampf-Legende kannte ich noch gar nicht – ich kann gut verstehen, dass sie junge Sportlerinnen und Sportler anspornt! Ich war ein typisches Pferdemädchen, würde ich sagen. Los ging es mit Ponyreiten auf der Schwäbischen Alb: Genervte Eltern führten gleichmütig an jedem Grasbüschel zupfende Shettys mit strahlenden Kindern auf dem Rücken. Auf dem Ponyhof Schepper bekam ich auch meine ersten Reitstunden – auf einem Großpferd – und bin gleich mal runtergefallen. Das hat mich aber nicht abgeschreckt. In Bonn, wo ich ursprünglich herkomme, durfte ich dann regelmäßig Reitstunden nehmen. Am besten gefielen mir jedoch die Sommerferien auf einem Ponyhof auf Langeoog. Dort habe ich mehrere Jahre hintereinander mit einer Freundin für jeweils drei Wochen Urlaub gemacht. Wir bekamen jede ein eigenes Pflegepony, das wir versorgen und reiten durften und konnten zusätzlich auf den „Großen“ – das waren Norweger und Haflinger – geführte Ausritte mitmachen. Auf den Ponys ging es immer ohne Sattel durch die Dünen und am Strand entlang. Herrlich!
Paschel: Schon 1969 als Reitanfänger hatte ich das Gefühl, dass in unserem Umgang mit dem Pferd etwas nicht stimmte. Als mehr oder weniger angstfreier Sportler habe ich mich schon damals gefragt, ob es nötig ist, so gewalttätig auf das Pferd einzuwirken. Die Antwort fand ich erst 25 Jahre später, als ich vom Pferdeflüstern und Monty Roberts hörte.
Wie haben Sie diesen Schlüssel gefunden?
Gerhards: Wettkampfmäßig bin ich nie geritten, der Einblick in diese Welt fehlt mir also. Meine Reitlehrer waren schon überwiegend „alte Schule“ und fanden nichts dabei, uns die Gerte ans Herz zu legen, wenn „der Bock nicht läuft“. Andererseits erinnere ich auch, dass sie superstreng waren, was Zügeleinwirkung angeht – da lautete das Mantra „Ihr lenkt nicht mit den Zügeln, sondern mit Gewicht und Schenkeln, verdammt noch mal!“ Insgesamt war von partnerschaftlichem Umgang mit dem Pferd aber natürlich keine Rede. Als Jugendliche habe ich das auch wenig in Frage gestellt – für mich waren die Reitlehrer kompetente Autoritäten, wenn die sagen „Gerte!“, dann wird das wohl richtig sein.
Als ich dann nach 20 Jahren Pause in Hamburg wieder mit dem Reiten begonnen habe, stand für mich fest: Ich mache das ohne jeden sportlichen Ehrgeiz zu meinem Vergnügen. Der Reitstall, in dem ich bin, ist ohnehin eher freizeitorientiert. Entsprechend wenig ehrgeizgetrieben erlebe ich den Umgang mit den Pferden. Schlimm fand ich die paar Male, als ich als Turniertrottel Stallkollegen begleitet habe: Da brüllten entnervte Amateure ihre Pferde an, haben sie verdroschen und bösartig mit Sporen traktiert – nee, danke.
Dass es auch ganz anders geht – sowohl bei meiner Freizeitreiterei als auch für sportlich Ambitionierte –, hat mir meine erste Reitbeteiligung vermittelt: Sie hatte ein paar Pat Parelli-Kurse besucht und die sieben Spiele dann an meinem ersten eigenen Pferd, meinem alten Gandalf, ausprobiert. Das fand ich ganz beeindruckend. So richtig gezündet hat es da aber noch nicht. Das kam erst, als ich für mich und Blondie einen Weg zum Wiedereinstieg ins Reiten gesucht habe.
Paschel: Ca. im Jahr 2005 konnte ich ein schwer traumatisiertes M-Springpferd mit guter Trakehner-Abstammung von Malteser Gold zum Schlachtpreis erwerben. Die Vorbesitzer hatten es angeblich kaputt geritten, weil Merry Lou aufgrund ihrer Abstammung Grand-Prix-Potential haben musste, jedoch sie ließ sich nicht brechen und so kam sie zu mir, tretend und beißend, nicht zu halten. Zum Beschlagen musste sie in die Pferdeklinik nach Gießen gebracht werden, da sie jeden Hufschmied instinktiv abwehrte, wenn er näher als zwei Meter kam. Ich machte mehrere Hufkurse und es dauerte fast drei Monate, bis sie mir freiwillig ihren Huf gab. Ein versierter französischer Hufschmied (D. Dejos), der Merry Lou kannte, erklärte sich bereit, ihre Hufe zu bearbeiten, wenn ich sie halten würde. Es war nicht möglich, ich musste selbst lernen, die Hufe zu bearbeiten. So entstand unsere Beziehung und mir wurde klar, dass das nur möglich war mit einem Paradigmen-Wechsel. Haben Sie etwas Vergleichbares erlebt?
Gerhards: Das ist ja eine berührende Geschichte – wie schön, dass Merry Lou bei Ihnen und nicht beim Schlachter gelandet ist! So dramatisch ging es bei mir wahrlich nicht zu. Als Paradigmen-Wechsel erlebe ich das Natural Horsemanship aber auch. Am deutlichsten merke ich das beim Umstellen aufs gebissloses Reiten am Knotenhalfter. Blondie und ich sind ja bei Uwe Weinzierl gelandet, weil Blondie nach ein paar Jahren „Weidepraktikum“ (er hatte Rücken) wieder ein Reitpferd werden sollte. Ich merkte zu Hause schnell: Besser erst mal Beziehungsarbeit machen als Reittraining. Da fiel mir dann wieder Parelli ein. Zufällig stieß ich beim Rumdödeln in der Mediathek auf die NDR-Nordstory. Auf der Webseite sah ich, dass man zu Kursen in den Wald fahren konnte und habe mich angemeldet. Blondie und ich waren da noch weit davon entfernt, dass ich ihn hätte reiten können. Wir haben aber schon am Boden gearbeitet. Da wurde mir schnell klar: Es geht es beim Horsemanship um eine andere Art der Kommunikation. Oder anders gesagt: Es geht um Kommunikation statt Kontrolle mit Hilfsmitteln.
Und jetzt kommt das Gebiss wieder ins Spiel: Mir war das gar nicht so bewusst, dass ich das Gebiss im Maul trotz der ständigen Ansagen „mit Gewicht und Schenkeln reiten“ so sehr als Kontrollinstrument abgespeichert hatte – wenn es brenzlig wird, zieh ich halt dran. Da war es für mich vor allem mental eine echte Herausforderung, beim Reiten immer wieder mal zwischendurch abzufragen: Kannst du mir noch deinen Kopf geben? Und ansonsten die Zügel schön lang zu lassen. Inzwischen habe ich mehr zum Thema Gebiss gelesen – du schreibst ja selbst viel und viel Aufklärendes darüber! – und daraufhin Blondies alte Wassertrensen zu Seilhaltern im Stallspind umfunktioniert.
Paschel: Durch Uwe Weinzierl, der nie wettkampfmäßig geritten ist und eigentlich unter den klassischen Horsemen lange als Indianer galt, habe ich gelernt, was eine partnerschaftliche Beziehung zwischen Mensch und Pferd ist. Als Universitätsdozent ist mir dann durch die Magisterarbeit einer Sportstudentin, die ich betreut habe, klargeworden, dass Respekt in fast allen Reitweisen als monodirektionaler Gehorsam des Pferdes dem Menschen gegenüber verstanden wird, nicht als bidirektionales Prinzip der Beziehung.
Hat Dir Uwe etwas Vergleichbares vermittelt? – Entschuldige, jetzt bin ich beim Du gelandet
Gerhards: Kein Problem, mir lag das auch schon auf der Zunge. Ja, das geht mir auch so. Meine größte Einsicht aus den Kursen ist tatsächlich, dass Respekt eben keine Befehlskette von oben – Mensch – nach unten – Pferd – ist, sondern dass ich als Mensch, der mit Pferden umgeht, die Aufgabe und vor allem auch die Verantwortung habe, mich um eine echte Kommunikation mit dem Pferd zu bemühen und klar in meiner Kommunikation zu sein. Ganz anschaulich ist mir das in den Camps und während Blondies und meiner Lernzeit in Neu Drehfahl geworden: Immer wieder klappen Dinge nicht, die wir doch eigentlich schon gelernt hatten. In solchen Fällen ermutigte mich Moirin vom Weinzier-Team, die Blondie zum Horsmanship-Horse ausgebildet hat, zu überlegen: Woran liegt’s? Bin ich zu unklar? Was signalisiert mir Blondie? Müssen wir vielleicht noch mal an einer anderen Stelle ansetzen und nacharbeiten? Und andersherum hat Moirin ganz viel Wert daraufgelegt, dass ich aufmerksam wahrnehme, ob Blondie nicht schon einfach mal in vorauseilendem Gehorsam eine Übung vorwegnimmt. Ich fand das anfangs immer super und fühlte mich schon als Könnerin – hach, das Pferd reagiert allein auf meine Gedanken! Aber nix da, wir müssen uns schon zuhören, Blondie und ich. Spannend finde ich in diesem Zusammenhang auch die Diskussion um das Thema Kommunikation und Druck: Wie viel? Wann? Wann nicht? Was, wenn Druck nicht weiterführt? Da gibt es ja auch bei Uwe und seinem Team unterschiedliche Ansichten und Ansätze.
Paschel: In deinem Artikel „Blondie und Blindie“ geht es um die sieben Alphatier- Spiele, welche von Pat Parelli stammen. Sie sind eigentlich die Grundlage für alle Horsemen, die sich dem Natural Horsemanship (NHS) zuordnen. Am Anfang habe ich das verstanden als ein Rezept für Pferdeflüsterer. Jetzt denke ich, es ist der Anfang eines sehr langen Lernprozesses.
Wo stehst du gerade?
Gerhards: Jetzt muss ich lachen – ich dachte vor meinem ersten Camp im Wald auch: Prima, da bekomme ich eine Bedienungsanleitung für den Umgang mit dem Pferd. Zum Glück habe ich viel mehr bekommen … Ich denke, dass ich noch ziemlich am Anfang stehe. Blondie und ich sind schon herrlich durch die Ruhner Berge galoppiert und die Bodenarbeit in Neu Drehfahl hat prima geklappt. Jetzt geht es darum, dass wir das zu Hause genauso gut hinbekommen und weiter dazulernen. Dank der Camps und meinen Unterrichtsstunden während Blondies Ausbildung fühle ich mich dafür gut gewappnet. Zumindest kommen mir schon mal zwei, drei Ideen, was ich anders machen kann, wenn etwas nicht klappt. Ich habe außerdem eine tolle Trainerin gefunden, die zu mir und Blondie kommt – und natürlich kann ich Moirin, Uwe und sein Team immer um Rat bitten. Das ist klasse. Und über kurz oder lang möchte ich mit Blondie unbedingt mal beim Hufball mitspielen.
Paschel: Das Hufballspiel hat mir damals mit Merry auch sehr gut gefallen. Schon deshalb wäre ich geneigt, mal wieder bei Uwe einen Kurs zu besuchen. An Uwe finde ich besonders gut, dass er sich in den 15 Jahren unserer Bekanntschaft immer weiterentwickelt hat und sich selbst kritisch hinterfragen lässt. Bei einem Lehrgang mit Sportstudentinnen haben wir einen Mondscheinritt veranstaltet, wo der Mond plötzlich hinter den Wolken verschwand, sodass man im Wald seine eigene Hand nicht mehr sehen konnte. Ich hatte das Gefühl von einem absoluten Kontrollverlust und überließ als Blindie-Total meiner Stute Merry Lou die Führung.
Gerhards: Gute Idee – den Mondscheinritt nehme ich sofort in meine Horsemanship-To do-Liste auf! Aber in der Tat merke ich, dass ich mich schon sehr intensiv mit dem Thema Kontrolle auseinandersetze auf meinem Horsemanship-Weg. Zu Recht weisen ja auch die Trainerinnen und Uwe immer wieder darauf hin, dass mehrere hundert Kilo Pferd schon für die eigene Sicherheit im Umgang kontrollierbar sein müssen. Mir gefällt dabei vor allem der Gedanke, dass ich dafür aber nicht ständig am Pferd herummache, sondern ihm eigene Aufgaben übertrage. Sei es nun im Roundpen, wenn Blondie in der „Fließbandarbeit“ unaufgefordert so lange trabt, bis ich etwas Anderes vorgebe. Oder auch beim Reiten: Ich bin dafür zuständig, Richtung und Tempo anzusagen, Blondie ist dafür zuständig, das umzusetzen und keinen Quatsch zu machen. Das muss ich ihm aber auch zutrauen. Als ich in Neu Drehfahl wieder aufgestiegen bin, waren alle – Blondie eingeschlossen – davon überzeugt, dass er das kann. Nur ich hab’s nicht geglaubt. Ich kann dir gar nicht sagen, wie oft Moirin und Conny mir klarmachen mussten: „Lass die Zügel lang und stör Blondie nicht, der macht doch brav seine Arbeit!“
Paschel: Bei den Alphatier-Spielen gibt es ja allgemein verschiedene Grundregeln, wie physischer Druck, rhythmischer Druck, die vier Stufen der freundlichen Bestimmtheit und das Prinzip von „Annäherung und Rückzug“, alles Interaktionen, die unter den Pferden noch viel differenzierter erkennbar sind, wenn man sich denn die Zeit nimmt, sie zu beobachten. Das letztere hat mir persönlich sehr lange Probleme bereitet, da man in dem Moment, wo das Pferd richtig reagiert, zurückgehen muss, was quasi ein Lob in der Pferdesprache ist.
Den Druck weg zu nehmen im richtigen Moment ist vielleicht für Männer schwieriger als für Frauen, oder?
Gerhards: Hm. Gute Frage! Gefühlt führen ja eher Männernamen die Horsemanship-Bekanntheitsskala an … Ich könnte mir schon denken, dass gesellschaftliche Rollenerwartungen bei Männern und Frauen zu einem anderen Umgang oder einer anderen Einstellung zum Thema Druck führen. Das wäre doch mal ein spannendes Thema für eine Untersuchung. Für mich persönlich kann ich auf jeden Fall sagen, dass das richtige Timing zu den schwersten Übungen gehört. Leider bin ich ein echter Koordinierungs-Legastheniker – Blondie muss schon eine Menge Geduld aufbringen, bis ich die richtigen Bewegungsabläufe draufhabe!
Paschel: Vom Kater über Hufball bis zum gebisslosen Reiten – da haben wir jetzt wirklich viele Gemeinsamkeiten gefunden. Vielen Dank, liebe Susanne, für diesen lebendigen Austausch.