6. Juni 1944, der direkte Weg von Versailles am 28. Juni 1919 an die Strände der Normandie

1919: Europa wird neu aufgeteilt. Britische Geographen in Versailles ziehen neue Grenzen. Quelle: Harold Nicholson, Friedensmacher 1919

Berlin, Deutschland (Weltexpress). Fünfundsiebzig Jahre ist es her, dass im Westen des europäischen Kriegsschauplatzes die aus sowjetischer Sicht längst überfällige „zweite Front“ durch die Landung in der Normandie eröffnet werden konnte. Kein Wunder, dass sich Staats-und Regierungschefs aus der ganzen Welt dort versammeln werden. Es darf allerdings bezweifelt werden, neben den dem Anlass angemessenen Reden auch echte Konsequenzen aus dem damaligen mörderischen Geschehen zu ziehen. Der öffentliche und weltweite Eindruck seit langem besteht darin, jeden Tag den Ausbruch eines vergleichsweise globalen Krieges vergegenwärtigen zu müssen, weil der friedliche Ausgleich von Interessen nicht gewollt ist. Die Dramatik der Feierlichkeiten in der Normandie am morgigen Tag besteht allerdings darin, dass die zivilisatorische Konsequenz der Katastrophe des Zweiten Weltkrieges mit dem völkerrechtswidrigen Krieg der NATO gegen die Bundesrepublik Jugoslawien ab März 1999 über Borg geschmissen worden ist. Mit diesem Krieg kehrte die NATO zu dem Völkerrechtszustand in Europa zurück, wie er sich mit dem deutschen Angriff gegen Polen am 1. September 1939 manifestierte. Gerade wegen des Zweiten Weltkrieges sollte Krieg geächtet werden. Dafür gab es die Charta der Vereinten Nationen. Der Griff zu den Waffen wurde streng begrenzt und letztlich an die Zustimmung durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen gekoppelt. Nach dem Ende des ersten Kalten Krieges wurde dieses feierliche Versprechen im November 1990 in der Charta von Paris erneut bekräftigt. Dennoch musste die Welt erleben, dieses Versprechen und die Verpflichtung aus der UN-Charta durch die USA als alleinige Supermacht deshalb gebrochen zu sehen, weil es in ihrem Interesse stand. Das war und ist eine verhängnisvolle Art und Weise, einen Schlußstrich zu ziehen und zivilisatorische Konsequenzen zu verleugnen.

Das war und ist für das geschundene Europa nichts, was neu genannt werden kann. Bereits beim Wiener Kongress 1815 dämmerte dem österreichischen Kanzler Metternich und dem russischen Zaren Alexander die Erkenntnis, unter allen Umständen Verheerungen in Europa zu verhindern, wie sie durch die napoleonischen Kriege hervorgerufen worden waren. Deshalb die gemeinsame Vorstellung einer „Heiligen Allianz“, um die Interessen der europäischen Mächte so abzugleichen, dass die Zerstörung Europas verhindert werden könne. Zu kurz gesprungen, denn England wollte auf dem europäischen Kontinent seine Kriege führen. Ein Grundsatz, an den die USA nach 1990 mit der Abfolge von völkerrechtswidrigen Kriegen in Europa und seinem Umfeld anknüpften.
Dennoch war der Wiener Kongress nicht vergebens, weil das besiegte Frankreich gleichberechtigt an den Konferenztisch geladen wurde, um eine Friedenslösung herbeiführen zu können. Das entsprach europäischer Tradition seit dem Frieden 1648 von Münster und Osnabrück, um 1919 vollends im alllierten Interesse über Bord geschmissen zu werden. Nach Christopher Clark sind die europäischen Mächte in den Ersten Weltkrieg getaumelt.
Die deutsche Verantwortung war die Verantwortung der anderen. Christopher Clark hat die stringente Planung britischer und französischer Kreise zu Vernichtung des prosperierenden Deutschland ausgeblendet. Warum wohl?
Kein Grund also, Österreich-Ungarn und Deutschland in Versailles 1919 die Alleinschuld für diesen Krieg aufzuerlegen. Deutschland sollte vernichtet und gegebenenfalls völlig aus der Bahn geworfen werden. Da war man erfolgreich, wie die anti-bolschewistische Installierung von Herrn Hitler deutlich gemacht hat. Ohne Versailles kein Hitler und ohne Hitler kein Zweiter Weltkrieg: das ist die Konsequenz aus dem gezielten Vorgehen gegen Deutschland, um dessen Willfährigkeit für alllierte Interessen auf Dauer sicherzustellen.

Es waren Österreich-Ungarn und Deutschland, die 1918 auf die „vierzehn-Punkte“ des amerikanischen Präsidenten für einen fairen Frieden vertraut haben, um sich dann in Versailles ohne jede Mitsprache wiederzufinden. Wie am Ende des Kalten Krieges die Sowjetunion, die auf die Charta von Paris und die der UN vertraute, um heute als Russische Föderation deutsche und allliierte Panzer gegen jede Vereinbarung an seiner Westgrenze in Stellung gebracht zu sehen. Die Teilnehmer der Feierlichkeiten in der Normandie am 6. Juni 2019 sollten gleich zum Gedenken an die hunderste Wiederkehr von „Versailles“ Ende Juni 1919 dorthin weiterziehen. Mitnichten, weil es das alliierte Kainsmal für Europa ist und man sich offenbar die Hände für die nächste Katastrophe freihalten will.

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Willy Wimmer
Staatssekretär des Bundesministers der Verteidigung a.D. Von 1994 bis 2000 war Willy Wimmer Vizepräsident der Parlamentarischen Versammlung der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE).