1930/31 entstanden Sowjets in Vietnam – Sie waren das „Vorspiel“ zur siegreichen Augustrevolution 1945

Eine Statue von Ho Chi Minh in Ho-Chi-Minh-Stadt, vietnamesisch Thành phố Hồ Chí Minh. Quelle: Pixabay, Foto: Markus Winkler

Berlin, BRD (Weltexpress). Mit China und Nordkorea gelang es nach dem 1945 einsetzenden Zerfall des imperialistischen Kolonialsystems nur Vietnam den Weg einer sozialistischen Entwicklung einzuschlagen. Nach 1960 folge Kuba. Die entscheide Bedingung dafür war, dass die Arbeiterklasse an die Spitze des nationalen Befreiungskampfes treten musste und dazu eine Führungskraft brauchte. Wichtige Lehren vermittelt dazu bis heute Vietnam, wo 1930 im Kampf gegen die Kolonialherrschaft Frankreichs die Wende im nationalen Befreiungskampf einsetzte: Die Führung der nationalen Bewegung durch die nationale Bourgeoisie mit ihrer Nationalen Partei an der Spitze ging im Verlauf der revolutionären Kämpfe 1930/31 an die Arbeiterklasse mit ihrer im Februar 1930 gegründeten kommunistischen Partei über.

Die Weltwirtschaftskrise Ende der 20er Jahre führte auch in Vietnam dazu, dass die Kolonialmacht die Krisenlasten auf das Volk abwälzte, was zu einer ungeheuren Verschärfung der nationalen und sozialen Auseinandersetzung und zum Ausbruch einer das ganze Land erfassenden Massenbewegung führte, welche die französische Kolonialherrschaft in ihren Grundfesten erschütterte. Sie gipfelte in den zentralvietnamesischen Provinzen Nghe An und Ha Tinh in einem Bauernaufstand, in dessen Verlauf Sowjets entstanden.

In dieser Situation hatten die vietnamesischen Kommunisten den von Ho Chi Minh seit 1925 eingeleiteten Prozess der Schaffung einer einheitlichen kommunistischen Partei am 3. Februar 1930 abgeschlossen. Der wachsende Einfluss der Kommunisten verleitete die Nationalistische Partei Vietnams dazu, einen bereits längere Zeit geplanten Aufstand übereilt auszulösen. Zu dieser Zeit stand die nationale Bourgeoisie, die noch von einem der historischen Entwicklung dieser Klasse entsprechenden traditionell progressiven Charakter geprägt war, mit ihrer führenden Kraft, der NPV, an der Spitze der nationalen Befreiungsbewegung. Im Interesse ihrer wirtschaftlichen Selbstbehauptung und Entwicklung war sie Gegner des Kolonialregimes und ein bedingt aktiver Teilnehmer am politischen Kampf um die Erringung der Unabhängigkeit. Auf Grund ihrer wirtschaftlichen Schwäche verfügte sie nur über geringe politische Machtpositionen. Ihr Kampf offenbarte ihre schwankende und zu Kompromissen neigende Haltung. Elitäre Vorstellungen, eine teilweise Orientierung auf die panasiatische Demagogie Japans, die Bevorzugung von Geheimorganisationen, die Anwendung des individuellen Terrors und des Putschismus, vor allem aber ihre Isolierung von den Volksmassen und ihr Sektierertum diesen gegenüber, hemmten ihren Kampf. Das zeigte sich, als die Nationalisten am 9. Februar 1930 in der französischen Garnison von Yen Bai, im Nordosten des Landes, mit vietnamesischen Soldaten der Kolonialarmee einen bewaffneten Aufstand auslösten, der von mehreren militärischen Aktionen, darunter in Hanoi, unterstützt wurde. Ziel der NPV war, die staatliche Unabhängigkeit zu erreichen. Gleichzeitig wollte sie ihre führende Rolle in der Befreiungsbewegung behaupten und selbständige politische Aktionen der Arbeiter und Bauern verhindern. Der Aufstand wurde innerhalb einer Woche blutig nieder geworfen, nahezu der gesamte Parteiapparat der Nationalisten zerschlagen. Die Partei hörte für mehrere Jahre auf, zu bestehen. Zehntausende Vietnamesen, von denen die meisten an der Erhebung gar nicht teilgenommen hatten, wurden verhaftet, 2.500 vor Gericht gestellt, nach offiziellen Angaben 68 zum Tode, 600 zu lebenslanger Zwangsarbeit verurteilt. Tausende fielen dem Kolonialterror ohne Gerichtsurteile zum Opfer. Deutlicher als vorher zeigte sich, dass die nationale Bourgeoisie nicht in der Lage war, die Befreiungsbewegung zu führen.

Arbeiterklasse übernahm Führung

Die KP erklärte sich solidarisch mit den Opfern des Aufstandes und half den Verfolgten. Kleinbürgerliche Anhänger der Nationalisten fanden in der Folgezeit den Weg zu ihr. Als 1941 die nationale Einheitsfront Viet Minh entstand, schlossen sich ihr ebenfalls viele Nationalisten an. Es gelang der Kolonialmacht und der einheimischen Reaktion nicht, die anwachsende Volksbewegung zu ersticken. Im Gegenteil, zunehmend von der KP geführt, kämpften Arbeiter, Bauern, Teile des Kleinbürgertums und der Intelligenz sowie Studenten und Schüler gegen den nach dem Yen Bai-Aufstand einsetzenden blutigen Terror. Sie forderten Amnestie für die Verurteilten, die Freilassung der Verhafteten, demokratische Rechte und Freiheiten sowie bessere Lebensbedingungen für sich.

Im März 1930 begannen auf den Kautschukplantagen in Südvietnam und in fast allen Industriegebieten wochenlange Streiks. Kundgebungen und Demonstrationen erfassten 25 der 40 Provinzen des Landes. Als am 12. September 1930 in mehreren Kreisstädten von Nghe An und Ha Tinh Arbeiter und Bauern für höhere Löhne, Steuererleichterungen, Pachtsenkungen, die Rückgabe von Gemeindeländern an die Bauern und die Verteilung von Reis an die Hungernden demonstrierten, gingen Truppen gegen die Demonstranten vor, wurden die Versammlungsplätze von Flugzeugen bombardiert. Über 510 Demonstranten fanden den Tod, mehr als 300 wurden verwundet, Tausende Häuser zerstört. Der „Hunger auf Reis“ trieb nunmehr, wie selbst das großbürgerliche „Echo annamite“ zugeben musste, die bis aufs äußerste erbitterten Bauern zum bewaffneten Aufstand gegen die Kolonialmacht und die Feudalherren. Die Bauern stürmten Gefängnisse und befreiten die Gefangenen, zündeten Kreis- und Gemeindeverwaltungen sowie andere öffentliche Einrichtungen an, verbrannten Steuerunterlagen, Pfandbriefe und Schuldscheine. Unter dem Ansturm der Bauern flohen die Mandarine und Notabeln in die Provinzhauptstädte; der kolonial-feudale Machtapparat in den Landgemeinden zerfiel. Die französische „L´Opinion publique“ verglich die Erhebung mit dem isolierten Yen Bai-Aufstand und schrieb am 12. Dezember: „In den beiden Provinzen Zentralvietnams handelt es sich längst nicht mehr um einen einfachen Putsch oder Gewaltstreich, sondern um eine tatsächliche Revolution. Die Leute dort handeln derart umfassend, dass die beiden Provinzen die Sowjetmacht errichtet haben. Es scheint, dass unsere Macht dort nicht mehr existiert.“

Obwohl für einen erfolgreichen Verlauf der Erhebung, wie die KP einschätzte, die Bedingungen nicht gegeben waren, stellte sie sich, nachdem der Aufstand mit einer Massenbeteiligung spontan ausgebrochen war, an die Spitze der Bauern und gab deren Kampf einen organisierten und zielgerichteten Charakter. Unter Vorsitz Ho Chi Minhs trat im Oktober das Zentralkomitee zusammen und beschloss, die Leitung der Bewegung zu übernehmen und dazu das ZK-Mitglied Pho Nguyen Sac in das Aufstandsgebiet zu entsenden. Im ganzen Land organisierte die Partei eine Bewegung zur Unterstützung von Nghe Tinh, wie die beiden Provinzen zusammengefasst genannt wurden. Tausende Mitglieder und Funktionäre der Partei, Revolutionäre aus allen Provinzen Vietnams versuchten, nach Nghe Tinh zu gelangen, um am Aufstand teilzunehmen. Das Plenum der Partei betonte, am Beispiel der Bildung und Verteidigung der Sowjets den Arbeitern und Bauern zu verdeutlichen, dass die Machtfrage eine Grundfrage der nationalen Befreiungsrevolution ist. 1

Die Bildung vietnamesischer Sowjets

In Nghe Tinh hatten sich der Aufstand im Oktober 1930 auf ein etwa 12.000 km² umfassendes Gebiet mit einer Bevölkerung von 1,5 Millionen Menschen ausgedehnt. In 12 von 20 Kreisen und 400 Gemeinden, das war etwa die Hälfte aller Gemeinden, übernahmen bis Ende 1930 die auf Initiative der KP gegründeten Bauernvereinigungen die Macht und bildeten vietnamesische Räte. In den übrigen Gemeinden übten Komitees der Bauernvereinigungen die Macht aus, ohne sich als Räte zu konstituieren. „Das gesamte Gebiet ist vom französischen Protektorat abgefallen“, schrieb die Kolonialrevue „L´Asie francaise“ in ihrer Novemberausgabe 1930. Auf Beschluss des Gebietskomitees der KP von Zentralvietnam gingen über 500 Arbeiter von Vinh, dem industriellen Zentrum des Aufstandsgebietes, in die aufständischen Gemeinden und unterstützten die Bauern beim Aufbau revolutionärer Machtorgane.

Die Sowjets bestanden in ihrer Mehrheit aus armen Bauern und Tagelöhnern. In geringer Zahl waren Mittelbauern und Angehörige der Intelligenz vertreten. Eine aktive Rolle spielten die Arbeiter von Vinh bei der Bildung der Räte, zu deren Mitgliedern viele gewählt wurden. Ihrem politischen Charakter nach waren die Räte eine revolutionär-demokratische Diktatur der Arbeiter und Bauern. Mit ihnen wurden wesentliche Grundlagen für das Bündnis der Arbeiter und Bauern in den weiteren Kämpfen, die 1945 zum Sieg der Augustrevolution führten, gelegt.

In Gestalt der Sowjets entstanden zum ersten Mal in Vietnam revolutionäre Machtorgane der Arbeiter und Bauern. Sie verteilten das Gemeindeland, das Großgrundbesitzer und Feudalherren sich angeeignet hatten, an die Bauern, schränkten die Ausbeutungsmöglichkeiten der Großgrundbesitzer ein, verteilten aus deren Reserven Reis an die Hungernden und leiteten eine Reihe politischer und sozialökonomischer Reformen ein.

40.000 Mann Rote Garden

Unter dem Kommando eines Militärausschusses des Gebietskomitees der KPV entstanden Rote Garden, die nach vietnamesischer Einschätzung insgesamt etwa 30.000 Kämpfer zählten. Die Zeitung der FKP „L´Humanité“ schrieb am 17. September 1931 von 40.000 bewaffneten Aufständischen. Die Roten Garden bildeten die Keime der 14 Jahre später geschaffenen Volksarmee, welche den Sieg der Augustrevolution gewährleistete. Über acht Monate verteidigten sie die Volksmacht gegen die Angriffe der Kolonialmacht, die ihre Truppen in Vietnam durch ein 100.000 Mann starkes Expeditionskorps aus Frankreich verstärken ließ. Ein wichtiger Faktor der langen Dauer des Widerstandes der Sowjets war neben dem Massencharakter der revolutionären Bewegung und der hohen Kampfkraft der KP die geschickte Nutzung der geographischen Bedingungen. Infolge des dichten Bewässerungssystems der Reisfelder führten Straßen und Wege in der gesamten Ebene über unzählige Brücken. Viele Dörfer waren lediglich über schmale Pfade zu erreichen, die nur zu Fuß oder mit kleinen Büffelkarren passiert werden konnten. Die Aufständischen zerstörten Brücken, blockierten die Wasserläufe und machten Fähren unbrauchbar, so dass die Kolonialtruppen keine Panzer und schweren Geschütze einsetzen und lange Zeit nicht in die Sowjetgebiete vorrücken konnten. Auch die wild zerklüfteten Bergregionen im Nordwesten boten ihnen viele Vorteile.

Als Korrespondenten der Nachrichtgenagentur ADN der DDR (1967-1970) in Hanoi besuchten meine Frau (Fotoreporterin) und ich auch die Provinzen Ngh Tinh, wo wir mit Teilnehmern an den Kämpfen der Sowjets zusammentrafen. Unter ihnen befanden sich auch Militärexperten, die Ho chi Minh in den 20er Jahren zum Studium an die Militärakademie der Roten Armee nach Moskau sowie an die Militäranstalt Huang Pei bei Kanton, an der sowjetische Militärs in der Periode der Einheitsfront Offiziere der chinesischen Volksbefreiungsarmee als auch Tschiang Kai Tschecks ausbildeten, delegiert hatte. Experten vermuteten auch, die Komintern habe sowjetische Militärs in das Aufstandsgebiet geschickt. Weder in Hanoi noch Moskau geben Quellen darüber Auskunft. Aber ein Analyse der über ein Jahr anhaltendenden Kämpfe und die hohe Kampkraft der Roten Garden zeigte eindeutig, dass Militärexperten wirkten.

Bei der Niederschlagung des Aufstandes zeigte sich der antinationale und volksfeindliche Charakter der feudalen Marionetten, welche die Kolonialmacht rückhaltlos unterstützten. Sie bildeten schwerbewaffnete Banden, die gegen die Einwohner der Aufstandsgebiete eine zügellose Terrorkampagne führten, der Tausende wehrlose Menschen zum Opfer fielen.

Zehntausende Opfer des Kolonialterrors

Ende Oktober 1930 eröffneten die Kolonialtruppen ihren Feldzug gegen die Sowjetgebiete, der sich über ein Jahr hinzog. Über Nghe Tinh wurde der Ausnahmezustand und das Standrecht verhängt, um das Aufstandsgebiet ein Sperrgürtel von 122 Militärstützpunkten errichtet, von denen die stärksten eine Besatzung von 400 bis 500 Mann hatten. Die Kolonialsoldateska ging mit beispielloser Grausamkeit vor. Wer sich weigerte, die Mitglieder oder Anhänger der Sowjets zu denunzieren, öffentlich der Revolution abzuschwören und eine Treueerklärung zur Kolonialmacht und zur Monarchie abzugeben, wurde verhaftet und in der Regel sofort hingerichtet.

Wie die „Humanité“ am 27. März 1931 berichtete, fielen dem Mordterror Zehntausende Menschen zum Opfer. Dutzende Dörfer wurden dem Erdboden gleich gemacht, Tausende Häuser nieder gebrannt. Trotzdem dauerte es über acht Monate bis es den Kolonialtruppen gelang, den Widerstand zu brechen. In den einzelnen Gefechten wurden die Roten Garden oft von Tausenden Bauern unterstützt. Im August 1931 befanden sich noch etwa 50 Gemeinden in ihren Händen. Die letzten Gefechte fanden im Dezember 1931 statt. Die in Saigon weilenden Mitglieder des Zentralkomitee waren bereits im April/Mai der Polizei in die Hände gefallen. Der erste Generalsekretär Tran Phu starb an den Folgen der grausamen Folterungen im April 1931. Ho Chi Minh, der nach China entkam, wurde in Vinh in Abwesenheit zum Tode verurteilt. Die britische Polizei verhaftete ihn in Hongkong, lieferte ihn aber nicht, wie die französische Sûreté verlangte, nach Vietnam aus.

Ho Chi Minh schätzte ein: „Obwohl die Franzosen die Bewegung durch blutigen Terror niederschlugen, bewiesen die Sowjets von Nghe Tinh den heldenhaften Geist und die revolutionäre Kraft der vietnamesischen Werktätigen. Obwohl die Bewegung nicht erfolgreich war. schmiedete sie die Kräfte

für die siegreiche Augustrevolution“.2 Das revolutionäre Heldentum trug dazu bei, dass der Kampf der vietnamesischen Sowjets, ihre Lehren und Erfahrungen, in den folgenden Jahren einen tiefen Widerhall in der nationalen Befreiungsbewegung fanden, zu einem entscheidenden Bestandteil ihres progressiven Ideengutes und damit zu einer Voraussetzung des Sieges im August 1945 wurden. Die revolutionäre Massenbewegung und die Sowjets 1930/31 bewiesen, dass die Arbeiterklasse und ihre kommunistische Partei die Führung des Befreiungskampfes übernommen hatten. Das war ein zu dieser Zeit in Südostasien einmaliger Vorgang.

Anmerkungen:

1 Die revolutionäre Massenbewegung in den Jahren 1930/31 und die Sowjets von Nghe Tinh, in: „Nhan Dan“, 12. Sept. 1970.

2 30 Jahre Kampf der Partei. In: „Hoc Tap“, 1/1960 (Vietn.), S. 2.

Siehe auch die Beiträge

im WELTEXPRESS.

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