ZF-Zukunftsstudie über Fernfahrer – Erheblicher Mangel an Lkw-Fahrern in den nächsten Jahren – Ursachen: schlechte Arbeitsbedingungen, zu wenig Bezahlung, Überstunden, Termindruck und miserable Behandlung

Und das sind noch optimistische Schätzungen, denn die Abbrecherquote bei den Berufsanfängern ist hoch, und der Bedarf nach Brummifahrern nimmt aufgrund des zunehmenden Güterverkehrs noch zu.

Das könnte sich zum Notstand entwickeln. „Schon heute arbeiten viele Lkw-Lenker am physischen und psychischen Limit“, lautete bereits das Fazit einer Studie des TÜV Rheinland vom Juli dieses Jahres. Die ermittelte, dass bei knapp drei von vier Speditionen bis zu drei Fahrer fehlen.

Daher hat das Institut für Nachhaltigkeit in Verkehr und Logistik (INVL) der Hochschule Heilbronn die Hintergründe und Ursachen des Berufskraftfahrernotstandes näher beleuchtet. Das Ergebnis ist die jüngst vorgestellte „ZF-Zukunftsstudie Fernfahrer“, die auf Initiative des Automobilzulieferers ZF Friedrichshafen und des Fachmagazins „Fernfahrer“ entstand. Sie basiert auf Interviews mit Fachleuten aus der Speditions- und Logistikwirtschaft sowie auf repräsentativen Umfragen unter Lkw-Fahrern. In ihr wird nachgewiesen, daß die Lkw-Fahrer ihren Beruf eigentlich gern ausüben, vermiest wird er ihnen aber durch schlechte Rahmenbedingungen.

Überstunden ohne Ende: 56,7 Stunden arbeiten die „Kapitäne der Landstraße“ durchschnittlich, besagt die Untersuchung, im internationalen Fernverkehr kommen sogar 62,9 Stunden zusammen – bei einer gesetzlich vorgeschriebenen maximalen Lenkzeit von durchschnittlich 45 Wochenstunden.

Gleichzeitig verdienen Lkw-Fahrer nach Angaben von Karlheinz Schmidt, Hauptgeschäftsführer vom Bundesverband Güterkraftverkehr (BGL), im Schnitt nur 2.000 Euro brutto. Damit liegen sie weit unter dem durchschnittlichen Bruttoverdienst aller Arbeitnehmer in der Bundesrepublik, der 2.700 Euro beträgt. Die ZF-Studie hat außerdem ergeben, daß Fernfahrer häufig an einem Sonntag ihre Tour starten und erst am Freitag, oft sogar erst am Samstag zurückkommen. Für soziale Kontakte oder kulturelle Aktivitäten bleibt da so gut wie keine Zeit, selbst das Ausruhen kommt da oft zu kurz.

Zu lange Arbeitszeiten und geringe Entlohnung sind noch nicht alles, laut der ZF-Studie beein-trächtigt auch der Streß in Permanenz die Arbeit hinterm Steuer. Etwa wenn die gesamte Route unter Zeitdruck steht oder der Zeitplan durcheinandergerät, weil der Lkw-Fahrer mal wieder warten muß, bis be- oder entladen werden kann. Aber auch das Verkehrsgeschehen kann zur Strapaze werden, zum Beispiel wenn die großen Fernlaster an einer engen Baustellendurchfahrt überholt werden. Dann hält nicht nur der Pkw-Fahrer den Atem an, wenn ein Lkw-Zug zu schlingern anfängt, wie Professor Dr. Dirk Lohre, der Leiter des INVL, aus den Interviews mit den Lkw-Fahrern berichtet.

„Chaos Rampe“

Besonders erniedrigend für die Lkw-Fahrer kann das „Chaos an der Rampe“ sein. Es gebe Auftraggeber, welche die Lkw-Fahrer „bei Wind und Wetter im Freien“ und mit rüdem Ton „abfertigen“, berichtet BGL-Hauptgeschäftsführer Schmidt: „Die dürfen nicht einmal die sanitären Anlagen benutzen“ – und würden dann auch noch „als Palettentauscher mißbraucht“. Derweil laufe die Uhr, und sie kämen mit dem nächsten Auftrag in Verzug. Selbst die Notdurft verrichten viele Fahrer vor lauter Hetze hinter dem Steuer, ersatzweise in eine Flasche. Da sei es kein Wunder, so Schmidt, daß viele Fahrer „selbst mit viel Geld nicht bei der Stange“ blieben.
Und die Politik? Das Bundesverkehrsministerium, kritisiert Schmidt, leugne die Gesamtproblematik und spiele sie als Einzelfälle herab, obwohl zum Beispiel seit etlichen Jahren bekannt sei, daß die Park- und Ruheplätze für die Fernfahrer nicht ausreichten. Nach Angaben des ADAC fehlen in der Bundesrepublik 7.000 Lkw-Parkplätze; oft werden die Lenk- und Ruhezeiten nur deshalb überschritten, weil vergeblich nach einem freien Abstellplatz für den Brummi gesucht wird.

Bessere Behandlung, Entlohnung und Arbeitszeiten

Schmidts Prognose ist drastisch: „Der Wettbewerb wird sich in Zukunft daran entscheiden, wer am Ende überhaupt noch Fahrer hat.“ Auch in der ZF-Studie wird erheblicher Handlungsbedarf ausgemacht: Die Brummifahrer müßten „besser entlohnt und ausgebildet werden, Überstunden, Termindruck und die ungünstigen Arbeitszeiten müßten beendet werden“, lauten die Forderungen von Professor Lohre. Den Fahrern müsse das „Chaos an der Rampe“ mit langen Be- und Entladezeiten erspart bleiben. Darüber hinaus fordert Schmidt, daß ein Berufskraftfahrer nach fünf Tagen Arbeit drei Tage Ruhephase erhalte, wie es bei Flugzeugpiloten üblich sei.

Werner Bicker, Geschäftsführer des den „Fernfahrer“ herausgebenden ETM-Verlages, betont, daß viel mehr Parkplätze mit Ruhe für den gesunden Schlaf sowie mit gut ausgestatteten und gepflegten sanitären Anlagen nötig seien. Verkehrsleitsysteme zur Vermeidung oder Umleitung von Staus sollten errichtet werden und die Disposition der Aufträge weniger eng gestrickt sein, damit der Arbeitsdruck erst gar nicht aufkommen kann, verlangt Bicker.

Wie drastisch Insider die Lage sehen, wird deutlich bei der Frage, wie den Forderungen Nachdruck verliehen werden kann. „Der BGL ist zwar ein Arbeitgeberverband“, überlegt Schmidt laut, „doch ein Streik der Lkw-Fahrer wäre langfristig auch für uns von Vorteil, damit sich etwas ändert.“

kb

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