Unter Rubriken wie „Die Grenzanlagen“, „Der Alltag der Bewacher“, „Leben an der Mauer-im Osten“, „-im Westen“ und „Zerfall der Mauer“. Das besondere an diesen, zum Teil auch im Berliner DDR-Museum gezeigten Farb-Fotografien, ist ihre Authentizität. Wolfgang Petro geht es um den Blick, den Augenblick. Auf vielen Bildern sind Soldaten zu sehen, sie stehen inmitten der menschenverachtenden Grenzsicherungs-Anlagen herum, beobachten ihrerseits den Fotografen, Anwohner, kontrollieren Grenzpassierer und Autos oder dösen einfach vor sich hin. Ein wunderbarer Schnappschuss der letzteren Art ist das Bild „Grenzposten beim Zeitvertreib, Am Waldrand, Neubabelsberg, Juni 1982“, auf dem ein junger Soldat sich gelassen auf das Wärterhäuschen aus grauem Beton lehnt. Der Oberkörper ruht bis zu den Oberschenkeln schräg auf dem Dach der kleinen Schutzhütte, die Füße stemmen sich überkreuz an die Mauer, die etwa einen Meter entfernt der Hütte am Waldrand steht. Der rechte Arm ist leger angewinkelt, der Kopf darauf gestützt. Das trügerische Idyll zeugt von einem Alltag, der sich gedanklich kaum noch rekonstruieren lässt. Natürlich wurde nicht Tag und Nacht auf Flüchtlinge geschossen, es gab ruhige Tage bis Monate und sicher immer mal wieder eine Gelegenheit für ein Pausenbierchen, das ein anderer Soldat im Sichtschutz derselben Hütte in Neubabelsberg zischt, Gewehr an die Mauer gelehnt, das Fernglas auf dem Dach abgestellt, die Kartentasche baumelt aus dem Fensterschlitz. Die Bilder Petros verharmlosen nicht, sie dokumentieren, ohne Anspruch auf Perfektion. Manche Fotos sind verwackelt, der Ausschnitt ist ungünstig gewählt – und dennoch möchte der Betrachter sie nicht missen. Das seilhüpfende Mädchen am Schlagbaum in Babelsberg, die grinsenden Grenzstreifer an der Bernauer Straße hinter ihrem Trabant-Cabriolet und die Patientin des heutigen Bundeswehrkrankenhauses in der Boyenstraße, die verschämt auf die Mauer lugt, nur wenige Meter von zwei Grenzern entfernt, die ihr Pausenbrot verzehren. Hier ist Geschichte dokumentiert, wie sie passiert ist, überraschend und unvorhersehbar für die beteiligten Menschen, hautnah oder scheinbar weit weg. Gerade von Westberlin aus wirkt die Mauer in Petros Bildern so abschreckend wie normal, die Menschen schauen beiläufig auf das Monstrum, die lauernde Gefahr mit ihren Drähten und Stacheln. Sie haben sich gewöhnt. Viele Aufnahmen von Gebäuden, Interieurs, Bahnstrecken, Hundelaufleinen, kreuzenden Katzen und Wäscheleinen im Angesicht der Mauer- das war der Alltag, wie er nur noch selten zu sehen und nachzuspüren ist und den es zu bewahren lohnt.
Ein wunderbares Bilderbuch für alle, die sich erinnern wollen oder kennenlernen mögen, was in dieser Stadt passiert ist, vor nicht allzu langer Zeit!
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Wolfgang Petro, Die Berliner Mauer, Ihr wahres Gesicht, 120 S., dt./engl./frzs./ital., Jaron Verlag, Berlin 2010, 16,95 €