Frankfurt am Main, Deutschland (Weltexpress) – Wenn die Krähen Appetit auf eine Maus haben und ein Turmfalke in der Nähe ist, besetzen sie rund um eine weitläufige Wiese die umliegenden Bäume und überlassen ihm einen Baum. Anschließend bedrängen und jagen sie ihn zum nächsten freien Baum, dann wiederum zum nächsten, und so geht das Spiel weiter, bis der Falke aufgrund seiner Herumfliegerei hungrig wird und nach Mäusen jagt. Hat er eine gefangen und will sie in Ruhe auf seinem Baum verspeisen, setzen sie sich unter ihn und fangen an, ihn wiederum zu bedrängen und über die Wiese zu jagen, bis sie das Glück haben, dass er die Maus fallen lässt. Dann streiten sie sich jedoch nicht um diese, sondern die Verspeisung erfolgt nach einer hierarchischen Rangfolge.
Nach den Rückschlüssen eines Vogelbeobachters im Frankfurter Niddapark macht der Turmfalke dieses Spiel jedoch freiwillig mit, er vermutet, um sich fit zu halten, denn er hält die Maus in beiden Fängen. Hält er sie nur in einem Fang, haben die Krähen einen Heidenrespekt vor den Krallen nur eines Fanges und lassen ihn in Ruhe.
Beim Joggen im Niddapark sah ich am Rande der großen Wiese nahe der Nidda einen älteren Herrn auf einer Bank mit einem Fernrohr sitzen. Ich hielt an und fragte ihn, wozu er dieses benutze. Daraufhin erzählte er mir enthusiastisch spannende Geschichten über seine Vogelbeobachtungen. Seit vielen Jahren sitzt er an dieser Wiese, schon zu einer Zeit, als sie noch keine offizielle Hundeweise war und sich noch viel mehr Mäuse dort befanden. Die Hunde buddeln oft nach Wühlmäusen und vertreiben sie dadurch. Vor allem beobachtet er neben Krähen und Elstern Raubvögel wie Turmfalken, Sperber, Mäusebussarde und Habichte. Für ihn sind die Vögel die reinsten Plaudertaschen. Ihre Kommunikation mit Gesten, Kopfhaltungen, Flügelschlägen, selten lauterem Gekrächze und Geschrei, denn dadurch würden sie ihren Standpunkt verraten, versucht er zu enträtseln.
Er zeigt mir drei Mäusebussarde, die miteinander kämpfen, um ihrer Rangordnung zu klären, hier und dort einen Turmfalken im typischen Rüttelflug, in der Nähe ist sogar dessen „ti,ti,ti“ zu hören, der von oben die Wiese beobachtet und plötzlich herunter schießt. Ein Falke soll im Sturzflug 280 km Geschwindigkeit erreichen, erklärt er mir, kein Wunder, dass er erfolgreicher in der Mäusejagd als Krähen ist. Aber wie diese ihn für ihre Zwecke einzusetzen verstehen, hat er wie oben beschrieben beobachtet. Begeistert erzählt er seine Beobachtungen im Frühjahr während des Balzfluges. Dann weist er auf junge Bussarde hin. Sie unterscheiden sich unter dem Bauch durch eine noch schwächere längsgestreifte Zeichnung von der ausgeprägteren Querstreifung der ausgewachsenen Vögel.
Im Niddapark sind auch viele Kaninchen. Eine Falke könne höchstens ein junges Kaninchen fangen und erlegen, ein Ausgewachsenes könnte ihn durch seinen Beinschlag so verletzen, dass ein Flügel bricht, während die Flügel eines Bussardes weit genug sind, um nicht verletzt zu werden.
Auf meine Frage hin, wie sich die verschiedenen Greifvögel in ihrer Silhouette am Himmel unterscheiden, erklärt er mir, Sperber und Falke haben einen langen Schwanz, der Sperber mehr rechteckig, der Falke abgerundet, und der Bussard einen kurzen breiten Schwanz. Der Habicht habe einen langen Schwanz und kurze, breite, abgerundete Flügel. Außerdem unterscheiden sie sich durch die Art ihres Fluges.
Wie teilen sich die Tauben mit, wenn einer Schmerzen zugefügt wurden? Im Winter füttert er Meisen, Spatzen, Dompfaffe, Buntspecht und Kleiber auf seinem Balkon. Tauben sind bei ihm jedoch nicht gelitten, und so hatte er eine mit Hilfe einer Schleuder und einem Obstkern getroffen. Tagelang erschien keine Taube mehr bei ihm. Wüsste er deren Übernachtungsplätze, würde er am liebsten mit einer Videokamera deren verändertes Kommunikationsverhalten filmen.
Nun wird es mit dem Joggen sowieso nicht mehr viel, und ich will ihm auch etwas von meinen Geschichten erzählen. Vor einigen Jahren ging ich mit meinem jungen Briard im Grüneburgpark spazieren, da ich wegen Kniebeschwerden nicht joggen konnte. Eine offenbar kranke Taube ließ sich, verfolgt von zwei Krähen, erschöpft auf dem Weg nieder. Mein Hund schnappte sie sich, die Krähen flogen fort. Er ließ sie wieder los, und die Taube flog davon. Der Hund hatte sie gerettet.
Wir halten Zwerghühner mitten in einem Villenviertel von Frankfurt. Sie laufen in unserem großen Garten herum. Die Nachbarn beschweren sich nicht, da die Hühner eine ländliche Atmosphäre schaffen würden. Sie legen Eier und brüten im Frühjahr, sind aber nicht immer die besten Glucken. So passiert es, dass kurz vor dem Schlüpfen das Gelege verlassen wird, frisch geschlüpfte Küken auf den Boden fallen oder mit der herum laufenden Glucke nicht mitkommen, und der Körper auskühlt. Erwische ich eines noch lebend, stecke ich es unter die Achsel und vorne in die Hemdtasche, und dann erholen sie sich erstaunlicherweise meist wieder.
So passierte es, dass ich ein Küken in ein Cafe’ mitnahm, es zur Freude der Gäste auf dem Tisch herum laufen ließ. Die Bedienung war begeistert und verschwand mit dem Küken in der Küche, um es dem übrigen Personal zu zeigen. In diesem Sommer hatte ich zufällig eines fast tot auf dem Weg gefunden. Es war stark unterkühlt und erholte sich nur sehr langsam. Anschließend war ich in einer stark frequentierten Äppelwoi-Kneipe verabredet. Was sollte ich tun? Ich konnte es erst zur Nacht der Glucke unterschieben. Also nahm ich es mit. In der Kneipe wurde es immer lebhafter, drängte aus der Tasche heraus. Ich ließ es auf dem Tisch laufen und von den Gästen bewundern. Das war noch kontrolliert. Aber dann entwischte es mir aus der Tasche, lief über den Tisch und landete auf dem Boden. Oh je, dachte ich, das Küken zu fangen, bringt das ganze Lokal durcheinander. Aber dann war zur Rettung ein kleiner Hund da, sah erstaunt das Küken, dieses ihn, hielt an, und ich konnte es schnell greifen.
Ich erzählte, vor gut zehn Jahren schrie plötzlich meine Frau „ein Fuchs hat ein Huhn!“. Tatsächlich, ein Fuchs, ein Prachtexemplar, mit einem Huhn im Fang lief vor der Terrasse. Ich ließ den Hund heraus, der dem Fuchs nach rannte, dieser das Huhn fallen ließ und in einem Riesensatz über den Zaun verschwand. Ich sah erstaunt, wie hoch Füchse springen können. – Nicht nur gegen Raubvögel, auch gegen Füchse müssen Hühnerzüchter deswegen ihre Gehege überzäunen. Mancher Fuchs hat im Blutrausch schon zig Hühner getötet. – Mehrere Hühner lagen tot mit angebissenen Hälsen im Garten herum. Zwei Tage später kam er wieder und erledigte bis auf eines den Rest.
Aber es gibt neben Nachbars Katze noch andere Feinde, Krähen und Elstern. Diese sind geschickt. Mehrere umringen die Glucke, und während diese in Richtung einer die Küken zu verteidigen sucht, schnappt sich eine Andere ein Küken. So geschah es, dass eine Elster mit einem Küken im Fang hoch in einem Baum in Nachbars Garten saß. Meine Frau und eine Freundin schrieen und gestikulierten. Vor Schreck lies die Elster das Küken fallen, und es konnte noch gerettet werden. Aus ihm wurde noch ein goldgelber Hahn.
Meinen Geschichten hörte der Vogelbeobachter interessiert zu. Beim Heimjoggen traf ich noch einen anderen Hundebesitzer und schilderte ihm die Vogelbeobachtungen. Er war begeistert. Haben die Vögel und anderen Tiere Raum für ihr natürliches Verhalten, können sie ihre natürlichen Instinkte und ihre Form der Kommunikation entfalten. Tritt der Mensch dazwischen und nimmt ihnen diesen Raum, gehen auch für den Menschen interessante und lehrreiche Beobachtungen verloren.
Einer der Gründe dieser Einmischungen ist die Angst. Kommen wir zu den Hunden, unseren Lieblingsbegleitern. Über die Hundeangst, der Hund als bedrohliches Symbol und die Einmischung der Behörden, habe ich einen Artikel geschrieben. Ist ihr natürliches Verhalten eingeschränkt wie durch den Leinenzwang und den allgegenwärtigen Autoverkehr, herum zu rennen, sich zu beschnüffeln, eventuell einander zu besteigen und untereinander die Rangordnung zu klären, müssen sie mit aller Macht – ähnlich wie die Menschen – ihre Natürlichkeit wiederherstellen. Für den Menschen erscheint das aggressiv. Hunde an der Leine bellen, zerren und sie beißen leichter.
Das gilt auch für den Menschen. Freilaufende Hunde werden besonders aggressiv, wenn die Klärung der Rangordnung etwa durch Hochreißen oder auf den Arm-Nehmen behindert ist. Also erscheinen sie für Ängstliche besonders gefährlich und sie müssen vermeintlich domestiziert werden. Dann ist es kein Wunder, dass Hunde so erscheinen, wie mir ein Balte mitgeteilt hat „in Deutschland laufen die Hunde herum, als ob ihnen ein Narkotikum gespritzt sei“. Die Angst bewirkt und nicht nur im Angesicht von Hunden, dass auch für den Menschen viel Lebensfreude verloren geht.