Bei den Revolutionären – Die neue Freiheit in Tunesien

Langsam lösen sich die Gruppen von dutzenden heftig diskutierenden Männern und Frauen auf und schließen sich dem Demonstrationszug an. Der Anführer Mohamed, der noch schnell sein Hosenbein hochkrempelt, um Kameraleuten seine vernähten Narben zu zeigen, die seit der dreitägigen Revolution im Januar nun quer über das rechte Bein verlaufen, wird auf die Schulter eines der Teilnehmer gehoben. Dicht gedrängt marschieren sie los. Mohamed ruft immer wieder, dass sie endlich die absolute Freiheit wollen. Einige tragen Spruchbänder. Bis zum Stacheldraht können sie ungestört laufen. Dahinter stehen die Männer des Militärs mit finsterer Miene, das Maschinengewehr um die Schulter gehängt. Über dem Regierungsgebäude kreisen Hubschrauber. Die große Avenue Habib Bourguiba hat sich zu einem politischen Forum entwickelt. Trotzdem bahnen sich Straßenbahnen ihren Weg durch die Menschenmassen. In den Souks, die sich im Schatten der Zitouna-Moschee befinden, ist es still. Es herrscht nicht das heitere Durcheinander eines Marktes. Es riecht nicht nach Weihrauch, Minze und Mittelalter. Keine in Schwarz verhüllten Frauen feilschen um silberne Halsketten oder streichen prüfend über die Klingen schwerer Hackebeile. Es ist nicht die Zeit des Ramadan, wo es etwas ruhiger in den Gemäuern des Basars zugeht. Die Gäste aus dem Ausland sind weggeblieben. Die, die beim Parfümhändler Josu reine Essenzen aus Moschus, seltenen Kräutern, Rosen- oder Lavendelblüten oder Vanilleduft kauften. Die Beine übereinander geschlagen, sitzt ein Händler vor seinem Geschäft. Sonst verkauft er Filzkappen, die dunkelroten, die man hier Chechias nennt. Die Filzkappen aus Tunis sind in ganz Nordafrika berühmt. Durch die Hände von acht Handwerkern geht eine Filzkappe: Stricken, Kochen, Färben und dann Bürsten, Bürsten, Bürsten. Traurig sieht er zu, wie sich eine leere Plastiktüte über die gepflasterte Straße treiben lässt. Neben seinem Geschäft sind die blauen Holzläden verriegelt. „Früher mussten wir bei jedem Verkauf einen Hintermann Ben Alis bezahlen. Doch jetzt, wo die Touristen ausbleiben, verdienen wir gar nichts mehr,“ sagt der Parfümhändler. Um wie viel Prozent die Buchungen der Urlauber aus Deutschland zurückgegangen sind, interessiert ihn wenig. Er spürt, die Leute brauchen Jobs. Das sei eine Riesenherausforderung für die Regierung. Doch bereits das erste große Hotel in der Stadt musste wegen Besuchermangel schließen. Die fünffache Mutter Rim war dort Zimmermädchen. Seit zehn Tagen hat sie keinen Lohn bekommen. Jetzt steht sie mit ihren 300 Kollegen vor dem Tourismus Ministerium und hofft auf eine Lösung.

Im Flughafen Carthage spürt man ebenfalls die Flaute. Schnell und unkompliziert ist man eingecheckt nach Djerba. Es war die Lieblingsinsel der Deutschen bis zum Anschlag auf die Synagoge La Ghriba im April 2002. Seitdem erholte sich der Tourismus nur langsam. Ein wichtiger Wirtschaftszweig der Tunesier. Immerhin arbeiten von einer fünfköpfigen Familie drei als Köche, Zimmermädchen oder in der Rezeption.

Taxifahrer und Pferdefuhrwerke warten vor den Hotels auf Kundschaft. Die Hotels haben kaum Urlauber. Im Radisson, wo sonst um diese Jahreszeit einige hundert Touristen ihren Urlaub verbrachten, haben gerade mal 25 gebucht. Am Strand ist gähnende Leere. Nur zartrosafarbene Flamingos waten am Strand entlang. Eine braungebrannte ältere Dame kommt auf uns zu. „Endlich ein paar Deutsche“, sagt sie. Ihr Redefluss ist kaum zu stoppen. Von der Revolution oder von Schießereien hat sie hier gar nichts mitbekommen. Nur, dass sie und ihre Freundin eines Tages die Koffer vor die Tür gestellt bekamen. Ihr Reiseveranstalter hatte gekündigt, da sie nicht zurück nach Hannover wollten und nun auf eigene Faust hier bleiben. Sie haben die Gastfreundschaft der Tunesier sofort gespürt. Sie können für den Rest der Zeit in einem anderen Hotel wohnen. Eine Woche Halbpension ohne Zuzahlung ist dabei. Immerhin komme sie mit Ihrer Freundin gern auf die Insel, bereits seit zwanzig Jahren. Immer vom April bis Mitte März. Ob hier bis vor Kurzen ein Diktator herrschte, hat sie nicht bemerkt. „Wir genießen die Sonne. Denn hier brauchen wir keine Pillen und Spritzen.“ Ihre Bekannten aus Deutschland machten sich mehr Sorgen um die beiden über 80jährigen Damen. Täglich wurden sie aus der Heimat angerufen. Ob sie noch an den Strand gehen könnten, ob sie noch nach Houmt Souk, die Hauptstadt von Djerba, gehen könnten, waren einige der vielen Fragen. „Ja, man kann.“, sagen beide. Sie waren in der Synagoge, sie gehen in die Souks und sie sonnen sich auf der Liege. Während die beiden erzählen, ruft von Weitem der Muezzin.

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