Mit elf Nominierungen für die diesjährigen Academy Awards ®, u.a. für Film, Regie, Kamera und adaptiertes Drehbuch, ist LIFE OF PI 2013 der am zweitmeisten nominierte Film hinter Lincoln. Grund genug, ihn jetzt noch schnell im Kino zu sehen, wenn man es nicht in den Weihnachtsferien geschafft hat. Man muss auch Martels Roman, der sich weltweit über 7 Millionen Mal verkauft hat, nicht gelesen haben, um den Film zu verstehen. Die Geschichte scheint auf den ersten Blick simpel: der erwachsene Pi (Irrfan Khan) erzählt sein Abenteuer einem Schriftsteller (Rafe Spall) auf der Suche nach Inspiration. Seiner Familie gehörte ein Zoo in Pondicherry, Indien. Als sie diesen nicht mehr halten können, beschließen sie, nach Kanada auszuwandern. Auf der Überfahrt sinkt das Schiff in einem gewaltigen Sturm. Nur der junge Pi (sensationelles Debut von Suraj Sharma) und einige Tiere, darunter Richard Parker, der bengalische Tiger, überleben und nach einer Weile sind es nur noch Pi und Richard Parker.
Als sich Ang Lee 2009 zusammen mit dem amerikanischen Drehbuchautor David Magee (Wenn Träume Fliegen Lernen; Ganz oder Gar Nicht) des Filmprojektes annahm, besaß FOX die Rechte bereits seit sechs Jahren und namhafte Regisseure wie M. Night Shyamalan, Jean-Pierre Jeunet und Alfonso Cuarón hatten sich vergeblich daran versucht. Magee nun schrieb ein Drehbuch, das sich nicht nur durch Eleganz und Intelligenz, sondern vor allem durch dieselbe Feinfühligkeit für das Material, wie sie typisch für Lees Filme ist, auszeichnet.
Natürlich geht es in LIFE OF PI nicht nur um das nackte Überleben, auch wenn Pi sich mit vorrangig materiellen Problemen auseinandersetzen muss. Die Frage des Glaubens durchdringt den ganzen Film. Woran und warum glaubt man? An die Wissenschaft oder an eine Religion – und wenn, welche? Und ganz still stellt er noch eine Frage: wer ist die Bestie – der Tiger oder der Mensch? Ist es nicht eine Sache der Erzählweise? LIFE OF PI wirft viele Fragen auf, aber im Gegensatz zu Wissenschaft und Religion, bietet er keine absoluten Antworten.
Ang Lee und sein Team von Special Effects Mitarbeitern schufen Bilder, die einen sprachlos staunen lassen. Es ist nicht nur der Wal, der aus einem Meer voller lumineszierender Fische springt, es sind nicht nur die Sonnenuntergänge, der Moment in dem sich der Himmel perfekt im spiegelglatten Meer spiegelt, der Schiffsuntergang, die Anfangssequenz im Zoo – fast jeder Moment ist durchdrungen von Ehrfurcht gebietender Schönheit in einer unglaublichen Farbgebung. Auch Richard Parker ist eine so perfekte Kreation aus dem Computer, dass sein abgemagerter Anblick einem fast das Herz bricht.
LIFE OF PI, man kann es nicht oft genug betonen, ist ein atemberaubend schöner Film. Zu Recht für elf Oscars ® nominiert, lohnt sich jeder Cent des Kinotickets. 3D, sonst oft nur Spielerei, ist in Ang Lees Händen ein beeindruckendes Mittel, Bildern voller Tiefe zu schaffen. LIFE OF PI ist intelligent, berührend und vor allem lässt er den Zuschauer immer wieder staunen.
LIFE OF PI: SCHIFFBRUCH MIT TIGER (USA, 2012); Verleih: FOX 2000 Pictures; Filmlänge: 125min; Regisseur: Ang Lee; Drehbuch: David Magee; Besetzung: Suraj Sharma, Irrfan Khan, Tabu, Rafe Spall, Gérard Depardieu; FSK: ab 12 Jahren; Kinostart: 27. Dezember 2012 (Deutschland).