Dann blas mir halt einen – Ein großartiger Roman über die russische Seele

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Was für eine Offenbarung! In den Farben des matschbraunen Einwickelpapiers für Butter, Heringe etc. und dem Rot der Sterne, Banner, Plakate des ehemaligen Sowjetreiches gehalten, gleicht dieses griffige Büchlein tatsächlich einer zeitlosen Russen-Bibel. Obwohl die Roman-Handlung um 1980 angesiedelt ist, wirkt das Geschehen frisch und unvergänglich zugleich. In einem Zugabteil der Transsibirischen Eisenbahn sind ein Mann und eine junge Frau auf Wochen aneinander gefesselt. Draußen herrscht Winter. Drinnen dampft Tee, riechen Zwiebeln, Wodka und der Hunger nach Sex.

„Weißt du, mein Mädchen, was der Unterschied zwischen bumsen und heiraten ist? Bumsen ist leicht und macht Spaß, heiraten ist schwer und freudloser Krampf. Wie wär ´s also, wenn wir bumsen? ”¦ Wenn du nichts anderes willst, dann blas mir halt einen. Ich hab es verdammt satt, ständig mit krummem Hals zu wichsen.“

Die junge Frau antwortet mit Schweigen, mitunter wirft sie einen Schuh, um ihrer Empörung Ausdruck zu verleihen. Manchmal hält der Zug an Stationen, ein andermal auf offener Strecke. Hier wird ein angefahrener und dadurch dreibeiniger Elch von seinem Leiden erlöst, dort kocht ein hutzliges Mütterchen Sud und tischt Geschichten auf. Überhaupt werden die ganze Zeit Geschichten erzählt, von Liebe, Leid und Gewalt.
Rosa Liksom, 1958 in Nordfinnland geboren, hat selbst zu Sowjetzeiten in Moskau studiert. Sie kennt Russland, sie ist mindestens einmal mit besagter Eisenbahn über den Kontinent gefahren. An Abteil Nr. 6 hat sie nach eigener Auskunft fünf Jahre gearbeitet, dieser ihr dritter Roman brachte Preise und ist in ihrer Heimat ein Bestseller. Zurzeit wird er ins Russische übersetzt. Die Übertragung ins Deutsche unternahm der Schriftsteller Stefan Moster („Die Unmöglichkeit des vierhändigen Spiels“, 2009) und schuf ein dichtes, sprachgewaltiges Werk.

Die junge Frau denkt, schaut und hört zu. Der trinkende und ewig redende Mann in ihrem Abteil gewinnt sie lieb, übernimmt Verantwortung für sie und breitet sein Leben vor ihr aus, reinste russische Seele. Es geht nach Ulan Bator, der Schnee will nicht schmelzen und die junge Frau fürchtet stumm, die von ihr gesuchten Felszeichnungen niemals zu Gesicht zu bekommen.

Zeit für eine Geschichte: „Einmal war ich so wütend auf Katinka, dass ich mit dem Vorschlaghammer ihre Pulsator-Waschmaschine kaputt schlug. Sie packte ihre Sachen und haute mit dem Jungen zu ihrer Mutter nach Leningrad ab. Dort wäre sie wahrscheinlich geblieben, aber ich holte sie drei Monate später zurück. Ein Mann kommt ohne Frau nicht aus. Auch wenn er immer eine Fotze findet, so braucht ein Mann doch seine Suppenköchin.“
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Rosa Liksom, Abteil Nr. 6, Roman, Aus dem Finnischen von Stefan Moster, Roman, 212 S., DVA, März 2013, 14,99 €

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