Berliner Sechstage-Rennen: 103 Jahre und kein bisschen müde – Mix aus Sport und moderner Unterhaltung

"Könne Sie uns sagen, wer am Ende die Sechstage gewinnen wird", war auf der Eröffnungs-Pressekonferenz eine Frage. Die darauf abzielte, dass beim Sechstage-Spektakel ja doch wohl Absprachen gang und gäbe seien…

Das war einmal. Als die Stars bei der Fülle von konkurrierenden Veranstaltern solch eine Vorzugsbehandlung samt fetter Antrittsgagen verlangen konnten. Ist heute nicht mehr der Fall. Der sportliche Leiter Dieter Stein (58), einst beim ostdeutschen Pendant Winterbahnrennen zu den Sechstage-Wettbewerben im Westen überaus erfolgreich und populär, meinte daher nur: "Wir haben ein Feld, das zu je einem Drittel aus Weltklasse-Paaren, aus internationaler Mittelklasse und hoffnungsvollem Nachwuchs besteht. Wer von den sechs Spitzen-Duos die Nase vorn haben wird, das wird man sehen."

Nach den ersten drei Abenden kristallisierte sich heraus, dass die deutsch-belgische Kombination Leif Lampater/Jasper de Buyst, die belgisch-deutsche Paarung Kenny de Ketele/Andreas Müller und die Lokalmatadoren Robert Bartko/Theo Reinhardt erste Anwärter auf Siegerschleife und Prämie sein dürften.

Fachmann Stein preist zudem die Klasse des Zweier-Weltmeisters Vivien Brisse (Frankreich) heraus, diesmal mit dem Deutschen Christian Grasmann. Und die der spanischen EM-Zweiten David Muntaru/Albert Torres. Der einstige Sechstage-König und Berliner Publikums-Liebling Franco Marvulli (Schweiz)/ Luke Roberts (Australien)? – "Muß man abwarten. Roberts war lange verletzt." Der 35-jährige Marvulli verkündete: "Das wird mein letztes Rennen. Berlin ist der richtige Standort für den Abschied."

Reiner Schnorfeil, Inhaber einer Delmenhorster Sport- und Eventmarketing-Agentur und Geschäftsführer der Berliner Sechstage, ergänzte zu Siegabsprachen, das sei ein Mythos aus vergangenen Tagen und habe mit dem aktuellen Geschehen nichts zu tun…

Der 57-Jährige ist seit 1998 mit dem Fokus auf Radsport und Sechstage im Geschäft. Erst als Mitarbeiter, dann als Partner des verdienstvollen Bremer Veranstalters Heinz Seesing (76), der sich im Vorjahr zurückgezogen hatte. Schnorfeil nutzte sein Vorkaufsrecht und erwarb von Seesing dessen Hälfte an den Berliner Sechstage-Rechten für etwa 50 000 Euro.

Eine kühne Investition, denn Sechstage-Wettbewerbe scheinen momentan nicht zeitgemäß, wie ein Sportmoderator von Info-Radio Berlin zum Besten gab.

In der Tat, gibt es in Deutschland von einst mehr als einem halben Dutzend nur zwei, die nicht Pleite gegangen sind: Bremen und Berlin!

Die verdanken ihre Existenz Seesings kaufmänischer Seriosität und Verhandlungsgeschick. In Berlin hat er nach Gesprächen mit dem Senat und Radsport-Experten nach dem Mauerfall und dem Bau des für Olympia 2000 geplanten Velodroms (auf dem Gelände der abgerissenen Ostberliner Werner-Seelenbinder-Halle) die Sechstage wiederbelebt. Und so läuft derzeit die 103. Auflage, zugleich die damit traditionsreichste Sportveranstaltung der Hauptstadt.

Andere sind den Bach runter gegangen — die Offenen Deutschen Tennis-Meisterschaften der Damen (die wären auch bei über 100 angelangt) beispielsweise, der Straßenrenn-Klassiker "Rund um Berlin", die Große Grünauer Ruderregatta u.m.a.

Der Sechstage-Charakter hat sich seit den Goldenen Zwanziger Jahren sowie den Nachkriegsjahren im legendären Sportpalast (mit dem Original Krücke und dem heute noch aktuellen Sportpalast-Walzer) im Kern kaum verändert, aber doch angepasst: Es ist eine Mixtur aus Unterhaltung, Show und sportlichen Leistungen geblieben.

Der Unterhaltungsteil ist seriöser geworden und soll jüngeres Publikum anlocken. Daher moderne Bands, daher flirrende Disko- und Laserlicht-Effekte.

Ob das im Sinne eines Großteils der Besucher ist, bleibt fraglich. Denn geschätzt die Hälfte derer gehört der Ü-50-Altersgruppe an. Was sie nicht hindert, fleißig Handys, I-Phone, Smart-Phone u.ä. zücken, um so digitale Erinnerungen mitzunehmen.

Die allgemeine Krise der Sechstage-Kreisel – europaweit gibt es nur noch neun – hat mehrerlei Ursachen: Imageverlust des Radsports durch die Doping-Problematik, daher Rückzug des Fernsehens und von Sponsoren. Und vor allem wirtschaftliche Engpässe: Hallenmiete, Auf- und Abbau, enormer Personalaufwand, Verpflichtung der Fahrer, deren Hotelkosten, verschlingen viel Geld. In Berlin liegt der Gesamt-Etat um die 3,2 Millionen Euro. Davon entfallen ca. 400 000 auf Gagen für die Pedaleure.

So richtig möchte Schnorfeil die Zahlen nicht bestätigen. So gibt es offiziell auch keine Auskunft, wie die Relation zwischen gesicherten Antrittshonoraren und den zusätzlichen Prämien bei den jeweiligen Wettbewerben sind.

Insider versichern, dass den Top-Paaren nicht mehr wie noch vor der Finanz- und Wirtschaftskrise vor 2000 um die 50 000 Euro Antrittsgage garantiert sind. Vor zwei Jahren hatte Titelverteidiger und Lokalheroe Robert Bartko die ihm gebotene Summe von 13 000 Euro als Frechheit und den Start abgelehnt…die erstrampelten Preisgelder jedenfalls reichen auch im besten Falle nicht an die Fixgagen heran.

Bedeutet: Die Radprofis werden hier wie Künstler entlohnt. Und nicht wie in anderen Sportarten vorrangig nach Leistung.

Auch die Transparenz globaler Sportarten ist traditionell beim Sechstage-Zirkus (noch) nicht Usus: Jedermann kann nachlesen, dass beispielsweise die Siegerin der Australian Open im Tennis, die Chinesin Li Na, für ihren Triumph einen Scheck in Höhe von 2,65 Millionen Dollar einlösen darf.

Schnorfeil ("Ich bin gelernter Kaufmann") glaubt trotz des allgemeinen Sechstage-Rückgangs an die Zukunft der Branche. Jüngere Besucher-Zielgruppen stärker ansprechen, wie früher bekannte Tour de France-Stars ranholen, mit dem Weltverband UCI eine Serie mit durchgehender Wertung und dann "höheres Preisgeld um die 175 000 Euro" sind so Dinge, die ihm vorschweben.

Nach einem sinkenden Zuschauer-Interesse 2012 seien die Zahlen im Vorjahr wieder deutlich besser geworden. Diesmal hat allein die Tatsache, dass der Versicherungs-Unternehmer, Sixdays-Sponsor und Radsport-Unterstützer Axel Lange die Fußball-Denkmäler Franz Beckenbauer und Uwe Seeler "gratis, weil gut befreundet" für den gemeinsamen Startschuss gewinnen konnte, dafür gesorgt (neben üblichen Freikarten an den gesamten Tagen!), dass schon der eher nicht so gefragte Donnerstag mit 12 000 einen "sehr guten Besuch" verzeichnete. So soll am Dienstag wieder die Maximalzahl von 72 000 erreicht werden.

Zumindest bis 2018 – so ist der laufende Vertrag befristet – dürfte es im Velodrom rund gehen.

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