Wer war Frank Lloyd Wright? – Fragt man sich beim Hören von T.C. Boyles „Die Frauen“

Keine Ahnung also, wie das Hören von seinen Eskapaden, Liebesverhältnissen, Haßorgien auf diejenigen wirkt, die ihn nicht kennen. Wir auf jeden Fall haben gleich bei der ersten CD unseren großen Band über Wrigth aus dem Taschen Verlag geholt und in ihm Taliesin gesucht und gefunden. Vielfach sogar, denn diesen Kunstnamen hatte er gewählt, um in Form von Häusern und Ateliers seine eigene Welt mitten auf dem Lande in Wisconsin zu schaffen, wohin die gestaltungswilligen Jungarchitekten strömten, um ihm zu helfen, von ihm zu lernen, wo also Leben und Arbeiten vereint sein sollte und er mit diesem ja eigentlich mittelalterlichen Modell vom gemeinsamen Lebens- und Schaffensprozeß die amerikanische Spielart von Kolchose, Kommune, LPGs oder Kibbuzim versuchte, mit dem großen Unterschied, daß er, der „Lehnherr“, der Privateigentümer und Besitzer blieb und seine Vasallen für ihren Frondienst sogar noch bezahlen mußten. Und das nicht knapp.

Das erzählt uns gleich zu Anfang ein junger japanischer und schon ausgebildeter Architekt aus dem besten Haus, der auf dem Weg in das besagte Taliesin ist, und überglücklich ist, daß er unter den vielen Bewerbern ausgewählt wurde. Bis zu 30 Freiwillige werden es in starken Zeiten sein, denn, davon handelt das Buch, in Taliesin vollendet sich das Glück und das Unglück von Wright, der mit welcher Frau auch immer stets vom Glück ins Unglück gleitet. Wer er ist, dieser Mann, der offiziell Frank Lloyd Wright, der Architekt ist, das bleibt auch am Schluß als Frage offen, denn T.C. Boyle bringt uns die Frauen nahe, ihre Gedanken und Gefühle, weniger den Meister selbst. Und das ist auch gut so.

Warum Boyle so etwas überhaupt unternimmt, hat mit der Hagiographie berühmter Amerikaner zu tun, die er in Romanen verwurstet, so daß die Denkmäler stürzen, wie der Cornflakes Kellogg in „Willkommen in Wellville“ oder „Dr. Sex“, wo Alfred Kinsey dran glauben muß. Bei Wright nun folgen wir fast atemlos seinem aufreibenden Leben mit, vor, um und nach den jeweiligen Frauen – wann der Mann gearbeitet hat, versteht man bei diesem aufregenden Privatleben sowieso nicht – , deren Besonderheit ist, daß sie beim Hören immer gleichzeitig vorkommen, denn nie gab es eine Trennung, eine Vakanz, eine neue Beziehung, sondern immer lief noch Ehe oder Verhältnis, wenn die Neue schon da war. Kein Wunder, daß es dabei zu Komplikationen kommt.

Dieser Roman ist für das Hören ideal. Sagen wir, denn wir kannten das Buch noch nicht und haben diese Rückschau, die der wrightfrömmelnde Assistent Mr. Jungjapaner, in drei Teilen in Gang setzt, genossen und blieben immer im Kontext, obwohl es lebensgeschichtlich rückwärts geht, was vielleicht auch daran liegt, daß den drei Teilen des Buches unser Japaner jeweils einen Text voranschickt, der von ihm und dem Verhältnis zum Meister, aber auch der politischen Situation handelt. Der Übervater Wright, der im Buch erst einmal die Frauen der Auftraggeber verführt (Mamah), ist ein rechter Guru, dem so übermächtige Eigenschaften attestiert werden, daß er schließlich als Mann ohne Eigenschaften vor uns steht, als Gefäß ohne Inhalt, als Größe ohne Wert, bis wir verstehen, daß das Buch nicht „Wright“ heißt, sondern „Die Frauen“ und es um diese geht. Aber wie.

Mit der Neuesten geht es los und wir erfahren, wie langsam, aber wie unerbittliche Wright zuschlägt, wenn er die schöne, fremde Olgivanna aus Montenegro, Tänzerin mit Tochter und Ehemann, den sie also verlassen muß, in seine Netze zieht und sie ihm nach Taliesin folgt. Da war er aber noch mit Miriam verheiratet und sie ist die eigentliche Königin im Quartett, die Schwarze Spinne, denn wenn sie am Schluß sagt: „Der arme Kerl“, dann hat sie gerade in Paris von seinem Lebensunglück erfahren, kennt ihn also noch nicht, aber wir kennen sie beim Hören schon lange, denn sie ist es, die in der Tat nun ihren Noch-Ehemann zum armen Kerl machte, mit ihrer Rachsucht und Ichbezogenheit dem neuen Paar, vor allem aber den Kindern, wirklich die Hölle auf Erden bereitete.

Was daran spannend ist, ist ein Land wie Amerika zu erfahren, in seiner Doppelmoral, Spießbürgerlichkeit, angeblichen Ehrbarkeit, die in dieser Frau deshalb zum Höhepunkt gelangen, weil sie, die einst die Noch-Ehefrau Kitty vertrieb, nun als selbst Vertriebene alle Moral der Welt aufruft, um ihren Besitz, ihren Ehemann, zu behalten und dabei vor Gesetzesbruch so wenig zurückschreckt, wie vor Lügen. Nur Morden, das tut sie nicht. Nicht mit eigenen Händen, wohl aber mit Fotos und Worten.

Die rasende Verfolgung des Liebespaares durch morphiumsüchtigen Miriam ist die eine Seite, deren Niedergang die andere, die uns zwischendrin fragen läßt, welche Motive eigentlich dieses Wesen haben könnte, denn manchmal wirkt sie einfach wie sehr gut erfunden in ihrer Zwitterolle. Dramaturgisch allerdings ist nicht sie die Hauptfrau, sondern Mamah, die es wohl auch im Leben war. Sie allerdings war die einzige Nicht-Ehefrau unter den Vieren, was wieder einmal beweist, daß Ehe nicht alles, aber Liebe das Entscheidende ist. Mehr wollen wir über sie jetzt nicht verraten und ihr böses Ende, was das Niederbrennen von Taliesin einschließt. Beides läßt Wright zerstört zurück und man atmet trotz des Schreckens irgendwie durch, denn zuvor geisterte diese Mamah durch das Buch, ohne daß man sie orten konnte.

Verblüfft nimmt man auch wahr, wie wichtig im Leben von Wright Europa war. Nicht nur weil die US-Amerikanerin Miriam ihrer Vorfahren wegen als Pariserin auftritt, weil die dritte Ehefrau wirklich von dort stammt, vor allem Mamah ist es, die Deutsch spricht und mit der er in Berlin mit dem Verleger Wasmuth über sein Buch spricht und für die er Deutsch lernt. Europa ist als, aus amerikanischer Sicht, Frankreich und Deutschland.

Warum allerdings Boyle sich – abgesehen davon, daß der 50. Todestag des Stararchitekten, das mit dem 50. Geburtstag vom Guggenheim zusammenfällt – so sehr des Wright annimmt, das hat auch damit zu tun, daß er nun schon seit 1993 in einem seiner Häuser wohnt. Wright hatte nämlich ein Haus kreiert, Prärie-Haus genannt, das in besonderer Weise organisch mit der Landschaft verbunden sein und eben typisch amerikanisch wirken sollte und als Antityp gegenüber dem verschnörkelten und protzigen nachviktorianischen Stil gilt. Boyles Haus wurde schon 1909 in Kalifornien erbaut und das zeigt, welch zeitliche Spanne auch dem Buch zu Grunde liegt, denn Frank Lloyd Wright lebte von 1867 bis 1959.

Bleibt, nach der Qualität des Hörbuchs zu fragen, was die Frage nach den Sprechern ist. Erneut ist es Ulrich Matthes, dessen „Freiheit“ von Jonathan Franzen wir gerade gehört hatten. Dort hatte uns seine kieksende Stimme gestört, sobald er Frauen imitiert, was immer wie eine Karikatur wirkt. So etwas war auch am Anfang dieses Hörbuches und wir befürchteten das Schlimmste, wo doch gleich vier Frauen eine Rolle, ihre Rollen, spielen. Das Gegenteil trat ein. Ulrich Matthes hat dieses Hörbuch außerordentlich souverän gestaltet, er liest vielstimmig und erzwingt auch durch seine Stimmführung – vom Inhalt abgesehen – eine Spannung bis zum Schluß.

***

Info:

T.C. Boyle, Die Frauen, Hörbuchverlag 2010, 8 CD, ca. 600 Minuten

T.C. Boyle, Die Frauen, Hanser 2009

Bruce Brooks Pfeiffer, Frank Lloyd Wright, das Gesamtwerk, Band 1943-1959, Taschen Verlag 2009

Vorheriger Artikel„So kam es, dass ich anfing, aus der Natur Bilder zu nehmen“- Landschaftsbilder von J.F. Schirmer im Bonner Landesmuseum
Nächster ArtikelBilanz einer Künstlerfreundschaft – Siegmar Polke und Klaus Staeck