Berlin, Deutschland (Weltexpress). Nikolai Starikov, ein „homme de lettre?“ Das fragte ich mich, als ich an einem Vorfrühlingstag in St. Petersburg so etwas wie eine „geheime Offenbarung“ erleben durfte. Es war eine Buchhandlung, die jedem Bücherfreund das Herz höher schlagen ließ. „Newsky Prospect, No. 25“, in Russland ein Begriff, für mich ein Wunder. Diese Buchhandlung ist den gebildeten Menschen in Russland ein Begriff. Es handelt sich um die älteste Buchhandlung in diesem Land. Sie ist von ungeheuren Dimensionen. Wenn eine derartige Institution „schön“ genannt werden darf, hat sie diese Bezeichnung verdient.
Es wurde gekauft, was das Zeug hielt. Menschen waren in Bücher vertieft und ließen sich durch nichts stören. Nachmittags um 17 Uhr war Professor Nikolai Starikov angesagt und hunderte Besucher drängten sich in der Buchhandlung, um seinen historischen Abhandlungen aus einem jüngst erschienenen Buch zu lauschen, ja, zu lauschen, denn man konnte die berühmte Stecknadel fallen hören. Die Menschen hingen geradezu an seinen Lippen und mein amerikanischer Bekannter, der russische Dolmetscher und ich waren fasziniert. So etwas war an einem Nachmittag in St. Petersburg möglich. Die Menschen eilten nach der Tagesarbeit nicht nach Hause. Sie nahmen sich Zeit und hörten einem Manne zu, den sie aus seinen zahlreichen Veröffentlichungen gut kannten.
Man kann nur eine Antwort auf die anfangs gestellte Frage geben. Ja, Nikolai Starikov ist ein „homme de lettre“ und die moderne Geschichte ist sein Reich. Im europäischen Sinne, wohlgemerkt. Das, was er als Ergebnis seiner wissenschaftlichen Arbeit präsentierte, entsprach dem europäischen Wertekanon: dubito, ergo cogito, cogito, ergo sum.
Nikolai Starikow wirft nicht nur in seinem Buch „Wer zwang Hitler Stalin zu überfallen?“ Fragen auf, die unser Leben bis heute bestimmen. Er bleibt nicht in Denkschablonen oder jagt dem „Mainstream“ hinterher.
Wir erleben seit Christopher Clark und seinen „Schlafwandlern“, dass die verordneten Denkschemata seit einigen Jahren geradezu mit Furor entsorgt werden. Wer war noch einmal der deutsche Historiker Fritz Fischer, der wie in einer Auftragarbeit alles Unheil dieser Welt in Deutschland verortete?
Christopher Clark räumte auf mit den Klischees. Er ließ eines unangetastet, bis der deutsche Historiker Wolfgang Effenberger in dem mit mir gemeinsam herausgegebenen Werk über die „Wiederkehr der Hasardeure“ aus Anlass des Ausbruchs des Ersten Weltkrieges die Finger in die Wunde legte. Wo war und blieb die zentrale und aus Großbritannien stammende Gesamtverantwortung für den Untergang der bis dahin bekannten europäischen Zivilisation als Ergebnis dieses von langer angelsächsischer Hand vorbereiteten Krieges? Britische Autoren schreiben heute darüber, aber siebzig Jahre lang wurde eine historisch im Westen verbindliche Doktrin gezimmert.
Und Nikolay Starikov? Nach der Landung mit dem Flug aus Düsseldorf in St. Petersburg wurde ich von unserem amerikanischen Bekannten gefragt, ob ich an einen Treffen mit Professor Starikov unmittelkbar nach dem Einchecken im Hotel interessiert sei. War ich, alleine schon aus Höflichkeit. Über der Buchhandlung liegt das Café. Vermutlich ist dieses Kaffeehaus in Russland so berühmt wie die Buchhandlung. Verdient hätte das Kaffeehaus dies schon, denn die Atmosphäre war geradezu „entrückt“ Wir hatten uns noch nie im Leben gesehen, aber es ging sofort zur Sache, geopolitisch wohlgemerkt. Es bedurfte keiner langen Vorreden. Das Gespräch verlief so flüssig, als wären wir in einem ständigen Gedankenaustausch. Nach der Lektüre seines Buches über Hitler und Stalin, auf das mich in diesen Tagen ein Weggefährte auf dem Feld des Völkerrechts aus der Schweiz aufmerksam gemacht hatte, habe ich eine Ahnung davon, warum das so gewesen ist.
Das Buch ist voller Details und Auszügen aus mir bislang nicht bekannten Papieren höchster staatlicher Stellen. Es liest sich allerdings wie der historische „blue print“ zur heutigen Entwicklung. Für mich stellte sich in dem „Geschichts-Krimi“ von Nikolay Starikov, wie mein Gesprächspartner aus der Schweiz es nannte, ein „déja vue“ ein. Schreibt Professor Starikov über die Vergangenheit oder ist das nur die histrorische Kaschierung heutiger Prozesse?
NATO-Panzer stehen heute gleichsam an der Stadtgrenze von St. Petersburg und Deutsche haben wieder ein Kommando. Was sollen die Menschen in St. Petersburg und in Russland denken, wenn sie sich darüber Gedanken machen.
Die NATO führt wieder Kriege, wie sie bis 1941 gang und gäbe waren. Die Charta von Paris aus dem November 1990, die den Krieg aus Europa verbannen sollte, ist wieder Makulatur. In der Buchhandlung in St. Petersburg sieht man in Gesichter, die einen nachdenklich machen müssen. Warum sollen wir uns wieder gegeneinander aufhetzen lassen? Nikolai Starikov legt uns allen die Karten, wie es einem schon orchestriert worden ist.
Bibliographische Angaben
Nikolai Starikov, Wer hat Hitler gezwungen Stalin zu überfallen?, 415 Seiten, Hardcover, Verlag: Baltosios Gulbes, ISBN: 978-609-8047-67-7