Die Autorin, 1970 in Stuttgart geboren, lebt in Neukölln und hat mehr als 14 Theaterstücke geschrieben, zahllose Kurzprosatexte verfasst, CD-Roms, Computerinstallationen, Literaturvideos und diverse Kurzfilme produziert und viele Preise erhalten. Allein von den Tantiemen für ihre Stücke können nur sehr wenige DramatikerInnen ihren Lebensunterhalt bestreiten. Deshalb ist auch der Hermann-Sudermann-Preis, der alle zwei Jahre vergeben werden soll, ein wichtiger Beitrag zur Förderung der dramatischen Literatur.
Namensgeber des Preises ist der Dramatiker Hermann Sudermann (1857 – 1928), der in seinem Testament notleidende Kollegen finanziell bedacht hat. Seine Stücke sind mittlerweile vergessen, obwohl er zu seinen Lebzeiten meistgespielter Bühnenautor in Deutschland war. Erfolg durch Anpassung an den Zeitgeschmack dürfte jedoch nicht zu den Kriterien bei der Vergabe des neuen Preises gehören, denn Felicia Zeller ist ganz sicher keine angepasste, sondern eine höchst eigenwillige und kritische Zeitgenossin.
In ihrem neuen Stück „X Freunde“ nimmt sie die phänomenale Bedeutung von Arbeit in der modernen Gesellschaft unter die Lupe. Längst sind die Zeiten vorbei, in denen Wohlhabende sich genussvoll dem Müßiggang hingaben. Heute ist Arbeit zum Sinn des Lebens geworden. Wer keine Arbeit hat, ist ausgeschlossen aus der Gesellschaft und läuft Gefahr, seine Identität zu verlieren. So geht es dem Koch Holger. Er ist arbeitslos und will nun, zunächst noch motiviert und gut gelaunt, die Zeit nutzen, um zu Hause neue Rezepte auszuprobieren.
Holgers Frau Anne dagegen ist ganz in Anspruch genommen von ihrer neu gegründeten Firma. Für das Zusammensein mit ihrem Ehemann hat sie ebenso wenig Zeit wie für Gespräche mit dem gemeinsamen Freund, dem Bildhauer Peter, der seine Skulptur „X Freunde“ nicht fertig zu stellen vermag. Die drei Personen, zunehmend belastet durch ihre jeweilige Arbeitsproblematik, driften immer weiter auseinander, bis schließlich Peter, der Looser, Selbstmord begeht.
Bettina Bruinier hat die Gesellschaftssatire mit grotesken Aktionen temporeich realisiert und dabei die Sprache ins Zentrum der Inszenierung gerückt. Claude de Demo, Christoph Pütthoff und Viktor Tremmel treffen sehr präzise die unterschiedlichen Sprechweisen, mit denen Felicia Zeller ihre Figuren charakterisiert hat und steigern das Tempo bis zu akrobatischen Schnellsprechtiraden.
Ebenfalls um den Bezug zwischen Arbeit und Identität geht es in Gesine Danckwarts Stück „Wunderland“, das in einem Gastspiel des Nationaltheaters Mannheim in der Box zu erleben war. Auch hier steht die Sprache im Mittelpunkt. Zwei Schauspielerinnen und zwei Schauspieler lassen die deutsche Wohlstandsgesellschaft durch Worte, gelegentlich auch durch Gesang, lebendig werden.
Die Sprache ist plakativ. Es geht um Verkauf, vor allem um Selbstvermarktung. Auf der Bühne stehen Individuen, deren Ehrgeiz darin besteht, sich in Klischees zu verwandeln. Ängste oder die Suche nach tieferem Sinn müssen verdrängt werden, damit die glatte Oberfläche keine Kratzer aufweist. Auch Penner oder pflegebedürftige Alte gehören nicht ins Bild der perfekten neuen Welt. Alle Menschen sind jung, schön, gesund, unentwegt mit ihren Karrieren beschäftigt und ausgestattet mit allen Attributen technischen und modischen Fortschritts. Gearbeitet wird unentwegt, denn auch die knapp bemessene Freizeit dient nicht der Erholung, sondern dem Informationsaustausch und der erfolgreichen Präsentation.
Cilli Drexel hat das Stück mit einem großartigen Ensemble exzellent in Szene gesetzt und macht auch das Grauen spürbar, das hinter den allzu blank geputzten Fassaden lauert.
Anne Habermehl, deren Stück „Narbengelände“ in einer Inszenierung der Autorin am Theater Gera/Altenburg bei den Autorentheatertagen 2011 beeindruckte, hat ihr neues Stück „Luft aus Stein“ als Auftragsarbeit für das Schauspielhaus Wien geschrieben und bei der Uraufführung im Januar 2013 selbst Regie geführt. Die Inszenierung war bei den diesjährigen Autorentheatertagen in der Box zu erleben.
Erzählt wird die Familiengeschichte von drei Frauen aus drei Generationen in der Zeit zwischen dem Zweiten Weltkrieg und der Gegenwart, deren Kommunikation gestört ist aufgrund der Unmöglichkeit, über traumatische Erlebnisse in der Vergangenheit zu sprechen. Das, wie auch die Abwesenheit des Vaters und ein verloren gegangener Bruder, lassen an Marianna Salzmanns Stück „Muttersprache Mameloschn“ denken, das, im September 2012 in der Box des Deutschen Theaters erfolgreich uraufgeführt, dort auch weiterhin zu sehen ist.
In „Luft aus Stein“ wird, ebenso wie in „Muttersprache Mameloschn“ ständig in der Zeit vor und zurück gesprungen, aber obwohl zwei der Frauen in Anne Habermehls Stück Ruth und Hanna heißen, geht es hier, anders als bei Marianna Salzmann, nicht um eine jüdische Familie, und es geht um eine andere Art der Auseinandersetzung mit einer ganz anderen Vergangenheit.
Während die Jüngste in Marianna Salzmanns Stück die Opferrolle nicht mehr akzeptiert und Anspruch auf ein gleichberechtigtes Leben erhebt, sind die Jüngsten bei Anne Habermehl die eigentlichen Opfer.
Zweifellos hatte Anne Habermehl nicht die Absicht, die Kriegserlebnisse von nichtjüdischen Deutschen oder ÖsterreicherInnen gegen die Verfolgung und Ermordung von Jüdinnen und Juden aufzuwiegen. Viel mehr ging es der Autorin darum, Nationalsozialismus und Krieg als Katastrophe zu zeigen, die auch und gerade für die nachfolgenden Generationen eine zerrüttete Beziehung zu ihrer Herkunft und deshalb Risse in ihrer Identität bewirkt.
Die Traumata der Großeltern, durch Sprache nicht zu bewältigen, vererben sich auf Kinder und Enkelkinder. Die Verflechtung der Generationen macht Anne Habermehl dadurch deutlich, dass sie Mutter Hanna und Großmutter Ruth abwechselnd von Franziska Hackl und Katja Jung spielen lässt, während Enkelin Paula ausschließlich von Franziska Hackl dargestellt wird. Gideon Maoz spielt Paulas Bruder und Geliebten Anton, sowie den Bruder der Großmutter, und Max Mayer verkörpert die beiden Fremden, den verstoßenen Großvater und den Arzt, der Paula nicht nur medizinisch betreut, nachdem sie bei dem Autounfall, mit dem Anton sich und seine Schwester umbringen wollte, ihre Sprache verloren hatte, während ihr Bruder unverletzt geblieben war.
Das eindrucksvolle Bühnenbild von Christoph Rufer zeigt die Unterführung, in der der Unfall geschah, einen düsteren Tunnel, an dessen Ende kein Licht zu sehen ist.
Anne Habermehl hat das Stück in kurze Szenen aufgeteilt, in denen das hervorragende Ensemble Episoden aus der Familiengeschichte zu unterschiedlichen Zeiten gestaltet. Die jeweiligen Jahreszahlen leuchten auf einer Tafel auf. Die Vorstellung ist sehr spannend, auch wenn die Aussage nicht wirklich überzeugt und die poetische Sprache von der Bedeutungslast erdrückt wird.
Ebenfalls um Deutungen, vielleicht aber auch nur um Gedankenspiele, geht es in Lot Vekemans Monolog „Judas“, als Gastspiel der Münchner Kammerspiele im Deutschen Theater zu erleben. In der Inszenierung von Johan Simons sitzt Steven Scharf als Judas vor dem eisernen Vorhang in schwindelerregender Höhe ganz oben auf einer Leiter. (Bühnenbild Bettina Pommer). Steven Scharf ist nackt und kehrt dem Publikum den Rücken zu. Nur gelegentlich wendet er sich um, auf Augenhöhe mit den ZuschauerInnen im 2. Rang. Er sieht aus wie eine zum Leben erwachte antike Statue, Abbild des in Ewigkeit verdammten Verräters.
Der erhabene Anblick passt nicht ganz zum Text. Lot Vekemans hatte eigentlich die Absicht, die ZuschauerInnen in Judas sich selbst erkennen zu lassen. Der Monolog ist eine ganz persönliche Ansprache ans Publikum, in der Judas versucht, sein Verhalten verständlich zu machen. Er zeigt sich als zweifelnder Mensch, der in eine Situation hineingeraten ist, die er falsch eingeschätzt hat. Den Tod Jesu hat er nicht gewollt, und er bereut seine Schuld daran, weiß aber auch, dass sein Fehlverhalten notwendig war, damit der göttliche Heilsplan sich erfüllen konnte.
Durch die Positionierung des Protagonisten kann Judas in der Inszenierung von Johan Simons keine Nähe zum Publikum herstellen, Steven Scharf hat kaum Möglichkeiten, durch Körpersprache auszudrücken, was Judas bewegt und ist auch, um akustisch verständlich zu sein, in seiner Wortgestaltung eingeschränkt.
Eindrucksvoll ist die Inszenierung in jedem Fall, und die ZuschauerInnen im DT waren begeistert. Beim Publikumsgespräch im Anschluss an die Vorstellung war der Saal voll besetzt, und Lot Vekemans und Stephen Scharf wurden stürmisch gefeiert.
Mit nur einer Stunde Spieldauer war „Judas“ das kürzeste der im Programm der diesjährigen Autorentheatertage angebotenen Stücke. Nur fünf Minuten länger war die Vorstellung von „demut vor deinen taten baby“, die an den selben Abenden wie „Judas“, aber 90 Minuten früher, in der Box stattfand. FestivalbesucherInnen, die während der 13 Tage alle 14 Gastspiele erleben wollten, konnten den Besuch der Stücke von Lot Vekemans und Laura Naumann zu einem kontrastreichen Theaterabend verbinden.
„demut vor deinen taten baby“ ist ein höchst vergnügliches feministisches Märchen, das, trotz seines tragischen Endes, positiv ausgeht. Heldinnen im Gastspiel des Wiener Burgtheaters sind drei junge, völlig unterschiedliche Frauen, verbunden durch ein Phänomen, das gemeinhin eher Männern zugetraut wird, nämlich unverbrüchliche Freundschaft bis über den Tod hinaus.
Die resolute Lore (Jana Horst) reist um die Welt auf der Flucht vor ihrer dominanten katholischen Mutter, Bettie (Liliane Amuat), sexy und naiv, verdrängt die Eskapaden ihres Freundes, und die schüchterne Mia (Stefanie Dvorak), die zum Flughafenpersonal gehört, lebt in Träumen von einem kleinen Westerndorf, in dem sie als Revolverheldin agiert, begleitet von einem philosophierenden, gelegentlich auch weinenden Pferd.
Zufällig befinden sich die drei Frauen in benachbarten Toilettenkabinen, als ein herrenloser Koffer in der Damentoilette des Flughafens Terroralarm auslöst. Der Flughafen wird evakuiert, die Damentoilette abgeriegelt, und die drei eingeschlossenen Frauen erwarten ihr Ende. In Todesangst kommen sie miteinander ins Gespräch, schieben ihre Hände unter den Toilettenwänden durch und halten sich aneinander fest.
Statt der Katastrophe gibt es jedoch Entwarnung. Die drei Frauen erleben ihre Befreiung als euphorischen Glücksrausch, der all ihre Probleme wegfegt. Sie beschließen, zusammen zu bleiben und das Glück, das sie erlebt haben, an möglichst viele Menschen weiterzugeben, indem sie in Discos oder Supermärkten Terroranschläge simulieren.
Das Trio setzt die Idee erfolgreich um. Die Frauen werden zu Stars, umjubelt von glücklichen Menschen, die ihre Versicherungen kündigen und das Leben genießen anstatt zu arbeiten. Die Wirtschaft droht zusammenzubrechen, und so entwickeln die Mächtigen einen raffinierten Plan, der dazu führt, dass die Glücksbringerinnen sich selbst ausschalten.
Laura Naumann hat drei großartige Frauenrollen geschaffen, die mit Jana Horst, Stefanie Dvorak und Liliane Amuat hervorragend besetzt sind. Unter der Regie von Alexander Ratter gestalten sie subtil die Entwicklungen der drei Persönlichkeiten von anfänglicher Unsicherheit über Panik und Verzweiflung bis zu dominanten Siegerinnenposen, bemächtigen sich des Publikums ohne die Peinlichkeit von Mitspieltheaterzwang, lassen ganz konkret die Räumlichkeiten entstehen, die Katharina Faltner in ihrem kunstvollen Bühnenbild kaum angedeutet hat und beweisen in einer lautstarken Auseinandersetzung mit viel Geschrei und Gekreisch, dass ein handfester Streit eine echte Freundinnenschaft nicht zerstören kann.
Die Botschaft des Stücks, dass Kapitalismus und stetiges Wirtschaftswachstum mit glücklichen, von Angst befreiten Menschen nicht funktionieren können, ist, trotz aller Turbulenz, in dieser Inszenierung unüberhörbar.