„Very British“ geht es zu in Perth. Die Hauptstadt Westaustraliens wartet in ihrem zentralen „London Court“ auf mit einer Architektur, die unmittelbar hinein führt in das Elisabethanische Zeitalter und somit zu den direkten Wurzeln der neuzeitlichen englischen Geschichte. Hier eine repräsentative Shakespeare-Darstellung, dort eine ernst dreinblickende Elizabeth I. und – nicht zu übersehen – die stattliche Figur König Heinrichs VIII. als Hintergrundfolie für ein belebtes Straßencafé.
Strahlende Außenfassade und inhumanes Innenleben
Nicht weit davon entfernt in der Hay Street „His Majesty’s Theater“. Prunkvoll in seiner fein ziselierten Außenfassade und in seiner Gesamtwirkung wie überzogen mit schneeweißem Zuckerguss. Nur bedingt vereinbar mit den modernen Hochhäusern, die inzwischen die Innenstadt von Perth beherrschen. Zum Glück gibt es da als Auslauf den ausgedehnten Kings Park, der über den Swan River hinweg einen Ausblick auf die bizarren Umrisse der Wolkenkratzer von Perth erlaubt. Doch nirgendwo Aborigines. Vielleicht einige Kilometer weiter südlich in dem von seiner Ausstrahlung her ebenbürtigen Publikumsmagneten Fremantle?
Doch auch hier dominiert die britische Tradition. Allein durch die unübersehbare Gefängnisanlage, protzig und ausbruchssicher auf einem Hügel im Stadtzentrum. Einst die traurige Bleibe für fast sechshundert Strafgefangene, die hier noch bis in die 90er Jahre des letzten Jahrhunderts hinein ihre Verfehlungen auf unmenschliche Weise abbüßen mussten. Zu einer Zeit, als anderswo der humane Strafvollzug schon längst in den Gefängnissen der westlichen Welt Einzug gehalten hatte.
Rollend röchelnde Didjeridoo-Klänge
Doch halt! Klangen da nicht gerade aus einem Laden in der Six Market Street die rollend röchelnden Laute eines Didjeridoo, des einzigen Instruments auf der Welt, das seinen Namen sagen kann? Die Regale an den Wänden sind gefüllt mit Modellen, die sich als jeweilige Unikate in Größe und Bemalung erheblich voneinander unterscheiden. Die nun in voller Deutlichkeit und Lautstärke hörbaren Lockrufe erzeugt jedoch nicht, wie erwartet, ein Aborigine, sondern Ellot Arvey. Ein weißer Australier mit wallender schwarzer Lockenpracht, der optisch und akustisch eins wird mit seinem stattlichen Instrument.
Ein Kurzlehrgang im Didjeridoo-Spielen gefällig? Warum nicht! Schnell ist ein passendes Probeinstrument gefunden, und schon beginnt als Grundübung die für das Spiel erforderliche Lippenakrobatik. Ein leichtes vibrierendes Schnauben aus der Tiefe heraus, bei dem die Lippen in schnelle Schwingung versetzt und sodann durch Laute der Stimmbänder unterstützt werden. Doch fällt auch in Fremantle kein Meister vom Himmel. So bleiben Ellots vielfältig satte Laute mit ihren unverwechselbaren Klangfarben aus der Tierwelt unerreicht. Doch fürs erste ist er mit dem Probeergebnis zufrieden. Na also, geht doch!
Bilder von Vorfahren und geheimnisvollen Geistwesen
Gleich um die Ecke in der 47 High Street überrascht das Schaufenster eines Kunstateliers mit Werken der Aboriginal Art. Doch auch hier wieder ohne Aborigines. Ian Plunkett, Inhaber der Japingka-Galerie, erläutert die im Erdgeschoss ausgestellten unterschiedlichen Stilrichtungen und schwärmt dabei von dem Geschwisterpaar Sarrita und Tarisse King, die es beide bereits in jungen Jahren mit ihrem traditionellen Malstil schon zu großem künstlerischem Erfolg in ganz Australien gebracht haben. Wie zum Beispiel mit ihren gepunkteten Bildern von Wasser und Erde, von Vorfahren und dem eigenen Land, die allesamt, so erklärt Ian, ein für Außenstehende kaum wahrnehmbares Geheimnis in sich bergen.
Ein Stockwerk darüber gibt Ians Kollege David Wroth daher eine kurze Einführung in die vor kurzem eröffnete Ausstellung mit moderner Aboriginal Art. Eine Kunstrichtung, die sich in dieser Gegenständlichkeit erst vor wenigen Jahren entwickelt hat und nun bereits zum Renner auf dem heimischen und internationalen Kunstmarkt avanciert ist. Von Schildkröten-Motiven bis zu einer angedeuteten Erdkugel, von geheimnisvollen Geistwesen bis zu einem im Stil westlicher moderner Kunst gestalteten Porträt von Weltumsegler James Cook.
Suche nach Begegnungen im Outback
Doch weiter geht die Suche, bis hinauf in die nur schwer zugänglichen Kimberley. Zu den Aborigine-Clans der Kidschas und Ejaru, die sich hier die Verwaltung des Purnululu-Nationalparks und seinen gestreiften Bungle Bungle Bienenstock-Formationen mit den weißen Rangern teilen. Doch auch hier ist die Begegnung nur indirekt. Sieht man doch an manchen Wegabbiegungen nur eine gespreizte Hand auf weißen Warnschildern. Die soll, soviel wird klar, davon abhalten, vom vorgegebenen Pfad abzuweichen und die kaum wahrnehmbaren Heiligen Stätten der Ureinwohner, die zu den Ursprüngen ihres spirituellen Lebens gehören, zu entweihen.
Doch dann endlich der entscheidende Lichtblick gleich hinter der Auffahrt zur holprigen Gibb River Road, die quer durch die Kimberley hindurch vor bereits mehr als einhundert Jahren den Viehtrieb von Derby in die weitab gelegene Hafenstadt Wyndham ermöglichte. Hier auf der Home Valley Station gibt es in einem „Aboriginal Training Program“ eine Ausbildungsstätte für junge Aborigines, die auf diese Weise mit einem Berufsabschluss für einen erfolgreichen Lebensweg fit gemacht werden.
Chrissie und Cassie auf Erfolgskurs
Eine von ihnen ist Chrissie, eine Schülerin im Alter von 17 Jahren. Zu ihren außerschulischen Aufgaben gehört es, Gäste der Station zu einem nahen Fluss zu begleiten und sie hier in die Kunst des Fischfangs einzuführen. Besonders in die Handhabung der Angel, an die sie sich, wie sie zugibt, selber erst gewöhnen musste. Denn früher, so gesteht sie nicht ohne Stolz, war sie auch ohne dieses Hilfsmittel allein mit einem Faden oder gar mit der bloßen Hand erfolgreich. Chrissie macht es Spaß, so gesteht sie, ihr eigenes Geld zu verdienen und freut sich bereits jetzt auf ihre im nächsten Jahr anstehende Führerscheinprüfung.
Beeindruckend auch Cassie, die sich im Farmalltag ebenfalls um die Gäste kümmert. Stets bereit, mit strahlendem Lächeln einen Einblick zu gewähren in ihre persönliche Biografie sowie in die für Zugereiste eher fremdartig erscheinende gesellschaftliche und spirituelle Welt der Aborigines. 40.000 Jahre lang durchstreiften diese, lange vor der Ankunft der weißen Europäer, den australischen Kontinent. Stets im Konfliktfeld zwischen den Mythen der bis in die Ursprünge zurück reichenden „Traumzeit“ und den harten Erfordernissen des täglichen Überlebens.
Geisterglaube und Tabus
Noch bis in die Gegenwart hinein, daran lässt Cassie keinen Zweifel, wird das Leben der Aborigines bestimmt durch die Existenz von Geistwesen – und nicht nur gutmütigen. Besonders gefürchtet sind daher die Unheil bringenden Geister, die unsichtbar ihr unberechenbares Spiel mit den Menschen treiben. Das spüren besonders die schamanistisch begabten Clan-Mitglieder wie ihr 14-jähriger Neffe, dem erst kürzlich eine unerklärliche und doch deutlich spürbare Energie den Boden unter den Füßen wegzuziehen drohte.
So gilt es stets, die im täglichen Leben geltenden Tabus zu erkennen und zu befolgen. Indem man besser niemand heiratet, der durch seine ähnliche Hautstruktur eine zu starke verwandtschaftliche Nähe erkennen lässt. Oder indem Schwiegersohn und Schwiegermutter, um Problemen frühzeitig aus dem Weg zu gehen, einfach nicht miteinander reden. Eine Konfliktlösung, von der man vielleicht auch anderswo profitieren könnte.
Kunst und Identität
Die beeindruckendste Aborigine-Persönlichkeit auf der gesamten Home Valley Station jedoch ist der Künstler Kevin Waina. Mit seiner weißen Haarpracht imponierend im Aussehen und als Meister seines Fachs nachgefragt in aller Welt. Ein Blick in sein Studio macht seinen Stil sofort erkennbar und überzeugt augenblicklich. Lange schlanke Figuren sind es, die sich als schwarze Silhouetten vor einem ockerfarbenen Hintergrund abzeichnen. Vor allem imponieren die Jagdszenen, in denen schlanke, mit Pfeil und Bogen oder mit Speer bewaffnete Jäger inmitten von nur schwer zu definierenden mythischen Wesen ihrem gefährlichen Handwerk nachgehen.
Auch das Städtchen Kununurra, östliches Eingangstor zur Gibb River Road, wartet auf mit einem unglaublich gut sortierten Atelier voller Aboriginal-Kunst. Ein ganzer Raum darin ist allein Kevin Waina gewidmet, der sich in seinen Figuren und der Struktur seiner Werke deutlich von anderen Künstlern und Kunststilen abhebt. Besonders hier zeigt es sich, wie sehr sich die Welt der Aborigines mit einem in der Kunst erkennbaren stärkeren Selbstbewusstsein neu artikuliert. Und dadurch nicht nur auf dem Kunstmarkt einen wesentlichen Teil des Lebensunterhalts selbst bestreitet, sondern – ausgehend von den Wurzeln – auch die eigene Identität künstlerisch neu formuliert.
Reiseinformationen „Western Australia/Aborigines“
Anreise
Mit Qatar Airways über Doha nach Perth. Weiterflug mit Qantas, SkyWest oder Virgin Australia nach Kununurra, dem östlichen Eingangstor in die Kimberley; www.qatarairways.com
Einreise
Mit noch 6 Monate gültigem Reisepass und „eVisitor“-Besuchervisum; einfach zu beantragen unter http://www.immi.gov.au
Reisezeit
Optimal: Mai bis Oktober mit angenehmem Wetter und den meisten touristischen Aktivitäten; von Nov. bis April ist mit Regen zu rechnen.
Reiseanbieter
Boomerang Reisen: www.boomerang-Reisen.de; STA Travel: www.statravel.de
Unterkunft
Perth: Mercure Hotel Perth, www.accorhotels.com, Kununurra: Freshwater, East Kimberley Apartments, www.freshwaterapartments.net.au, Bungle Bungles: East Kimberley Tours, www.eastkimberleytours.com.au, APT-Kimberley Wilderness Adventures, www.aptouring.com.au, Gibb River Road, Home Valley Station, www.hvstation.com.au
Auskunft
Tourism Western Australia: www.westernaustralia.com, www.bestofwa.com.au, www.tourism.wa.gov.au