Frauen als Töchter und Mütter, Geliebte und Gehasste, Huren und dann sogar als Vagina – Serie: Zum Jahresübergang die alten und neuen Bücher aus vielen Bereichen (Teil 4/20)

Wirklich von heute ist „Schlechte Tochter“ von Justine Lévy aus dem Verlag Kunstmann. Keine Fiktion ist das Buch und doch nicht platte Wiedergabe des Lebens der Autorin, die die Tochter des berühmten Franzosen Bernard-Henri Lévy ist. Aber in diesem Buch ist es die Mutter, der „schlechte Tochter“ zu sein, sich Louise dauernd Vorwürfe macht, denn diese Mutter liegt im Sterben. Sie aber, die Tochter erwartet ein Kind. Und dies, das Hinsterben der Mutter und das Wachsen in ihrem Leib, ist es, was sehr wahrhaftig von der Autorin als bedrückend geschildert wird, denn sie getraut sich nicht, der Sterbenden vom neuen Leben zu erzählen und auch nicht, welche schlechte Mutter die Sterbende für sie war, die sie jung noch verlassen hatte. Außerdem macht dies der Tochter gewaltige Probleme, die sie nie ein Vorbild hatte für das, was sie so gerne sein möchte: eine gute Mutter. Wie kann sie ihrer Tochter die Liebe geben, die sie als Kind bei der eigenen Mutter vermißte?

„Frauenzimmer“ nennt sich fast altmodisch ein Bildband aus dem Kehrer Verlag, der im Inneren in bunten Bildern im Breitformat zeigt: „Bordelle in Deutschland“. Lilo Wanders schrieb das Vorwort – Lilo Wanders ist eine beim deutschen Patent- und Markenamt auf Ernst-Johann Reinhardt eingetragene Marke: der Travestiekünstler wurde vor allem durch die TV- Sendung “Wa(h)re Liebe“ bekannt und „Ware Liebe“, also käufliche Liebe, ist ja nun auch ein Synonym für Freudenhaus, was so eine schöne alte Bezeichnung ist wie Frauenzimmer, gleichwohl heißen die Etablissements heute auf fein Bordell und unfein Puff. Ordentlich wird auch durch eine längere Einführung der intellektuelle Überbau im Buch mitgeliefert und dann geht es in Rot und Orange und Pink in Gelb und Grün durch die Bordelle der Republik.

Wo die Frauen sind? Abwesend, die dürfen gerade Kaffee trinken, denn die hochnotpeinlich aufgeräumten Räume wirken geradezu steril als das, was sie für die arbeitenden Huren sind: Arbeitsplätze. Patric Fouad hat die Räume fotografiert und man sieht seine Ästhetik daran, daß die Fotos der Innenräume bei aller Verschiedenheit doch wieder etwas Gemeinsames haben: daß man zwar sieht, welcher Mann hier mit welcher Erwartung angesprochen werden soll, daß der Weg dazu aber höchst unterschiedlich ist.

So kann man in „Hamburg“ in der rosa Stube mit dem Herzen auf dem Bett an den Wänden neben den heißen roten Stiefeln lauter Mangamädchen mit dicken Brüsten sehen, Dildos auch und noch so Schweinskram. Der scheint dazuzugehören und wiederholt sich als Gebrauchsgegenstände auch in den weiteren Räumen, die gelb-rot oder rot-gelb wirken, immer mit halbnackten Mädchen an der Wand oder einer, die im Tanga auf dem Motorroller sich davon macht. Auf dem Bett ein Plüschtiger und ebensolche Kissen, sowohl kitschig, wie verspielt, wie klinisch. Das geht hier alles zusammen. Lesen und schauen Sie sich durch die Republik, man kommt aus dem Staunen nicht heraus, wie mal kindlich-kitschig, mal nach tausendundeine Nacht, mal schlicht geschmacklos, mal horrorvacuigemäß diese Bordelle eingerichtet sind. Wo wir uns wohlfühlen könnten? Na, das in Düsseldorf, das Rundbett im Tigerlook hat seine eigene Indianernote. Die Squaw an der Wand und die Federhäuptlinge im Inneren des Zeltes, der wie ein Baldachin die Hälfte des Bettes überspannt, sind zwar auch voll von Skalps, aber insgesamt erinnert uns das doch eher an die Geburtsnacht in Bethlehem und der Ochs hängt auch schon an der Wand, während der Esel noch unterwegs ist.

Wenn schon in den Bildern der Bordelle die lebenden Frauen fehlen, so nimmt sich Nick Karras – amerikanischer Fotograf und Sexualwissenschaftler – bei seiner Fotoserie so in etwas das Gegenteil vor. In „Das weibliche Geschlecht – Eine ziemlich ungenierte Bildersammlung“ veröffentlicht er bei Rogner & Bernhard lauter Vaginas. Der Ausgangspunkt stimmt. „Die meisten Frauen haben keine genaue Vorstellung davon, wie ihre Genitalien aussehen.“Das hat erst einmal biologische Gründe, da diese weiblichen Geschlechtsteile sich nach innen entfalten und von daher anders als beim Mann auch kein Konkurrenzgucken oder Messen möglich ist. Und in den Kindertagen der Doktorspiele richteten sich Mädchenaugen auch mehr auf diese seltsamen männlichen Auswölbungen der Jungens als auf die nicht leicht sichtbaren Einwölbungen bei Mädchen.

Dem hilft nun Nick Karras ab und bringt auf 94 Seiten 48 weibliche Genitalien, Vaginas also, die mal behaart, mal rasiert, mal leicht geöffnet, mal hervorlugend, mal dick, mal schmal, mal dunkel fleischlich, mal durchscheinend auf jeden Fall zeigen, daß hier keine Trägerin wie die andere aussieht und nur die gleiche Form der Einrahmung seiner Fotos eine Einheit dieser Vielfalt herstellt. Karras benennt als Motiv ein aufklärerisches. Denn es gibt immer mehr Frauen, die labiaplastische Operationen vornehmen lassen, um ihre Schamlippen in die Form zu bringen, von der überhaupt niemand sagen kann, wie die Idealform wäre. Die gibt es gar nicht. Aber weil eine Frau über die anderen so wenig weiß, unterliegen sie wohl leicht dem Irrglauben, sie müßten einer Norm genügen, statt einfach an sich und miteinander Lust zu haben mit dem, was ihnen die Natur verlieh.

Der Verlag teilt mit: „Dem Buch liegt eine DVD bei, die die Hintergründe und Motivation von Karrs Arbeit darstellt. In dem Dokumentarfilm von Beck Peacock kommen Sexualwissenschaftler, Künstler und nicht zuletzt die abgebildeten Frauen zu Wort.“

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Justine Lévy, Schlechte Tochter, Verlag Antje Kunstmann 2010

Cesare Pavese, Die einsamen Frauen, Claassen Verlag 2008

Patric Fouad, Frauenzimmer. Bordelle in Deutschland, Kehrer Verlag 2004

Nick Karras, Das weibliche Geschlecht, Rogner & Bernhard 2010

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