Wer kann, der sollte ”¦ – Serie: „Georges Seurat. Figur im Raum“ im Kunsthaus Zürich (Teil 1/2)

Georges Seurat, Le Jardinier, um 1882, Öl auf Holz, 15,7 x 24,7 cm, Kunsthaus Zürich, Schenkung Walter Haefner, 1995

Deshalb ist der Titel „Figur im Raum“ auch gut gewählt für diese mit rund 70 Werken bestückte Ausstellung dieses sehr speziellen Malers, dessen Methode, auf der Leinwand die Welt zu chiffrieren so durchdringend eigen ist, daß man erst beim Betrachten vieler seiner Bilder ’sehend` wird, was ein einzelnes Bild, das in einer Ausstellung herumhängt, einfach nicht leisten kann. Es sei denn, man hat sich längst mit dem Seuratvirus angesteckt, dann langt jedes einzelne Bild, um die Gesamtwirkung seines Oeuvres zu evozieren. So kann man sehen, wie Ausstellungen wie die von Seurat ein Leben lang prägen. Georges Seurat wurde 1859 in Paris geboren und war schon als ganz junger Mann mit den Symbolisten befreundet – Joris-Karl Huysman, Gustave Kahn – und hatte im Mai 1886 mit dem Gemälde „Un dimanche í  la Grande Jatte“ mit den Maßen 207 x 308 Zentimetern – heute in Chicago und für diese Ausstellung nicht reisefähig, in Zürich hängt das letzte vorbereitende Ölbild – seinen großen Durchbruch. Es geht um einen Sonntagnachmittag auf dieser Insel, wo buchstäblich die gutbürgerliche Ausflugswelt mit Papa, Mama und Kindern sowie Hund erstarrt und für ewig festgehalten ist, was emotionslos und steril wirkt, aber gerade dadurch aufregt, weil man das Leben in den eigenen Gedanken hinzufügt.

Die auch in diesem Bild auftretende Methode, durch extrem kleine Pünktelchen die Binnenstruktur durchsichtig zu machen, das, was man generalisierend Pointillismus nennt, war so durchschlagend, daß sich Théo van Rysselberghe, der später Jugendstilheros Henry von der Velde, Paul Signac und viele andere seit 1887 seiner Maltechnik anschlossen und den Pointillismus verbreiteten. Am 29. März 1891 starb Georges Seurat mit 31 Jahren an Diphterie. Er hatte sich im gesellschaftlichen Kampf der Kunstbewahrer durch die Pariser Salons und die Aufrührer durch die Gesellschaft der unabhängigen Künstler von alleine auf die Seite der letzteres geschlagen, denn auch seine Bilder wurden von der Akademie, die nur Akademiemalerei goutierte, abgelehnt. Infiziert wurde er für die Malerei durch die Impressionisten wie Monet, Pissarro, Degas, sein Werk gilt kunstgeschichtlich als Neo-Impressionismus, tatsächlich ist es aber in der Mischung aus naturwissenschaftlichen Studien zu Farbe und Licht eine völlig neue Sichtweise auf unsere Wirklichkeit.

Man betritt den durch Stellwände unterteilten Ausstellungsraum und hat sofort durch die sich wiederholende steingraue Eintrittsfarbe ein Gefühl von Elegance, das auch das spätere Rostrot vertieft. Ein einziges Bild empfängt einen und es zeigt schon auf den ersten Blick, was Seurat für immer bleiben wird: rätselhaft und fremd. „Kopf eines jungen Mädchen“ ist es, 1877-79 gemalt und wahrlich kein malerisches Meisterwerk mit dem verkrumpelten Ohr und der richtig häßlichen Mundpartie in klassizistischer Malweise, aber es zeigt den Zwanzigjährigen schon als den, der seine Figuren von hinten oder von der Seite darstellt und sie uns, dem Betrachter, quasi entzieht, eine Weltferne errichtet und ein Rätsel für immer. Das junge Mädchen hat den Blick gesenkt, spricht uns mit nichts an. Nichts mit dem Spiel des Blickkontaktes, nichts mit irgendwelcher Anbiederung an den Betrachter. Wir spielen einfach keine Rolle. Daran muß sich der Betrachter der Seuratschen Bilder gewöhnen und von daher steht dies Jugendwerk schon für seine Grundhaltung. Die Zeichnungen allerdings, aus den Jahren 1875 bis 1886 zeigen dann ganz deutlich seine maltechnische Entwicklung. Es kommt ihm zugute, daß er sehr körniges handgeschöpftes Papier verwendet und Crayon Conté, das war ein Modezeichenstift, den er wohl in Hart und Weich verwendete, so daß die Kohle mal sanft die Konturen wiedergibt, mal sich ein Oberkörper durch das Papier alleine in Schattierungen auflöst, mal deutlich konturiert wird. Das ist die technische Seite. Aber hier bei den Zeichnungen zeigen sich auch seine Motive: Junge Frauen mit dem typischen betonten Hinternaufbau – Tournure nannte dies die Gründerzeit -, was als Silhouette besonders wirkt, Schuhputzer bei der Arbeit – von hinten natürlich – , ein Zylinderträger, der durch seinen Zylinder gehalten wird, Jungen in Rückenansicht, Baumstämme, die die Landschaft gliedern. Fortsetzung im zweiten Teil.

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Ausstellung: bis 17. Januar 2010,

danach vom 4. Februar bis 9. Mai 2010 mit veränderter Hängung in der Kunsthall Schirn in Frankfurt am Main

Katalog: Georges Seurat. Figur im Raum, hrsg. von Christoph Becker und Julia Burckhardt Bild, mit Beiträgen von Wilhelm Genazino, Gottfried Boehm, Michelle Foa, Julia Burckhardt Bild, Hatje Cantz 2009. Da der Erfinder des Pointillismus und der als Solitär in einer Impressionisten- und Spät- und Neoimpressionistengesellschaft völlig einzigartige Georges Seurat in unseren Museen wenig zu sehen ist und Ausstellungen schon deshalb selten sind, weil die amerikanischen Museen ihn rechtzeitig aufgekauft hatten, lohnt sich der Katalog schon zum Nachschlagen seiner Werke. Hier kommt hinzu, daß ein Schriftsteller, ein deutscher Kunsthistoriker, eine junge amerikanische Kunstwissenschaftlerin und die Kuratorin unter spezifischen Fragestellungen Essays liefern, die über Seurat hinaus lesenswert sind. Was wir vermißten, ist eine richtige Biographie.

Internet: www.kunsthaus.ch

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