Eine solche Straße zu bauen, wäre auch heute eine technische Herausforderung, damals aber brauchte es eines guten Schusses Abenteuertums, daß man auf dem 156 Kilometer langen Abschnitt zwischen Brenner und Radstädter Tauern diese zusätzliche und für den Verkehr so wichtige Nord-Süd-Verbindung bauen wollte. Damals, das heißt nun schon in den Zwanziger Jahren. Denn die Erste Republik Österreichs hatte im neugeschaffenen Staat mehrere Aufgaben zu bündeln. Ein Gemeinschaftsgefühl der neuen und so klein gewordenen Republik zu schaffen durch identitätsstiftende Objekte, wozu das repräsentative Bauen gut beitragen konnte, weshalb die Hochalpenstraße in diesen Kontext gehört. Aber auch die Arbeitslosigkeit, die durch den „schwarzen Freitag“ der New Yorker Börse 1929 auch für Österreich dramatisch geworden war, war Thema, denn durch den Bau der Straße wurde rund 4000 Menschen aus ganz Österreich Arbeit und Brot gegeben, weshalb sie dann 1930 tatsächlich gebaut wurde, was fünf Jahre dauerte.
Weitere Absichten kamen beim Bau der Straße zusammen, denn neben der Attraktivität der schnelleren und auch sicheren Verbindung über den Alpenhauptkamm, war von Anfang an der touristische Aspekt im Mittelpunkt. Es war die landschaftliche Schönheit, die Erhabenheit dieser Bergwelt, die man – geschützt im Auto sitzend – durchfahren konnte, die die Hochalpenstraße dann tatsächlich zur der touristischen Attraktion machten. Wer sich heute die Werbeplakate der Zwanziger und Dreißiger Jahre anschaut, wie Skiorte und Naturheilstätten und Wandergebiete luxuriös vermarktet wurden, dem muß man dazu sagen, daß das Auto ebenso wie das Verreisen einer begüterten Schicht vorbehalten war. Unsere heutige Art des Massentourismus ist eine Folge der wirtschaftlichen Prosperität der Nachkriegszeit.
Damals aber bot man mit dem Naturwunder Großglockner, das nun technisch mit der Autostraße bezwungen wurde, den zahlungskräftigen und –willigen Automobilisten aus dem Ausland – Deutschland bevorzugt – ein Objekt ihrer Begierde an. Die so schön gestalteten Aufkleber waren darüber hinaus auch optisch ein Beweis, daß man da gewesen war. Das G-Logo gibt es seit 75 Jahren, wo in den Buchstaben G das weiße Großglocknermassiv im Hintergrund eingefügt ist und vorne die dramatische Kühlerhaube eines Oldtimers – von heute her –,der übrigens wie ein Steyr aussieht, zeigt, daß mit einem solchen Auto alles zu bezwingen war, selbst der Großglockner. Tatsächlich wurde die Hochalpenstraße der nationale und internationale Hit, den man sich von ihr erhofft hatte, weshalb das 75. Jubiläum nun in großem Stil von den Eignern begangen wurde, einmal nicht klein und dennoch fein, ein andermal unter der Mitwirkung der Öffentlichkeit.
Letzteres interessiert uns, denn bei dem feierlichen Jubiläum in der Residenz Salzburg mit 550 geladenen Gästen waren wir nicht dabei, wo die Spitzen der Republik und der beteiligten Bundesländer Salzburg und Kärnten diese Großtat feierten. Alle drei sind nämlich an der privatwirtschaftlich geführten Großglockner Hochalpenstraße AG (GROHAG) beteiligt, deren Sitz sich in Salzburg befindet und die die Saison über (Anfang Mai bis Ende Oktober) rund 100 Mitarbeiter hat, während immerhin noch 50 Personen Stammbelegschaft sind. Am 1. August hatte man deshalb die Bevölkerung zum Jubiläum auf die Franz-Josefs-Höhe eingeladen, dieser prächtigen Aussichtsstelle in 2 369 Meter Höhe, von wo aus nicht nur der Blick sozusagen von alleine auf den kleinen und den großen Großglockner fällt, sondern wo sich das Massiv durch viele Erhebungen zeigt – im Nationalpark Hohe Tauern sind es 266 Berggipfel über 3 000 Meter und Sie erinnern sich, die Zugspitze erreicht nicht einmal diese Höhe.
Von der Höhe aus sieht man auch auf die Pasterze, das ist mit 140 Quadratkilometern der längste Gletscher der Ostalpen, aber hoch gefährdet wie alle 342 Gletscher im Nationalpark, die von der Franz-Josefs-Höhe aus richtig krank aussehen. Und einige hat es auch schon erwischt. Sie sind einfach weg. Mit dem Fernglas kann man auch Gemsen sehen und die vielen, die zu Fuß im Gänsemarsch die Gipfel erstürmen. Rund 800 Personen sind am 1. August der Einladung der Großglockner Hochalpenstraße AG gefolgt, bei dem der Franz-Josefs-Höhe angemessenen Kaiserwetter übrigens, denn die Sonne knallte an diesem Tage, wie sie das nur im Gebirge tut.
Die eigentliche Mautstraße Großglockner verläuft zwischen Ferleiten und Heiligenblut auf 48 Kilometern mit 36 Kehren und in einigen Kehren fährt man noch auf der ursprünglichen Pflasterung der ansonsten asphaltierten Straße und überwindet einen Höhenanstieg von 1 500 Metern! Längst hat sich das Durchfahren, um vom Norden her in Kärnten anzukommen, nicht mehr als das eigentliche Ziel herausgestellt. Die Autobahnen sind heute schneller. Stattdessen ist die Straße zielgerichtet zu einem Erlebnis gestaltet worden, mit Naturwundern, Museen, Informationstafeln über Flora und Fauna, Gletscherbahn, Hotels und andere Unterbringungsmöglichkeiten, vielen verschiedenen Einkehrgelegenheiten und Restaurants, Beobachtungswarten, Wildtierbeobachtung, Besucherzentrum, Panoramawegen und speziellen Ausstellungen, ein touristisches Programm, das Touristen, erst recht Familien nicht nur für einen Tag voll ausfüllt. Entscheidend aber ist der Blick, den man beim Fahren – und Anhalten! – auf die Bergwelt werfen kann. Denn auf den 48 Kilometern erlebt man eine alpine Szenerie, in der man alle außertropischen Vegetationszonen, von den Getreidefeldern bis Fels und Eis durchmißt, was einer 4 000 Kilometer langen biologischen Reise von Salzburg bis zur Arktis entspricht.
Heute kommen fast eine Million Menschen jährlich auf die Hochalpenstraße. Das hätte Franz Wallack, den Planer und Erbauer, gefreut, den sie auslachen wollten, als er mit der Voraussage von 120 000 Besuchern im Jahr das Projekt vorantrieb. Schon im Eröffnungsjahr 1936 kamen über 140 000 Besucher und 1938 waren es sogar über 370 000. Das absolute Rekordjahr war dann 1962 mit 359 801 Fahrzeugen, das sind umgerechnet über 1, 3 Millionen Gäste, wie überhaupt die Sechziger Jahre, wo man im Urlaub noch im Lande blieb, die Spitzenjahre waren. In den letzten Jahren liegt die Frequenz stabil bei bis zu 280 000 Fahrzeugen. Das Auto ist schon lange nicht mehr das einzige Verkehrsmittel. Von den Bussen abgesehen, hört man unentwegt die Motorradfahrer, die sich einen Spaß daraus machen, schnittig dort zu überholen, wo Autos keine Chance haben. Fahrradfahrer gab es schon immer, aber seit es Elektorräder gibt, gibt es auch Fahrradkarawanen. Aber die Landschaft ist breit und die Straße weit, so daß sich alles wunderbar verteilt.
Die Veranstaltungstips zum Jubiläumsjahr entnehmen Sie bitte der Webseite: www.grossglockner.at