Zander, Sonne und das Meer – Auf dem Radwanderweg um den Balaton wird es nie langweilig

Das Barockschloß des Grafen Festetics in Keszthely ist mit dem Fahhrad gut zu erreichen.

Am Ufer kann man jederzeit rasten, in den See springen oder den Segelbooten hinterher sehen. Das Mittelgebirge im Norden schirmt den See vor kalten Winden ab. Darum herrscht fast immer Mittelmeerklima. Lavendelfelder blühen, Mandeln und Feigen gedeihen. Ausgangspunkt für Radtouren ist das knapp 20.000 Einwohner zählende Keszthely. Die Hauptstadt des Balaton, die sich an das Westufer schmiegt. Zur Römerzeit war es ein wichtiges Handelszentrum. Heute kommen die Gäste, und schlendern durch die Fußgängerzone, in der sich kleine Läden und Cafes reihen. Die Stadt wirkt gemütlich. Und mittendrin befindet sich das Tourismusbüro. Die Mitarbeiter sprechen deutsch und geben uns hilfreiche Informationen. Dazu bekommt jeder eine Karte, auf der die Städte, Dörfer und wichtige Sehenswürdigkeiten mit schwarzem Filzstift eingekreist sind. Das ist gut, denn die Ortsnamen sind schwer auszusprechen. Keszthely bildet den Knotenpunkt im Radwegenetz, das sich nach Norden und Süden erstreckt, aber auch mit einer Strecke von 210 Kilometern um den Balaton herumführt. Gleich in der Nähe des Tourismusbüros ist eine Ausleihstation für Fahrräder. Wir können also starten und entscheiden uns für eine Drei-Tages-Tour. Schließlich möchten wir die Insel Tihany besuchen, von der zu Hause so viele schwärmen. Keszthely ist schnell durchquert. Am Rande der Stadt steht das Barockschloß des Grafen Festetics, das von einer weitläufigen, prächtigen Schlossanlage umgeben ist. Das große aus Marmor bestehende Treppenhaus und auch der Speisesaal zeigen den Prunk längst vergangener Zeit. Wertvollster Schatz des Schlosses ist die Helikon-Bibliothek. Fast 100.000 Bände füllen die Regale, darunter seltene Handschriften und Erstausgaben von Voltaire, Descartes und Rousseau. Jetzt heißt es wieder in die Pedale treten. Moorzypressen neigen sich am Wegesrand, durch die das Sonnenlicht sanft schimmert. Ein Höhepunkt auf dem „Balatoner Radwanderweg“ ist das einstige Jagdschloss der Familie Festetics bei Balatonszentgyörgy. An den Holzhäusern hängen Töpfe, Pfannen und alte Gartengeräte. Das Gelände ist ein idealer Tummelplatz für Kinder. Ponys und Ziegen lassen sich streicheln. Eine Kinderschar steht vor einer Strohscheibe. Ein Junge versucht mit Pfeil und Bogen ins Ziel zu treffen. Etwas düsterer wird es dann im Inneren des Sternschlosses, das seinen Namen dem sternförmigen Grundriss verdankt. In der oberen Etage wird das Leben der Helden der Grenzburgen auf Tafeln erzählt. Daneben stehen Ritter in Rüstungen. Eine Wendeltreppe führt in den Keller. Wer jetzt hofft, vielleicht noch einige Überreste der Grafen Familie zu finden, wird enttäuscht. Hier ist die Zeitreise in die Vergangenheit vorbei. Ein verstaubtes Teddybären- und Puppen-Museum, zusammengetragen von den Einwohnern der 700 Seelen-Gemeinde, zeigt sich den Besuchern.

Wir folgen der Empfehlung des Mitarbeiters aus dem Tourismusamt und nehmen den kleinen Umweg vom Sternschloss auf dem Radweg „Kis-Balaton“. Die weitläufige Sumpfwelt ist ein Naturerlebnis. Altungarische Graurinder weiden auf den Wiesen. Während eines Zwischenstopps steigen wir auf einen der hölzernen Beobachtungstürme, von der man Reiher, Kormorane und Bienenfresser beobachten kann. 150 Vogelarten brüten hier. Nach ein paar Minuten Radeln erreichen wir die Vogelberingungs- und Repatriierungsstation von Fenékpuszta. Ezter Kato ist Studentin und arbeitet in der Vogelklinik. Vorsichtig holt die 23jährige einen Vogel aus dem Netz, das am Ufer des Balaton gespannt ist. Sie untersucht das Gefieder des Tieres und bläst ihm anschließend über den Bauch. So erkenne man die Fettringe. Dieser hier ist gesund, erklärt sie. Nach der Prozedur bekommt der kleine Gefiederte von einer Fachkraft am Fuß einen Ring verpasst. Schließlich will man Näheres über die Flugrouten wissen. In der „Klinik“ wartet eine Eule auf ihre Heilung. Jährlich werden hier 250 bis 300 Vögel gesund gepflegt. Abends treffen wir in einer typischen Radlerkneipe auf Einheimische, darunter auch Deutsche. Radler also unter sich. „Ihr müsst unbedingt den Balaton Zander auf Mischgemüse probieren. Den habe ich heute Morgen gefangen“, prahlt der Wirt Laszlo. Wo man denn die besten Fische fangen könne, wollen wir wissen. Da hört es mit der Gastfreundschaft ganz schnell auf. Denn die besten Stellen werden nicht verraten.

Am nächsten Morgen wartet die Route der Heilbäder. 15 Kilometer, dann ist Héviz erreicht. Ein kleiner Ort mit 6.000 Einwohnern. Dennoch ist er berühmt. Er hat den weltgrößten Warmwassersee, der Kohlendioxyd, Schwefel, Kalzium und Magnesium enthält. Hierher kommen schon seit 200 Jahren Rheumageplagte oder Menschen mit Gicht, Diabetes oder Gelenkproblemen. Die Ungarn sagen, es ist ein See, in dem sich badend alles Leid verliert. Ob es gegen Muskelkater hilft? Ich steige über eine Holztreppe in das warme Wasser. Vor mir schwimmen rote, blaue und weiße Lotusblüten, die man eher in Indien vermutet. Die Arme auf Gummireifen gestützt, schweben kleine Grüppchen von Badenden durchs Wasser. Man plaudert mit den anderen, genießt die Leichtigkeit des Körpers. „Zwei Wochen, und ich habe das ganze Jahr über wieder Ruhe. Da hilft keine Spritze in Deutschland“, erzählt der Kraftfahrer aus dem Ruhrgebiet. Dann hat er kein Kreuz mehr mit dem Kreuz. Er ist selbstständig, da muss man fit bleiben. „Wir wollen 99 werden“, tönt fröhlich einer aus der kleinen Freundesclique. Wir tun was für unsere Gesundheit, ergänzt seine Frau. Denn die Schlammpackungen erweitern verengte Gefäße und entspannen verformte Gelenkkapseln. Dann schwimmt die lustige Runde auf den „Tratschbänken“ in Richtung Badehäuschen, die mit roten Türmchen verziert sind. So als hätte Graf György Festetics, der 1795 das erste Badehaus über dem See errichten ließ, bis in die heutige Zeit Regie geführt. Es hat sich also gelohnt, vom Sattel zu steigen, um sich im weichen Quellwasser auszuruhen. Fast wie im Märchen war es. Trotzdem habe ich auf den Rat der Medizinerin gehört, die meinte, vor eine längere Radtour sollte man nicht allzu lange im Wasser bleiben. Denn man ermüdet schnell. Es gibt wirklich noch sehr viel zu erkunden. In der umgebenden Parkanlage des Thermalsees sind Bänke aufgestellt. Auf fast jeder sitzen Pärchen. Einige haben sich in Bademäntel eingehüllt, andere genießen die Ruhe in luftiger Sommerkleidung. Héviz ist eine der bekanntesten Adressen für Heilkuren und Kurzurlaube. Die Hotels, die in den vergangenen Jahren erneuert wurden und dem europäischen Standard entsprechen, sind nicht nur auf Kurbedürftige, sondern auch auf Wellness- Gäste eingestellt. Im östlichen Teil von Héviz steht in der ehemaligen Gemeinde Egregy eine romanische Kirche. Ganz in ihrer Nähe ist ein gut erhaltenes römisches Grab zu besichtigen. Lohnender sind Ausflüge in die Umgebung.

Von Héviz fahren wir in östlicher Richtung nach Vonyarcvashegy. Kurz vor dem Schloß geht es steil nach oben. Da hilft nichts, wir müssen unser Fahrrad schieben. Doch der Aufstieg hat sich gelohnt. Bei Vonyarcvashegy steht eine abgelegene Votivkapelle. Ein Schmuckstück auf dem 134 Meter hohen Heiligen-Michael-Hügel. Unsere Begleiterin erzählt, dass einer Sage nach einst 46 Mann auf dem zugefrorenen Balaton zum Eisfischen gingen. Doch der nasse Untergrund gab nach und sechs Fischer fanden auf dem Seegrund ihr Grab. Die 40 Verbliebenen aber beteten um ihre Errettung, woraufhin die abgedriftete Eisscholle an das Ufer getrieben wurde. Als Zeichen ihres Glaubens errichteten die Eisfischer die zierliche Votivkapelle, in der auch heute noch regelmäßig Gottesdienste abgehalten werden.

Wieder am Ufer angekommen entscheiden wir uns für einen Sprung ins Wasser. Hinter dem Schilfgürtel stehen Angler. Riesengroße Welse, Hechte und Aale sind nicht ins Netz geraten. Dafür Zander. Die Versuchung, selbst einen Fisch an Land zu ziehen, ist groß. Wir haben allerdings keinen Angelschein. Den hätten wir in Keszthely kaufen sollen. 11 Euro kostet die Wochenkarte. Macht nichts. Den Balaton Zander serviert man in zahlreichen Gaststätten rund um den See.

Am nächsten Morgen haben wir einen langen Weg vor uns. Wir wollen die Halbinsel Tihany erreichen. Es geht vorbei an Feldern und Dörfern. Trotz aller Versuchung das Leben auf dem Land zu beobachten, muss man immer den Weg im Blick behalten. Denn die Radwege um den Balaton sind nicht voll ausgebaut. Und so manche Asphaltdecke wird durch empordrängende Wurzeln angehoben. Trotzdem fällt das Radeln leicht, da die Steigungen minimal sind. Von Weiten sieht man die Kirche der Benediktinerabtei. Da ist also die Insel. Im Dorf ziehen sich die Gassen bergauf und bergab zwischen den denkmalgeschützten Reetdachhäusern hindurch. Und es leuchtet lila. Auf Feldern und in den Gärten. Es duftet wie in der Provence. Bereits 1924 wurden die ersten Lavendelstöcke auf der Halbinsel gepflanzt. In den 40-er Jahren war die Plantage bereits mehrere Hundert Hektar groß. Das hier produzierte Lavendelöl konnte europaweit mit der Qualität des original französischen Lavendels mithalten. In den 60iger Jahren wurden die Lavendelfelder mit Weinreben bepflanzt. Als der Nationalpark 1990 gegründet wurde, entschloss man, die alten Lavendelplantagen wieder herzurichten. In die östliche Bucht von Tihany schmiegt sich Balatonfüred, die mondänste Stadt am See. Im 19. Jahrhundert kamen zahlreiche ungarische Künstler, Politiker und Intellektuelle nach Balatonfüred um sich zu erholen. Ein Kurzentrum für Herzleiden wurde gebaut. Die Heilquelle ist nach Freiheitsheld Lajos Kossuth benannt, die Promenade nach dem indischen Literaturnobelpreisträger Rabindranath Tagore, der in den 20er-Jahren fleißiger Kurgast war. Heute kommen die Gäste nicht nur zum Erholen. Zwei Balatonfüreder Feste sind in ganz Ungarn berühmt: der Anna-Ball im Juli, bei dem Ungarns schönstes Mädchen gekürt wird, und das „Romantische Festival“ im September, bei dem sich die halbe Stadt in Kostüme nach der Mode aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts kleidet. Aktion gibt es im Juni. 5000 Radfreaks aus 15 verschiedenen Ländern zeigen Kunststücke mit dem Rad und begeistern eine Woche lang 600 000 Zuschauer. Mir bleibt fast das Herz stehen, als ein Biker mit seinem BMX Rad über die Schanzen springt und in der Luft Figuren dreht. Bloß gut, dass er sicher gelandet ist. So fesselnd dieses Schauspiel auch ist, es bleibt genügend Zeit, sich die anderen Disziplinen, Trial, Dirt oder Marathonfahrten anzusehen. Wem es zu heiß wird, der kann sich ja im seidigen gelblich grünen Wasser erfrischen.

Tipps:

Anreise:

Flugverbindungen mit Malév, ab Berlin-Tegel, Hamburg und Frankfurt mit Lufthansa ab Hamburg, München, Frankfurt und Düsseldorf, von Budapest mit dem Zug oder einem Shuttlebus an den Balaton.

Héví­z Touristinformation: Tel.: +36/83 54 0 131, Fax: +36/83/540-132, Email: info@hevizmarketing.hu, Internet: www.hevizmarketing.hu

Thermalsee: In der Hauptsaison täglich von 8.30 bis 17 Uhr geöffnet, im Winter von 9 bis 16 Uhr.

Ungarisches Tourismusamt:

Regionaldirektion Deutschland Mitte, Nord & West, Lyoner Str. 44-48, 60528 Frankfurt/Main, Telefon: 069 / 92 88 460, Fax: 069 / 92 88 4613, Email: frankfurt@ungarn-tourismus.de

Regionaldirektion Deutschland Süd, Stefan-George-Ring 29
81929 München, Tel: 089 / 309 040 310, Fax: 089 / 309 040 510, Email: munchen@ungarn-tourismus.de

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