Wie viele Dezember hat ein Jahr? – Das frühe Universum des Edo Popović

„UDO HAT DIE PANIK AUF DIE RECHTE SCHULTER TÄTOWIERT“, heißt es in einer Zeile des einseitigen Textes „Tatsächlich Berlin und nichts anderes“. Kraft steckt in diesen kurzen Erzählungen, Schreibversuchen, Kraft, Blut und Sperma. Unfug, herrlicher Drang, alles umzudrehen, zu hinterfragen, zu veralbern. „Worte sind kleine Arschlöcher – sagt Jürgen. – Man muss sie vorsichtig und zärtlich drücken, bis sie anfangen zu bluten. Man muss sie mit viel Umsicht und Taktgefühl aneinander reiben, denn sie vertragen sich nicht, wegen der Ästhetik, der Ideologie, der Abnutzung”¦“ Daneben taucht viel Frau auf, Nana, Marisky, Alice, Eva, Ursula, Rebeca, Snjezana”¦ eben all dieses Schöne, Verruchte und Verpasste einer werdenden Adoleszenz.

Das wunderbar in der Hand liegende, schwarz glänzende Nachthimmelstück in der wie immer ausgezeichneten Übersetzung von Alida Bremer wird dem Popović-Fan ein besonderes Geschenk sein, dem Neuling die Einstiegsdroge! Wir sparen uns weitere Werbung und rufen mit dem Barden in Richtung unser aller Jugend aus:

„Einmal waren wir namenlos, die Namen von Dingen und Orten bedeuteten uns nichts, alles Ausgesprochene war Musik, Musizieren, oh Gott, oh Gott, was würde ich nicht alles für ein Stückchen dieses Bürgersteiges in der Nachmittagssonne geben, und es ist mitten im Sommer, die Stadt zittert im Gegenlicht, angeschwollen von Gold und vom unhörbaren Schwingen der Saiten der E-Gitarren. Die warme Kugel der Stadt, in der wir erregten Sinnen schweben würden, nackt schweben, über der glatten, tödlichen Gotik und dem zerzausten Duft der Parks, und einfach so ficken würden, ohne jeden Anspruch – das ist meine größte Obsession.“

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Edo Popović, Mitternachtsboogie, Aus dem Kroatischen von Alida Bremer, 173 S., 2010, Reihe Sonar, Verlag Voland & Quist, 19,86 €

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