Gedanken am Strand

© Dr. Bernd Kregel
Das Meer war still, ganz ruhig. Eine milde Sonne schien am Horizont, nicht zu heiß, nicht zu kalt, gerade so, wie wir es gern haben. Ein kühler Wind, nicht zu kalt, wehte.
Ich schlürfte eine Tasse „Americano“ Kaffee und dachte, dass alles in der Welt zum Besten stand.
Aber natürlich war es das nicht. In der Tat war alles schlecht, am schlechtesten von allen Welten.
Jenseits des blauen Meeres im weit entfernten Paris  beriet sich die größte Versammlung der Führer der Welt, wie man den Planet vom Klimawandel retten könne. Unser eigener Benjamin Netanjahu war dort mit einer riesengroßen Delegation, obwohl die meisten Israelis, einschließlich Netanjahu für dies Problem nur Verachtung hatten und das sie für ein gefälschtes Problem für verwöhnte Länder halten, die keine echten Probleme haben, wie wir sie in Mengen haben.
Er ging nur deshalb hin, um Hände zu schütteln, und um dieses Bild des Händeschütteln mit den größten Führern der Welt, einschließlich den Arabern, um so die Lüge für all jene zu verbreiten, die Israels wachsende Isolierung in der Welt bedauern.
Aber all dies war Augenwischerei. Israel, das Land das ich liebe, ist in großer Gefahr. Tatsächlich ist es in mehr Gefahren. Nicht nur in einer.
Während ich auf das Meer hinausschaute, dachte ich über die drei großen Gefahren nach, die ich spürte und die ich selbst nicht im Krankenhaus vergessen konnte.
Die erste Gefahr: Israel wird ein Apartheidstaat. (Was schon in den besetzten palästinensischen Gebieten die Situation ist.)
Früher oder später wird die eingebildete Grenze zwischen Israel und „den Gebieten“ völlig verschwinden. Noch besteht sie in legalen Termini. Doch wie lange noch?
Zwischen dem Mittelmeer und dem Jordan leben israelische Juden und palästinensische Araber jeder in mehr oder weniger gleicher Zahl – etwa 6,5 Millionen Dies wird ein Apartheidstaat in der schlimmsten Bedeutung des Wortes.
Falls Israel schließlich gezwungen werden könnte, den arabischen Bewohnern die gleichen Rechte zu gewähren, wie das Recht zu wählen (etwas das sehr, sehr weit entfernt scheint).
Dies würde ein Staat mit ständigem Bürgerkrieg sein. Diese beiden Völker haben nichts gemeinsam – sozial, kulturell, religiös, ökonomisch – außer ihrem gegenseitigen Hass.
Die zweite Gefahr wird von Daesh (IS, ISIL, ISIS) symbolisiert. Alle benachbarten Staaten mögen sich unter dem schwarzen Banner von Allah vereinigen und sich gegen uns wenden. Es geschah vor 900 Jahren, als der große Salah-ad-Din (Saladin) die arabische Welt gegen die Kreuzfahrer vereinigte und sie ins Meer warf. (Saladin war kein Araber, sondern ein Kurde aus dem nördlichen Irak.)
Während Israel auf diese Eventualität wartet, bleibt Israel bis an die Zähne bewaffnet mit massenweise Atombomben und wird immer mehr militarisiert, spartanisiert, religiös, fanatisch, ein jüdisches Spiegelbild des islamischen Kalifats.
Die dritte Gefahr mag die schlimmste sein: diese wachsende Zahl von jungen, wohl erzogener, talentierter Israelis werden in die USA und Deutschland auswandern und  hinter sich die wenig-gebildeten, primitiveren, weniger produktive Bevölkerung zurücklassen. Dies geschieht schon. Fast alle meine Freunde haben Söhne und Töchter, die im Ausland leben.
Übrigens die Entfernung scheint den „Patriotismus“ wachsen zu lassen – in der Tat Netanjahu bemüht sich jetzt darum, das Wahlrecht Israelis zu gewähren, die ständig im Ausland leben. Er glaubt offensichtlich, dass die meisten von ihnen für die extreme Rechte wählen.
Und wie ist es mit der Zukunft des Globus? Zur Hölle mit ihm!
Sehr wenig Leute reden über diese Gefahren. Stillschweigend stimmen sie darin überein, dass es da keine Lösung gibt. Warum sollen wir uns also darüber die Köpfe zerbrechen?
Aber da gibt es noch eine Gefahr, über die jeder endlos redet: das Auseinanderbrechen der israelischen Gesellschaft.
Als ich jung war und der israelische Staat noch nicht geboren, waren wir entschlossen, eine neue Gesellschaft zu schaffen, tatsächlich eine neue Nation, eine hebräische Nation. Wir mieden das Wort „Jüdisch“, weil wir anders waren als die jüdische Welt – erdgebunden, territorial, national.
Bewusst feierten wir den „Sabra“-Prototyp. Sabra ist das hebräische Wort für die Kaktuspflanze, die wir für eine Pflanze aus unserem Land hielten (Obwohl sie ursprünglich aus Mexiko kommt). Die Bezeichnung wurde der neuen Generation, die im Lande geboren wurde, gegeben. Der Tsabar wurde für praktisch gehalten, für sachlich, weit entfernt von jüdischer Spitzfindigkeit. Unbewusst nahmen wir an, dass der neue Typ Aschkenasi sei, blauäugig, von europäischer Abstammung.
Unter diesem Banner schufen wir, was wir als neue hebräische Kultur ansahen. Diese Kultur bestand für uns nicht nur aus Literatur, Dichtung, Musik und Ähnlichem, sondern, auch aus militärischen und zivilen Normen.
Da gab es eine Menge Dünkel, aber wir waren stolz, etwas völlig Neues zu schaffen. Es half uns, auf unsern eigenen Füßen zu stehen, den 1948er-Krieg (wenn auch gerade) zu gewinnen und den Staat zu gründen.
Wir brachten eine riesige Welle neuer Immigranten herein, und hier ist es, wo der Trouble begann. Beim „Ausbruch des Staates“ wie wir auf Hebräisch im Spaß sagten, waren wir rund 650 000 Seelen. In kurzer Zeit brachten wir mehr als eine Million neuer Immigranten nicht nur die vom Holocaust in Europa Übrig- gebliebenen, sondern fast alle Juden aus den moslemischen Ländern.
Diejenigen, die zögerten, denen wurde nachgeholfen. Im Irak legten israelische Geheimagenten Bomben in einige Synagogen, um die Juden davon zu überzeugen, dass sie gehen müssen.
Wir erwarteten, dass die neuen Immigranten so werden wie wir – wenn nicht gleich, so doch in einer Generation. Dies geschah aber nicht. Die „Orientalen“ hatten ihre eigene Kultur und Traditionen; sie hatten nicht den Wunsch „Tsabars“ zu werden.
Die Hoffnung von Leuten wie David Ben Gurion, dass sich das Problem innerhalb weniger Jahre von alleine lösen würde, erfüllte sich nicht. Im Gegenteil, Abneigung und gegenseitige Antipathie wuchs mit der Zeit.  Heute  ist es einer dritten und vierten Generation mehr als vorher bewusst.
Dann gibt es noch das „National-religiöse“ Lager, diejenigen, die die gehäkelte Kippah tragen.
Als der Staat ausbrach, erwartete jeder, dass die Religion aussterben würde. Hebräischer Nationalismus wurde übernommen; die jüdische Religion gehört in die Diaspora und wird mit den alten Leuten, die in diesem Land daran festhalten, verschwinden. Sie wurden mit freundlicher Verachtung behandelt.
Das Gegenteil geschah. Der 1967erKrieg, der die israelischen Soldaten an die alten biblischen Stätten brachte, ließ die Religion sprunghaft ansteigen. Er schuf die Siedlerbewegung, übernahm das rechte Lager und ist jetzt eine vorherrschende Macht im israelischen Leben und in der Politik, und übernimmt langsam die allmächtige Armee.
Die „Gehäkelten“ – wie wir sie nennen – sind von den Orthodoxen unterschieden, eine getrennte Bevölkerung, die in abgeschlossenen Vierteln lebt, schwarze Hüte und Kleidung trägt. Sie lehnen den Zionismus ganz und gar ab, aber nützen ihr Wahlrecht, um den Staat zu zwingen, ihre zahllosen Kinder zu unterstützen.
Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion erreichte eine riesige Welle russisch-jüdischer Immigranten das Land. Etwa jeder fünfte Israeli ist jetzt ein „Russe“ (Alle früheren sowjetischen Länder eingeschlossen). Die meisten von ihnen verachten alles, was nach Sozialismus oder Links riecht und tendieren zur äußersten Rechten, zum Nationalismus und sogar zum Rassismus.
All dies zusätzlich zu den 20% israelischer Bürger, die Araber sind, die dazu oder nicht dazu gehören. Sie haben sich mehr integriert als viele realisieren, werden aber von vielen als Feinde angesehen. Der Ruf „Tod den Arabern“ wird bei Fußballspielen routinemäßig geschrien.
Der Traum einer vereinigten, homogenen, neuen hebräischen Nation ist lange tot. Israel ist jetzt eine sehr heterogene Nation, eher wie eine Föderation von getrennten „Sektoren“, die einander nicht sehr mögen: Aschkenasis, Orientalen, National-Religiöse, Orthodoxe, Russen und Araber mit vielen Untergruppen.
Das eine Band, dass die meisten dieser Sektoren vereinigt, ist die Armee, in der sie alle (außer den Orthodoxen und den Arabern) zusammen dienen.
Und dann, natürlich gibt es den einen großen Einiger: den Krieg.

Anmerkungen:

Vorstehender Artikel von Uri Avnery wurde aus dem Englischen von Ellen Rohlfs übersetzt. Die Übersetzung wurde vom Verfasser autorisiert. Unter www.uri-avnery.de erfolgte am 05.12.2015 die Erstveröffentlichung. Alle Rechte beim Autor.
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