Wo die Zeit verlorenging – Mit der Hurtigrute im Winter zum Nordkap

© Foto: Rainer Hamberger

Bis auf das Notwendigste ist die Außenbeleuchtung des Schiffes ausgeschaltet.  Am schwarzen Nachthimmel zeigen sich grüne Schwaden mal stärker mal schwächer. Der Schleier wird intensiver, wechselt die Farben, zarte Rottöne mischen sich mit dem Grün. Jetzt ähnelt die Form des Lichtgebildes  einem Tornado. Inzwischen sind an verschiedenen Stellen des Himmels Nordlichter zu sehen. Es ist ein Kommen und Gehen. Gebannt starren die Menschen auf das nächtliche Schauspiel, wenn aufgrund von starken Sonneneruptionen aufgeladene Teilchen in etwa 80 km Höhe verglühen.

Eine Reise zum Nordkap im Winter: Nein, dafür haben nur wenige Menschen Verständnis. Dementsprechend findet man auf dem Schiff viele Gleichgesinnte. Vor 121 Jahren beginnt die Geschichte der Hurtigruten Schifffahrtslinie. Reiche Fischgründe vor der norwegischen Küste sind Grund für die Einrichtung einer sicheren Handelsroute entlang der schroffen Felsen, zwischen Inseln und Untiefen. Nur wenige Leuchttürme weisen auf Gefahren hin, Seekarten sind zu jener Zeit unzuverlässig. Als die Regierung Norwegens sich entscheidet eine Verbindung zwischen Nord und Süd zu schaffen, nehmen sich Richard With und sein Freund Anders Holthe erst einmal eine sorgfältige Kartografierung der Gewässer samt Küste vor. Im Jahr 1893 stellt Kapitän With das Dampfschiff Vesterolen in den Dienst des ersten Linienverkehrs. Von Trondheim nach Hammerfest in nur 7 Tagen war nicht nur eine wichtige, sondern vor allem eine schnelle Verbindung, eine „hurtig ruten“.

Einsamkeit hat einen Namen

Die inzwischen modernen Schiffe mit Kreuzfahrtstandards transportieren auch heutzutage Güter in entlegene Gegenden. Den  mitreisenden Gästen aus anderen Ländern geht es in erster Linie um das Naturerlebnis. Die Seereise zum Nordkap lässt sich sehr individuell gestalten. Zusteig- bzw. Aussteigmöglichkeiten gibt es viele. Trondheim liegt hinter uns, bei der abendlichen Ankunft in Rörvik schneit es heftig. Das hell erleuchtete Riesenschiff im Schneetreiben wirkt wie aus einer anderen Welt. Am nächsten Morgen: strahlender Sonnenschein, der Wind hat die Wolken vertrieben. Am Ufer gleiten Felslandschaften vorbei. In geschützten Buchten ein paar vereinzelte Häuser. Einsamkeit hat hier einen Namen.

© Foto: Rainer HambergerAuf Deck geht es lustig zu. Hin – und wieder ertönt ein Aufschrei mit nachfolgendem Gelächter. Zwischen Nesna und Örnes überquert die Hurtigrute den Polarkreis. Selbstverständlich müssen sich Diejenigen einer Polarkreistaufe unterziehen, die zum ersten Mal diesen nördlichen Punkt der Reise erreichen. Eiswürfel im Nacken und ein Schnäpschen gegen den Schreck. Dazu gibt es natürlich eine Urkunde.

Das Schiff überholt einen Fischkutter. Man stelle sich die Arbeit an Bord unter den winterlichen Bedingungen vor. Das Einholen der Netze, Sortieren der Fische. Doch jemand ist begeistert von dem was auf dem Boot vorgeht. Erst sind es nur zwei Exemplare, dann immer mehr. Elegant kreisen sie über dem Wasser. Blitzschnell stürzen sie nach unten und ergattern einen der aussortierten Fische. Nicht immer haben es die Fischadler so einfach mit der Nahrungssuche. Von Januar bis April wird hier Kabeljau gefischt, der nach alter Tradition an der klaren Seeluft auf Gestellen oder auf den Klippen getrocknet wird. Der daraus entstehende Stockfisch ist eine Delikatesse, besonders gefragt in Japan, aber auch Portugal und Italien. Gegen Abend erreicht das Schiff Svolvär,  den Hauptort der Lofoten. Das malerische Fischereidörfchen mit seinen beeindruckenden Granitfelsen, weißen Sandstränden und traditionellen Rorbuern, inzwischen als Ferienhäuser vermietet, macht einen romantischen Eindruck solange die Sonne scheint und das Wasser glatt wie eine Glasscheibe ist.

Auf den Spuren der Polarforscher

© Foto: Rainer HambergerNach einem Stopp in Harstad auf der größten norwegischen Insel Hinnöya, geht es über Finnsnes nach Tromsö, dem Tor zum arktischen Meer. Hier heuerte der berühmte Forscher Roald Amundsen seine Mannschaft an. Die Eröffnung des Museums im Jahr 1978 fiel auf den 50. Jahrestag, an dem er wegen einer Rettungsaktion zu seiner letzten Polarfahrt aufbrach. Von Tromsí¸ aus begab sich der Polarforscher Richtung Spitzbergen, um nach Umberto Nobile und dem Luftschiff Italia zu suchen. Mit der Errichtung des norwegischen Polarinstituts konnte Tromsö seine Position als Polarhauptstadt behaupten. Das auch architektonisch interessante Museum hat beeindruckende Ausstellungen von Expeditionen und ein Aquarium mit heimischen Fischarten. Das berühmteste Wahrzeichen ist jedoch die Eismeerkathedrale „Ishavskatedralen“ mit einer eigenwilligen sehr modernen Architektur und wunderbaren Glasmosaiken.  

Das Wetter kann sich nicht so richtig entscheiden. Vor wenigen Minuten noch fegten Schneeflocken über Deck, jetzt zeigt sich der Himmel tiefblau und die Sonne mildert die Minustemperaturen. Als Ausgleich zwischen den leckeren Mahlzeiten drehen einige Gäste regelmäßig ihre Runden an Deck. Man kommt schnell ins Gespräch miteinander. Fotografen diskutieren über Einstellungen bei den wechselnden und schwierigen Lichtverhältnissen.

Eine ältere Dame erzählt Freude strahlend: „Unsere Kinder haben zusammen mit Freunden meinem Mann und mir die Reise zur goldenen Hochzeit geschenkt.“ Für Viele ist diese Fahrt zum Nordkap im Winter ein Lebenswunsch. Gerade unter diesen nicht immer angenehmen Temperaturen empfindet man die wunderbaren Farben von Himmel und Wasser, sowie diese verlorene Einsamkeit besonders intensiv. Auch ist das Anlaufen eines Hafens mit dem Schiff etwas ganz Besonderes. Im Gegensatz zur Landung mit dem Flugzeug mit dem man gleichsam mitten ins Geschehen hineingeworfen wird. Die Annäherung eines Zieles vom Wasser aus ist langsam, fast majestätisch. Zuerst sind nur Umrisse der fernen Häuser wahrnehmbar. Beim Näherkommen macht man sich durch lautes Tuten bemerkbar.

Dann die Prozedur des Anlegens an sich. Per Motor werden dicken Metallseile abgewickelt und um stabile Poller gewickelt. Die schwere Stahltüre öffnet sich. Gabelstapler tauchen aus dem Schiffsrumpf auf mit Paletten voller Gartenerde oder Waschpulver. Freudige Wiedersehensszenen mit einheimischen Mitfahrenden, die hier zuhause sind. Mancher Ort entlang der Route ist nicht auf einer Straße erreichbar, nur das Schiff ist die einzige Verbindung neben Telefon und Internet zur Außenwelt. Oft kann man in einem Hafenort die Reise für ein paar Stunden unterbrechen, festen Boden unter den Füßen spüren, bevor es weitergeht.

Copacabana und andere Erfrischungen

© Foto: Rainer HambergerDie Midnatsol ankert in Honningsvog. Dort warten Busse für die Fahrt zum Nordkap. Dem Tross voraus fährt ein Schneepflug, der gewaltige Schneewehen zur Seite schiebt. „Das ist unsere Copacabana“, erklärt Lea die Reiseleiterin und deutet auf ein Stückchen Strand, schwer erkennbar unter dem Schnee. Sie versichert, dass das Wasser schon 12 ° C im Sommer erreicht. Mit einem verschmitzten Lächeln fügt sie dazu: „Da gehst du als Mann rein und kommst als Mädchen wieder raus.“ Sie stammt aus Lettland und lebt schon viele Jahre in der nördlichsten Ecke Europas, die sie liebt. Treffend schildert sie das Leben während der dunklen Wintermonate. „Wenn du Jemanden nicht daheim antriffst, geh einfach in den Supermarkt. Da sind sie alle.“ Gerade pfeift wieder ein Schneesturm durch die Landschaft und man kann sich gut vorstellen, wie gemütlich ein Besuch mit Freunden im Supermarkt sein kann.

Dann stehen wir am eindrucksvollen Nordkap das jedoch nicht der nördlichste Teil Europas ist. Zum geografischen Nordpol sind es immerhin noch 2000 Kilometer. Wie durch ein Wunder reißt die Wolkendecke auf. Über dem schwarzblauen Nordmeer treiben weiße Wolkensäcke mit Schneefahnen.

Am Tag 7 heißt es Abschied nehmen. Kirkenes ist auch Wendepunkt der Midnatsol, die sich auf den Weg zurück nach Bergen macht. Immer noch innerlich schwankend reihen wir uns zum Check in auf dem Flugplatz ein. Der Flieger bringt uns wieder in den Süden. Für das geschäftige Treiben um uns herum haben wir kein Verständnis. Sind es doch erst Stunden her, seit wir durch die traumhafte einsame Küstenlandschaft gefahren sind, dort wo Zeit keine Rolle spielte.

Reiseinformationen:

Anreise: von Süddeutschland fährt täglich abends über Nacht ein Autozug der Deutschen Bahn von München Ost nach Hamburg Altona. Informationen und Buchungen über die Service-Nummer der Bahn unter 0180 599 66 33*(Stichwort „Autozug“), täglich von 8 bis 22 Uhr, überall, wo es Fahrkarten gibt und unter www.bahn.de/autozug.

Täglich fährt abends ab Bergen eines der Hurtigrutenschiffe ab nach Norden. Die ganze Tour nach Kirkenes und zurück dauert 11 Tage, dabei werden zahlreiche Häfen angelaufen. Landausflüge ergänzen das Programm, auch Teilabschnitte der Seereise können gebucht werden, bzw. nur die nord- oder südgehende Tour mit Anschlussflügen. Näheres unter www.hurtigrute.de oder unter Tel.: (040) 874 083 58. Bei der Anreise über Oslo bietet sich die Kurzkreuzfahrt täglich ab Kiel mit der Colorline an, Infos unter www.colorline.de, anschließend ab Oslo mit der Bergenbahn über die Hardangervidda nach Bergen.

Eine Neuerscheinung  ist der Bildband Norwegen mit 182 Seiten und 148 Abbildungen für 24,99 €. Im neuen Reise-Bildband zu Norwegen, einer Gemeinschaftsproduktion von GEO Saison und DuMont Reiseverlag, wandern die Augen sehnsuchtsvoll über das nordeuropäische Reiseland: über tief eingeschnittene Fjorde, atemberaubende Bergpässe, einsame Inseln und verschneite Hochebenen. Der Band besticht durch klares Layout und herausragende Bildauswahl.

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Unterstützungshinweis:

Die Recherche wurde unterstützt von DB Autozug, Colorline und Hurtigruten.

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