Ihr hochmütiges Desinteresse den Anstrengungen und Errungenschaften der sozialistischen Wissenschaft gegenüber könnte Sahra Wagenknecht kaum besser demonstrieren als durch ihren Beifall heischenden Vorwurf an die Adresse der Finanzleute. Bei ihren bürgerlichen Autoritäten (2) hat sie ihn abgeschrieben: „Geld aus dem Nichts“ machen die „Bankster“ nach ihrem Urteil! Kaum ein Gegenstand ist in den letzten Jahrzehnten von linken Politökonomen und unter Berufung auf Karl Marx schulmeisterlich dermaßen hin und her gewälzt worden wie das Geld, und tatsächlich hat ja ihre Berufungsinstanz mit glänzendem Erfolg Jahre lang daran gearbeitet, eine viele Jahrzehnte dauernde wissenschaftliche Diskussion zu einem überzeugenden Ergebnis zu führen. Einmal entziffert, war die Natur des Geldes ebenso einfach zu lernen wie der Lehrsatz des Pythagoras, nachdem er einmal entdeckt worden war. Sahra W. aber ist eine strebsame Ökonomin, die längst gehobene Schätze der Wissenschaft gerne ignoriert, wenn man mit Modeschmuck einfach besser auffallen kann:
„Wie entsteht heute (!) Geld? Im Grunde aus dem Nichts, einfach dadurch, dass eine Bank einem Kunden Kredit gewährt“ (67).
Eine solche Gelderklärung kann man nun noch einfacher lernen als den Satz des Pythagoras. Vielleicht findet sie deshalb so viele Anhänger unter den Linken, von denen manch einer auch daran denken wird, wie sein eigenes Geld immerzu zustande kommt ”¦ Aber warum jammern diese Leute dann eigentlich über die abnormen Einkommen der Bankiers? Wenn die im Unterschied zu so vielen anderen Zeitgenossen ihr Geld gleich selber machen, ganz ohne die blöde Anstrengung irgendeiner nützlichen Arbeit, dann haben sie offenbar den Stein der Weisen gefunden, den die Alchimisten elend lange vergeblich gesucht hatten; aber während jene so bescheuert waren, die Sache mit allerlei Mixturen in die Welt setzen zu wollen, schaffen es die Geldleute nach Wagenknechts Vermutung ganz ohne irgendwelche sachlichen Voraussetzungen aus dem Nichts!
Ohne Zweifel spielen heutzutage die Banken im hochgradig zentralisierten Geldwesen eine ganz außergewöhnliche Rolle, was man am besten vielleicht daran sehen kann, dass sie gegenwärtig mal wieder trotz – oder auch wegen – aller ihrer rücksichtslosen Schwindelgeschäfte von den ideellen Gesamtkapitalisten nach allen Regeln der Regierungskunst gepampert werden – bloß um ihre Bankrotte zu verhindern! Entgegen ihrer oft anders lautenden Bekenntnisse wollen die Regierungen die Schließung der verrufenen Häuser möglichst verhindern! Banken müssen seltene Fähigkeiten haben. Aber Geld machen – und dann auch noch aus dem Nichts? Umgekehrt geht es eher: Geld kann von ihnen infolge ihrer eigentümlichen Funktionen in besonderem Maße veruntreut werden. Das war es dann aber schon in dieser Hinsicht. Banken und die anderen Finanzintermediäre vermitteln und verwalten das Geld aller Klassen und vergeben daher auch Kredite. In ihren Händen konzentriert sich ganz entscheidend das verleihbare Geldkapital der ganzen Gesellschaft, und solange alle Geldeigentümer an der Ausbeutung der hervorbringenden Klassen ordentlich verdienen, gelten die Finanzleute als ehrbare und nützliche Zeitgenossen. Das Geschrei ist aber groß und die übelsten Verdächtigungen nehmen kein Ende, wenn Verluste sichtbar werden. Zu solchen Verdächtigungen gehört die bedenkliche Behauptung, die Leute aus dem Bankgewerbe hätten ähnliche Fähigkeiten wie einst die Hexen, deren Schadenzauber für Spießbürger und Inquisitoren Anlass genug war, den Brennstoff für die Scheiterhaufen zusammenzutragen – zur Festigung ihrer göttlichen Ordnung. Diabolische Kräfte zur Geldschöpfung müssen herhalten, weil das linke Spießbürgertum sonst kaum noch Möglichkeiten zur Erklärung der sozialen „Missstände“ hat. Von den alten Sozialisten konnte man ungleich Besseres lernen.
Der Reichtum der modernen Gesellschaften wird bekanntlich überwiegend als Ware produziert; und ohne hier eine weitläufige Ableitung zu wiederholen: Es sind die Warenproduzenten, die das Geld produzieren, wenn auch meist nicht in der Form des Geldes. Sie treten mit der Vorstellung an „Geld zu machen“ – nur das Gelddasein ihrer Ware veranlasst ihre Produktion. Ihre blendende Geldform erhält die als Warenwert verdunkelte gesellschaftliche Arbeit dann im Warenaustausch, und als Verkäufer in erster Instanz sind daher die Produzenten der Waren auch in dieser Hinsicht die geldschöpferisch tätigen Figuren. Der Verkauf ihrer Waren und damit deren Verwandlung in den selbständigen Ausdruck ihres Warenwertes, in Geld, ist für sie eine Notwendigkeit; soweit er nicht gelingt, zählt ihr Arbeitsprodukt auch nicht zum gesellschaftlichen Reichtum. So lange sie ihre Warenwerte in ihrer Naturalform besitzen und noch nicht in die Geldform gebracht haben, ist auch ihre individuell verausgabte Arbeit nicht als gesellschaftliche bestätigt worden. Wer die Geldbewegung und also auch den Bildungsprozess des Geldes analysieren will, wird sich daher die kapitalistische Produktion der Waren mit ihrer eigentümlich blinden Verteilung der gesellschaftlichen Arbeit ansehen müssen. Mit der Phrase von der „Geldschöpfung aus dem Nichts“ soll aber genau diese Sicht der Dinge zugestellt werden: Produktion? – das hört sich doch an wie Ausbeutung oder Arbeitermissbrauch! Verteilung der gesellschaftlichen Arbeit? – das geht gar nicht! Da riecht ja was nach Planwirtschaft!
Die Warenproduzenten selber trachten nach einer allgemeinen Form ihrer Ware und daher nach dem Geld, mit dem sie ihrerseits an beliebige andere Waren herankommen können[3], jederzeit und überall. Sie schaffen auf diesem Wege Form und Inhalt des gesellschaftlichen Reichtums, und während daher nichts naheliegender wäre, als sich diese Charaktere vorzuknöpfen, wenn man „Wohlstand für alle“ verlangt, schenkt Frau Wagenknecht ihre wütende Aufmerksamkeit vor allem den Geldinstituten. Zwar steigern die Banken durch die Zentralisation des Geldwesens seine Wirksamkeit, z.B. indem sie die notwendigen Reservefonds der industriellen Kapitalisten konzentrieren und den Ausgleich ihrer Bilanzen erleichtern, aber auf Geldschöpfung verstehen sie sich nicht.
Der bloße Umstand, dass der Verkäufer sein Produkt nicht verschenkt, sondern eben verkauft, deutet entschieden darauf hin, dass er den Wert seiner Ware behalten will, aber nicht in seiner besonderen Gebrauchswertgestalt, sonst böte er seine Ware nicht an. Verschenkte er sein Produkt, verzichtete er also auch auf den Wert seiner Ware, so wäre übrigens gar kein Geld nötig, und unnötiges Geld hat keine Existenzberechtigung. Man kann das ja nicht oft genug betonen. Der Verkäufer will seinen Warenwert aber auch nicht in einer bestimmten anderen Gebrauchswertgestalt, denn dann müsste er aufwändig einen geeigneten Tauschpartner suchen, mit dem es wechselseitig passt, der also seine Ware will und die Ware seines Verlangens anbietet. Er will den Warenwert in einer vorbehaltlosen Form, mit der er zu jeder beliebigen Zeit und an jedem beliebigen Ort eine beliebige andere Ware erwerben kann, will also das pure gesellschaftliche Dasein seiner Ware. Er will durch den Warenverkauf seinen Warenwert in die Form seiner unmittelbaren Austauschbarkeit bringen, und zwar in eine möglichst sichere Form. Er vertraut daher lieber einem Ding als einer Person, lieber dem Pfand als dem Schwur eines habgierigen Kunden, und er verlangt ein abstraktes Arbeitsprodukt oder die Universalversion der Ware als Äquivalent: Geld ist daher allgemeine Ware, ein Ding – und der Fetisch hat Methode. Die sachliche Verschleierung aller Verhältnisse, die aus der Warenproduktion hervorwachsen, nimmt ihren unvermeidlichen Anlauf mit der Herausbildung einer allgemeinen Ware der Kontrakte: mit dem wertvollen Gold oder auch Silber als Geld. Über die Vorteile und die Möglichkeiten einer Stellvertretung dieser Arbeitsprodukte, jedenfalls in ihrem Dasein als bloße Zirkulationsmittel, durch einfache Zeichen sind manche Argumente zusammengetragen worden, und obgleich, wie man es etwa auch aus religiösen Zusammenhängen gut kennt, die Einführung eines Stellvertreters das Risiko von Schwindelgeschäften deutlich steigert, wachsen solche Stellvertreter immer wieder aus den menschlichen Lebensverhältnissen hervor. Aber vom Wertzeichen, das die Stelle des edlen Metalls einnimmt, ist hier gar nicht die Rede, vielmehr interessiert uns die phantastische Vorstellung von einem Geld, das Frau Wagenknecht aus dem Nichts hervorbrechen sieht:
„Wie“, fragt Wagenknecht, „entsteht heute Geld? Im Grunde (ausgerechnet „im Grunde“) aus dem Nichts, einfach dadurch, dass eine Bank einem Kunden Kredit gewährt“.
Feine Unterschiede, wie etwa der von Ursache und Wirkung, werden das Spezialgebiet der Autorin nicht sein, denn sonst hätte sie nicht nur einsehen müssen, dass ein Kredit kein Geld ist, sondern dass er auch das Geld unterstellt. Kreditgeber und Kreditnehmer müssen doch wissen, wie hoch der Kreditbetrag ist und wie er zurückgezahlt werden soll. Ohne Maß und Zahlungsmittel ist ein Zahlungsversprechen kaum zu machen. Der Kredit ist daher auch für die Banken ihre in Geld ausgedrückte und an ihren Kreditnehmer gerichtete Aufforderung zur kapitalistischen Warenproduktion. Der soll ja zwecks Kreditbedienung nicht nur gesellschaftliche Arbeit in Geldform zustande bringen, sondern in Geldform auch unbezahlte Arbeit, Mehrarbeit auch für die Bank. Ohne Zins gibt sie keinen Kredit. Betrachtet man nur den oberflächlichsten Zusammenhang, den man haben kann, so sieht es oft zwar ganz anders aus, wenn z.B. Reitwechsel in die Welt gesetzt werden oder Staatsschuldtitel in aller Öffentlichkeit als Rohstoff der „Geldschöpfung“ Verwendung finden, aber damit ist man leicht schon angekommen bei den Schwindelgeschäften, die wiederum erst dann eine Erklärung finden können, wenn wir uns die regelgerechten Geschäfte erklärt haben, wovon sie offenkundige Abweichungen sind.
Wagenknecht selbst räumt ein, dass die Bank, die „heute“ einen Kredit herausreicht, offenbar auch einen Kunden hat. Ohne diesen Kreditnehmer kommt kein Kredit zustande. Ist der etwa ein Nichts! Sehen wir ihn uns doch einfach an. Ein Kreditnehmer ist vorzugsweise irgendein Warenkäufer, der kein Geld hat. Wenn die Bank diesem Kunden einen Kredit gibt, dann wird der damit über das nötige Mittel verfügen, mit dem er den Anspruch eines Warenverkäufers befriedigt. Im wohlverstandenen Eigeninteresse wird die Bank zuvor noch einigen Aufwand treiben. Sie wird die „Bonität“ des Kunden prüfen und Sicherheiten verlangen, sie wird möglichst keine Blankokredite vergeben, sondern immer danach fragen, wofür der Kredit verwendet werden soll, sie wird also untersuchen, ob das Geschäftsmodell des Antragstellers gewinnträchtig ist oder nicht, ob er zur Rückzahlung und Verzinsung imstande sein wird oder nicht, denn sie will ja Geld verdienen und nicht verlieren. Sie wird damit genau das machen, was an ihrer Stelle der Warenverkäufer auch hätte machen müssen zur Minderung seines Verlustrisikos, wenn er selbst und nicht die Bank dem Warenkäufer einen Kredit eingeräumt hätte. Und erst wenn sie sich von der ausreichenden Qualität seines Zahlungsversprechens überzeugt hat, wird die Bank dem Kreditkandidaten den Warenkauf ermöglichen. Ist das alles nichts? Das ist alles andere als nichts! Das ist ein gewaltiger Schritt auf dem Wege der Feststellung des Warenwerts, es ist also die vorläufige Anerkennung der in der Warenproduktion privat verausgabten Arbeit des Verkäufers als gesellschaftliche. Die Bank erkundet mit ihrer Tätigkeit gewissermaßen die Gesellschaftlichkeit der zu verkaufenden Ware, ihre Wertform, als deren provisorisches Exemplar das Zahlungsversprechen betrachtet werden kann, eine Wertform also, die noch unter Vorbehalt steht, solange der Kredit nicht getilgt ist. Und getilgt wie verzinst wird der Kredit mit dem Geld, das der verschuldete Warenkäufer in Warenform produzieren muss, wenn er es nicht stehlen oder erben kann. Dass er es nicht hat, war die Voraussetzung seiner Kreditaufnahme.
Indem die Theorie der „Geldschöpfung aus dem Nichts“ gerade das Entscheidende „übersieht“, nämlich die Warenproduktion und den Warenhandel, stellt sie die Möglichkeiten zu, die zahllosen kabbalistischen Zeichen der Geschäftswelt als verrückte Formen der gesellschaftlichen Arbeit zu entziffern, so dass zuletzt nicht einmal an den Aufregungen der Weltmarktkrisen die Notwendigkeit einer gesellschaftlichen Produktionsplanung festgestellt werden kann. Im Gegenteil werden von den Ökonomen der Marke Wagenknecht Wirtschaftskrisen vorzugsweise als Resultate verfehlter Geldpolitik betrachtet und werden auf diesem Wege die skandalöse kapitalistische Produktion und ihre merkwürdige Überproduktion dem Blick der Betrachter vollends entzogen. Es ist, als werde hier zur Sicherung ihrer Reproduktionsfähigkeit der kapitalistische Kern der herrschenden Produktionsweise von seiner monetären Hülle geschützt.
Für den Warenverkäufer verhält sich der Kredit zum wirklichen Geld wie das Risiko zur Sicherheit. Zwar kann man das Zahlungsversprechen als eine gesellschaftliche Form des Warenwerts betrachten, aber eben nur mit der erheblichen Einschränkung, dass die Verwirklichung selbst der besten Absichten des Kreditnehmers durch allerlei Widrigkeiten vereitelt werden kann, die zu verhindern meist nicht in seiner Macht liegt. Obgleich das Risiko des Zahlungsausfalls bis zur Tilgung bleibt, macht aber der Kredit Karriere in der kapitalistischen Produktionsweise. Wie das?
Die ersten Verkäufer der Waren sind ihre Produzenten, und kapitalistische Warenproduzenten können es sich nicht aussuchen, ob sie produzieren wollen oder nicht, denn ihnen wird die Produktion nach Art und Umfang vom Stand der Produktivkräfte vorgeschrieben, während ihre Einhaltung dieser Vorschrift von ihren Konkurrenten und Kunden „überwacht“ wird. Anders als der mittelalterliche Handwerker sind sie zur Produktion auf gesellschaftlichem Niveau gezwungen und können nicht warten, bis ein kauflustiger Kunde mit richtigem Geld bei ihnen vorbeikommt. Nirgendwo ist hier ein freier Wille. Was sie produzieren müssen, das müssen sie auch verkaufen und schließlich in genügend Geld verwandeln, zur Erneuerung desselben Vorgangs und zur Befriedigung der eigenen und auch der Ansprüche ihrer Teilhaber am Mehrwert: Geldkapitalisten, Grundrentner oder Staatsparasiten kennen auch kein Pardon, wenn es um ihre Anteile an der Beute geht, die das produktive Kapital aus den Lohnarbeitern herauszuschlagen hat. Die „blinde Wut des Machens“ (etwas schief, aber von Adorno) ist keine Marotte der fungierenden Kapitalisten, keine Schrulle, die sie mit Hilfe einer liebevollen Gattin oder eines graduierten Psychologen eventuell ablegen könnten, sondern eine kapitalistische Zwangshandlung, die auch einen regelrechten Handelszwang zur Folge hat. Und nicht nur den. Sucht man die treibende Kraft der kapitalistischen Veranstaltung, dann findet man schließlich die Produktion der Waren, auf welchem Wege das Kapital seine Verwertung durch Ausnutzung käuflicher Arbeitskraft bewerkstelligen muss. Weil die Warenproduzenten bei Strafe ihres Untergangs produzieren und verkaufen müssen, was ihr Zeug hergibt, eilt die Produktion der Konsumtion mit aller Macht voraus und das Angebot immer wieder der zahlungsfähigen Nachfrage, und so verkaufen die Produzenten ihre Ware auf Kredit, also gegen ein bloßes Zahlungsversprechen, und sie geben in dieser Art auch den übrigen Beteiligten den Druck zur Geldproduktion weiter, dem sie selber ausgesetzt sind. Selbst Konsumenten können sich davon ohne besondere Anstrengung überzeugen, wenn sie nämlich sich z.B. ein Automobil oder ein Haus zulegen, ohne das nötige Geld schon zu besitzen.
Wenn der gesellschaftliche Arbeits-Zusammenhang heutzutage entschieden über den Kredit vermittelt wird, dann lauern überall auch die Gefahren des Zahlungsausfalls. Zur Minderung ihres mit der Kreditvergabe wachsenden Risikos bedienen sich die Warenverkäufer daher der Banken, die infolge ihrer besonderen Stellung als Geldgeschäftsbesorger für alle Klassen das Kreditgeschäft in der Hauptsache übernehmen, denn da hauptsächlich sie über den Geldschatz der Gesellschaft verfügen, verfügen sie auch über reichlich Reservemittel, die ihnen den guten Ruf als besonders zahlungsfähige Schuldner eintragen. Dieser gute Ruf ist ihnen das entscheidende Geschäftsmittel, auf das sie ohne große Not nicht gern verzichten werden. Wenn in der jüngsten Zeit der akademische Pöbel mal wieder von der Zerschlagung oder Verstaatlichung der Banken wegen ihrer vermeintlichen und tatsächlichen Fehlhandlungen eine allgemeine Besserung der kapitalistischen Verhältnisse erwartet hat, dann wird genau das vorsätzlich übersehen. Die Analyse des Geldgewerbes ist aber auch ungleich mühevoller als der stupide Ruf nach der umfassenden „Regulierung“ der Geldhäuser – ausgerechnet durch die Staatsgewalt, ohne deren Einmischung die Schwindelgeschäfte der Banken kaum einen aufsehenerregenden Umfang annehmen könnten.
Der Handel mit Krediten, also mit Geld- bzw. Zahlungsversprechen, und daher auch der Umgang mit den Kreditrisiken ist mehr und mehr zur ausschließenden Spezialität der Banken geworden, und es lässt sich denken, worauf die sich einlassen müssen, wo doch das Kreditsystem sich im Gleichschritt mit der kapitalistischen Produktionsweise und dem Umfang der Warenproduktion entwickelt. Da das Geld die entwickelte Wertform der Ware ist, oder die Ware im Zustand ihres Wertäquivalents, sind die Geldbewegungen von den Bewegungen der Warenwerte bestimmt. Alle Bankregeln und alle guten Absichten der Banken geraten daher ins Wanken, wenn die Gesetze des gelobten Marktes zu ihnen in einen Widerspruch geraten. Kein Kraut ist z.B. gewachsen gegen eine Wertrevolution infolge einer Produktivkraftsteigerung oder gegen den kapitalistischen Überfluss, denn wenn die Waren zum erforderlichen Preis unverkäuflich werden und daher den verschuldeten Produzenten die erforderliche Geldschöpfung offenbar misslungen ist, dann können auch diese selbst ihre Zahlungsversprechen gegenüber den Banken nicht einhalten. Und wenn sie nicht rückzahlen können, was sie sich bei ihnen geliehen haben, dann geraten auch die Banken leicht in Geldnot, die sie leider nicht beheben können, indem sie mal eben eine Haufen Geld schöpfen, denn das Geld hat seinen Ursprung ja gerade in der Ware und eben nicht im Nichts. So wenig es in der Macht der Banken liegt, die regelmäßige Entwertung des Kredits und des Kreditgeldes infolge des Preisverfalls der Waren zu verhindern, so wenig liegt es in ihrer Macht, das nötige Geld zu schaffen.
Da der Reichtum der modernen Gesellschaften als Ware produziert und in Geld verwandelt werden muss, „folgt“ die Geldschöpfung der Produktion – nicht umgekehrt die Produktion der Geldschöpfung. Der Augenschein mag das Gegenteil nahe legen. Dass für den oberflächlichen Betrachter die Verhältnisse sich häufig sehr verkehrt darstellen, das lehren uns andere Disziplinen auch, etwa die Geschichte der Astronomie, die noch Jahrhunderte lang die Erde als den Mittelpunkt der Welt behauptet hatte, obgleich sorgfältige Beobachter schon in der griechischen Antike den Menschen mitsamt seiner Erde als eine bloße Randerscheinung des Universums gedeutet hatten. Bereits im einfachsten Wertausdruck der Ware deutet das tatsächliche Verhältnis sich an, indem nämlich die Ware in der relativen Wertform, deren Wert ausgedrückt werden soll, die also ihren eigenen Wert in einer anderen Ware buchstäblich herausfordert, das aktive und die sich in der Äquivalentform befindende das passive Element ist. Der Vergänglichkeit der Warenwerte entspricht die Vergänglichkeit der Zahlungsversprechen, des Kredits und des Kreditgeldes. Und es entspricht ihr daher auch das jedesmalige Geschrei in der Krise, wenn infolge der unverkäuflich gewordenen Waren die besitzenden Klassen um die Banken zittern, weil mit den Banken auch das dort deponierte Geld plötzlich im Feuer steht.
Solange aber alles gut läuft, solange haben die Banken Kredit bei den Industriellen, die sich ihre Waren gerne mit deren Zahlungsversprechen abkaufen lassen, denn nicht nur sind die Banken ein Hort der großen Zahlungsreserven, als professionelle Schuldner sind sie, obgleich sie bereits aus eigenem Interesse größten Wert auf ihre Zuverlässigkeit legen und legen müssen, auch einigermaßen berechenbaren gesetzlichen Verhaltensregeln unterworfen, die sich in Jahrhunderten herausgebildet haben. Aber mit dem Zahlungsversprechen des Warenkäufers, das der Händler vielleicht nicht hat haben wollen und das die Bank genommen hat, die jetzt statt seiner Gläubiger ist, hält die Bank auch das Risiko des Zahlungsausfalls in den Händen. Schulden in Höhe des Kaufpreises werden zwangsläufig generiert, wenn die Ware ohne Geld gekauft werden soll, ob die Verschuldung des Warenkäufers nun gegenüber dem Verkäufer oder gegenüber der Bank besteht. Durch die Dazwischenkunft der Bank wird allerdings ein falscher Schein in die Welt gesetzt, weil das dem Vorgang zugrunde liegende Geschäft der Betrachtung entrückt wird und der Verkäufer solange nichts mehr mit der Sache zu tun hat, solange der Bankkredit belastbar bleibt. Zwar ist die Warenmetamorphose des Verkäufers durch den Eintritt der Bank auch noch nicht letztgültig abgeschlossen, aber es haftet ihm gegenüber jetzt eben die Bank für die Forderung, die für ihn in der Regel „werthaltiger“ sein wird als eine Forderung gegen den Käufer. Indem der Handelskredit durch den Bankkredit ergänzt wird, rückt so die Bank ins Zentrum des Geschehens und wird zugleich der Zusammenhang von Ware und Geld ins Abseits gestellt. Die Bank selbst kauft zwar keine Ware vom Fabrikanten, aber mit ihrem Zahlungsversprechen, das die Form von „Giralgeld“ haben mag, wird seine Ware gekauft.
Sie selber tauscht mit dem Warenkäufer lediglich Zahlungsversprechen aus und verdient ihr Geld damit, dass sie gegenüber dem Warenverkäufer als Schuldner höherer Qualität gilt und der Warenkäufer mit ihrem Zahlungsversprechen die Ware kaufen kann. Da aber die Bank nicht wirklich als Kreditnehmer erscheint und der Verkäufer nicht als Kreditgeber, scheint der Bankkredit jenseits der Warenmetamorphose zu liegen. Gegenüber dem Warenkäufer ist die Bank Kreditgeber und dem Warenverkäufer gegenüber haftet sie für ihr Zahlungsversprechen, aber mit der Formverwandlung der Ware scheint das nichts zu tun zu haben. Allerdings sind und bleiben die Zahlungsversprechen der Banken Zahlungsversprechen – mit allen damit verbundenen Risiken, und mit dem Bankkredit werden die Risiken des Handelskredits nicht ausgeräumt, sondern nur verdunkelt und zugleich bei den Banken konzentriert. Anders als der kommerzielle Kredit, der seine Grundlage bildet, zeigt er das zu Grunde liegende Verhältnis also nur in verstellter Form, und diese Umstellung des Kredits wird die täuschende Grundlage der lauten Empörung, mit der die linken Bankenjäger sich ins Bild drängen. Aus dieser scheinbaren Verselbständigung des Kredits gegen die Warenproduktion drechseln sie ihre sämtlichen Anklagepunkte gegen die Banken, denn nicht nur alle Störungen der Warenzirkulation fallen aus dieser veränderten Sicht in den Geschäftsbereich des Bankgewerbes, selbst die vorhergehende Ausdehnung der Kredite lässt sich prima deuten als das Ergebnis der Habgier rücksichtsloser „Kreditverkäufer“ – statt als sichere Konsequenz kapitalistisch betriebener Warenproduktion. Wie ihnen die aktive Rolle der Ware schon im elementaren Wertverhältnis ein vollständiges Geheimnis geblieben ist, so ist ihnen auch das daraus entwickelte Kreditverhältnis ganz unbegreiflich. Die Banken werden nicht als notwendige und daher permanente Geschöpfe der industriellen Warenproduktion des Kapitals betrachtet, die sich ihre eigentümliche Arbeitsteilung schafft, sondern erscheinen paradoxerweise umgekehrt als die autonomen Subjekte der Bewegung, deren Extreme sie vermitteln, wenn sie sich zwischen Verkäufer und Käufer einschieben, dem einen das Wertäquivalent und dem anderen den Gebrauchsgegenstand vermitteln. Dieser Umkehrung verdankt sich auch die seltsame Lehre von der Fähigkeit der Banken zur Geldschöpfung aus dem Nichts, die daher auch gar keine Gelderklärung ist, sondern die Vermeidung einer Gelderklärung durch eine kaum notdürftig begründete Behauptung.
Allerdings geht es für Wagenknecht auch nicht um die Erklärung eines Phänomens, vielmehr braucht sie jedes „Argument“ für ihre Hetzjagd auf die Banker, weil man damit im Wahl- und Politikzirkus gut punkten kann. Schließlich werden die Finanzleute ja zum Schutze der kapitalistischen Produktionsweise an den Pranger gestellt, nicht zu ihrer Ausräumung. Und die Lehre von dem Geld aus dem Nichts ist ein Geschenk des Himmels bei der Verleumdung dieses Erwerbszweigs, der sich schon traditionell bestens eignet als Sündenbock:
„Die Geldmaschine der Banken ist die wichtigste Ursache für das beispiellose Wachstum des Finanzsektors in den zurückliegenden Jahrzehnten“ (82). Und bei den „Billionen, die im Finanzsektor umgesetzt und verdient werden“ (93),
ist für Frau Wagenknecht natürlich sonnenklar, dass hier die „Ursache der ganzen Malaise“ liegt:
„Diese Ursache ist ein seit Jahrzehnten völlig unverhältnismäßig (!) wuchernder Finanzsektor, der trotz (oder gerade wegen) seiner mittlerweile gigantischen Größe und Macht seine eigentliche (!) und wichtigste Aufgabe nicht mehr (!) erfüllt: die Ersparnisse der Menschen in halbwegs (!) sinnvolle produktive Verwendungen zu lenken“ (34). Daraus folgt die Fastenkur ganz von selbst: „Der Finanzsektor muss radikal schrumpfen, um seine eigentliche Aufgabe als Diener der Realwirtschaft wieder wahrnehmen zu können. Das könnte man das Fundamentalparadoxon von Finanz- und Realwirtschaft nennen“ (251).
Wie schon den Großunternehmen nach der Wagenknechtschen Beobachtung das Interesse an der Wahrnehmung ihrer „Kernaufgaben“ abhandengekommen ist, so verfehlen infolge ihrer Größe also auch die Banken ihre „eigentliche und wichtigste Aufgabe“! Banken und Großkonzerne kümmern sich einfach nicht mehr um das Gemeinwohl! Irgendeinen Zweifel daran, ob das für kapitalistische Unternehmungen überhaupt im Bereich ihrer Möglichkeiten liegt, lässt diese erklärte Gegnerin einer geplanten Wirtschaftsweise nicht erkennen. Und ebenso wenig zweifelt sie daran, dass ausgerechnet sie exakt die „eigentlichen“ Aufgaben der Beteiligten ausgemacht hat und fehlerlos die Eigenschaften des „Gemeinwohls“ anzugeben weiß. Spießbürger beunruhigen sich nicht an ihren Schranken, die sie vielmehr allen anderen als verbindliche Verhaltensvorschriften auferlegen möchten. Selbst die richtige Proportion des „Finanzsektors“ zur „Realwirtschaft“ hat sie errechnet, während „der Markt“ in seinem Urteil offenbar weit daneben liegt.
Ob ein radikal gesundgeschrumpfter und damit fitter „Finanzsektor“ tatsächlich lieber der „Realwirtschaft“ dienen wird als dem Mammon, das aber wird sie selber nicht glauben, denn die Banken könnten ja nach wie vor ihre vermeintlichen Fähigkeiten zur Geldschöpfung ausbeuten. Wir werden künftig also noch sehen, wie diese bekennende Marktwirtschaftlerin für eine komplette Verstaatlichung des „Finanzsektors“ sich stark machen wird. Von wegen bloße „Gesundschrumpfung“! Ihr Gerede von der „Geldschöpfung aus dem Nichts“ ist weiter nichts als eine arglistige Denunziation der Geschäftsbanken zu dem Zwecke, die Kontrolle über das Geldwesen ganz in die Hände des wohltätigen Staates zu bringen. Der soll mit seiner Notenbank die überfällige gesellschaftliche Produktionsplanung und daher eine Umwälzung der herrschenden Produktionsweise auch auf dem Wege der Geldmanipulation verhindern. Im Unterschied zu den Geschäftsbanken ist er tatsächlich befähigt, „Geld aus dem Nichts“ zu schaffen, also z.B. seine Gläubiger zu zwingen, sein Falschgeld bei der Tilgung seiner ausufernden Schuld zu akzeptieren. Unter dem Etikett „kreativer Sozialismus“ schwärmt Wagenknecht in Wahrheit von einem gebieterischen Staatskapitalismus, in dem selbst die Kapitalisten, vor allem aber die arbeitenden Klassen die Rolle von nützlichen Idioten zu spielen haben. Ganz schön kreativ – nach dem Vorbild der ordoliberalen Schule. Aber das sagt sie ja auch.
Anmerkungen:
(1) Zitiert wird hier wieder durchgängig nach der 1. Auflage: Sahra Wagenknecht, Freiheit statt Kapitalismus. Frankfurt am Main, 2011.
(2) Manch ein Brotgelehrter hat vor ihr schon den kürzesten Weg zum Geld gesucht. Man kann sich vorstellen, dass der Schöpfungsmythos des Geldes, wie Frau Wagenknecht ihn breittritt, auch für die Anhänger der so genannten monetären Wertlehre, die den Wert aus dem Geld entstehen lassen und daher für das Gelddasein eine passende Phrase suchen, eine willkommene Gelegenheit ist. Auch deren Kritik muss sie jedenfalls nicht fürchten.
(3) Dass die Wahrheit des Geldes die Ware ist, ist schon angedeutet in der griechischen Sage um den König Midas, dem sich rund 700 Jahre vor unserer Zeitrechnung wunschgemäß alles das in Gold verwandelt haben soll, was immer er berührte – mit der bitteren Folge seiner Existenzbedrohung. Da man Gold nicht essen und nicht anziehen kann, können reiche Menschen hungern und frieren. Schon in dieser Sage dämmert also die Einsicht vom unlösbaren Zusammenhang von Ware und Geld, wobei die Ware das Bestimmende ist und Geld das Bestimmte, stets das „Zweitwichtigste“. Wollte irgendjemand wohl massenweise Geld verlangen, wenn er es nicht wieder loswerden könnte? „Könnte es gegen nichts vertauscht werden“, sagt Adam Smith, „so würde es, wie eine Anweisung auf einen Falliten, keinen anderen Wert haben als das unnützeste Papier“, und er verrät damit zugleich das Geheimnis des Kreditgeldes: Welcher Verkäufer gäbe seine Ware her gegen Wechsel oder Banknoten, die er nicht wieder gegen Ware eintauschen könnte? Was also ist Geld sonst als Ware, wenn auch nicht in der Form der gewöhnlichen Ware, und was ist die Ware sonst als Geld, wenn auch nicht in der Form des Geldes?
Die Erstveröffentlichung des Artikels von Horst Schulz erfolgte in "Proletarische Briefe" am 3. August 2015.