Von Null auf Zehn in sechs Tagen – Abwechslungsreicher Törn durch die Falten Mitteldalmatiens

Adria-Segelerlebnis pur Adria. © Foto/BU: Dr. Peer Schmidt-Walther

Split, Kroatien (Weltexpress). 37 Fuß lang und schneeweiß – ein Prachtstück, unsere „Sarah“. Der Nachbar nennt sie sogar einen „Mercedes“ ihrer Klasse. So schwärmen können nur solche, die „auf Droge Segeln“ sind. Warum nicht mal einen Schnupperversuch unternehmen?

Das sagten sich drei Hobbysegler auch. Kaum angekommen, staunt der Skipper: „Ich glaub´, ich bin im Wald!“ Man fühlt sich wie umzingelt – von rund 400 Masten. Gemeint ist die moderne Marina Kastela nordwestlich von Kroatiens Hauptstadt Split. Am Rande eines „interessanten Segelreviers, das“, so die Info-Broschüre verlockend, „genau richtig ist für Anfänger.“ Und zu denen zählen wir uns.

Im Hafen steht man sozusagen geschützt mit dem Rücken zur Wand des kalkgrauen, rund tausend Meter hohen Dalmatinischen Faltengebirges, das fast bis an die Küste heranreicht. Durch die Phalanx der Alu-Masten schimmert glitzernd und friedlich die tiefblaue Adria. Ein sonniger Frühlingstag, der geradezu aufs Wasser hinauszieht.

Notenloser Unterricht

Anfang Mai herrscht noch ruhiger Vorsaisonbetrieb. „Eure ´Sarah` ist nach der Winterpause gerade erst wieder einsatzklar gemacht worden“, sagt der Marina-Mann – hier „Matrose“ genannt –, „damit seid ihr die ersten in diesem Jahr.“ Noch eine Überraschung: Am Tag unserer Übernahme hat sie ihren zweiten Geburtstag. „Das wird heute Abend gefeiert“, beschließt das dreiköpfige Meck-Pomm-Team spontan. Nur womit?

Die Entscheidung muss verschoben werden, denn unser „Matrose“ Tonci bittet zur Einweisung. Sechs Ohren – damit mehr Lernstoff haften bleibt – lauschen seinen knappen englischen Erklärungen. Bloß keine Scheu haben, immer wieder nachzufragen, wenn etwas nicht genau kapiert worden ist. Zum Glück gibt es für diesen Unterricht keine Zensuren. Aber auf See ist man allein mit Boot und Technik, die verstanden sein will. „Zur Not“, sagt Tonci, „könnt ihr mich jederzeit anrufen“.

Als das Gepäck in den Schapps der drei Kammern verstaut ist und die Kojen bezogen sind, ist Zeit zum Probesitzen in der Plicht. Und natürlich zur gemeinsamen Törnplanung beim Studium der Seekarten. Das Auslaufen wird erst einmal verschoben – „auf morgen irgendwann nach dem Frühstück“, verständigen wir uns.

Apropos Einkaufen. Soll im Supermarkt „da hinten“ bis 22 Uhr möglich sein, hört man von der schon lautstark und reichlich alkoholisiert feiernden russischen Crew des Nachbarbootes. „Die benehmen sich aber ziemlich unseglerisch“, meint Felix naserümpfend.

Abwartendes „Mirno more“

Eine Liste wird zusammengestellt, was drei völlig unterschiedliche Mäuler so für eine Woche brauchen. Dann aber nichts wie los! Auf der Pier stehen große Einkaufswagen. Wir schnappen uns einen und rasseln los.

Pro Kopf kommt „Stoff“ für 595 Kuna oder umgerechnet 85 Euro zusammen. Der Wagen wird proppenvoll. Damit zockelt man halb schiebend, halb ziehend rund einen halben Kilometer entlang der viel befahrenen Hauptverkehrsstraße. Unterwegs begegnet man weiteren Crews auf Shopping-Tour. Nach zwei Stunden ist alles stampf- und rollsicher an Bord verstaut. Wer hätte das gedacht?

Die elfeinhalb Meter lange Bénéteau „Oceanis 37“ bietet ausreichend Stauraum. „Hätte ich nicht gedacht“, staunt Felix und entkorkt eine Flasche roten Dalmatiner.

„Mirno more!“ haben wir schon von Danijela, der freundlichen, perfekt Deutsch sprechenden Charterboot-Dame, gelernt, heißt: „Gute Reise!“ Auf die stoßen wir an und vergessen nicht, einen Schluck Rasmus zu opfern, denn der Spruch bedeutet im ursprünglichen Wortsinn: „Stilles Wasser“. Wir sind überzeugt, damit unseren Teil zur Besänftigung der Meeresdame Adria getan zu haben. „Na, mal sehen“, gibt Ute eher abwartend zu bedenken, genießt aber nicht weniger fröhlich den Wein. Danach eine lange Bauernnacht mit einschläferndem Wellengluckern unterm Kiel.

In der Marina reiht sich Boot an Boot. © Foto/BU: Dr. Peer Schmidt-Walther

Ruhiger Ankerplatz

Frühstücken, aufklaren und Vorbereitung zum Auslaufen. Im Mittelmeerraum wird allgemein „römisch-katholisch“ festgemacht, also mit dem Heck zur Pier. Eine Mooringleine, die am Grund und am Steg befestigt ist, hält den Bug auf Position. „Du gehst nach vorn“, weist Ute den Mitsegler ein und löst die Leinen, „Felix besetzt das Ruder.“ Der startet die Maschine und legt den Gashebel auf ganz langsam voraus. Mit knirschenden und quietschenden Gummifendern schiebt sich „Sarah“ im Zeitlupentempo aus ihrer engen Parklücke und dreht auf ein Hart-Backbord-Manöver willig ins Marina-Becken.

„Wir fahren!“, entfährt es den Dreien fast gleichzeitig, ein guter Start für die „Sarah“-Crew, die sich noch zusammenraufen muss. Gemeinsam gesegelt ist man noch nicht.

„Auslaufen 14.00 Uhr mit Kurs 180 Grad bei südöstlichem Wind Bft. 5“, notiert Ute ins Logbuch, das sie fortan akribisch führt: „Wat mut, dat mut!“

„Segelsetzen!“, heißt es dann. Rollfock und -groß werden per Winsch und Hand über Hand „ausgewickelt“. „Sarah“ legt sich elegant auf die Seite und rauscht nach Süden. Voraus im Abendlicht die große Insel Brac, die wie der Buckel eines Riesenwals vor dem traumhaften Küstenpanorama ruht.

Keiner hat heute Nacht Lust, in eine laute Marina einzulaufen. Die Entscheidung fällt zugunsten eines sicheren, ruhigen Ankerplatzes. Also elektronische Seekarte im Steuerstand abgleichen mit den Fernglasblicken ab. „Da vorn“, zeigt Ute voraus, „das könnte unsere Bucht sein.“

Segelyacht Sarah in der Marina geparkt. © Foto/BU: Dr. Peer Schmidt-Walther

Nächtliches Orgeln

Nach acht Seemeilen durch die grandiose Fels-Wasser-Landschaft unter goldrotem Himmel heißt es „Segelbergen, Motor an!“ Das Echolot zeigt noch satte 17 Meter Wassertiefe. „Gut so, lass´ fallen Anker!“ Felix entscheidet sich für ausreichend Sicherheitsabstand zum Ufer, „damit das Boot schwojen kann und seinen Drehkreis behält“. 50 Meter Kette, alles, was wir haben, rauschen in das beinahe schon kitschig türkisfarbene Wasser. Mit rückwärts laufender Maschine zieht „Sarah“ die Kette straff. „Der hält“, sind wir uns einig, „aber bitte immer, auch nachts, den Anker beobachten, ob sich unsere Position verändert“, weist Ute in die Pflichten eines Ankerliegers ein. Weithin strahlt der mit seiner Rundumleuchte auf dem Masttopp. Die Crew ist allein. Eine Bucht ganz für sich zu haben, das kann keine Hafenpier überbieten. Und niemand kommt zum Kassieren.

Die Badeleiter wird ins Wasser geklappt und eine erste Schwimmrunde probiert. 16 Grad zeigt das Display am Ruder. „Ich geh´ erst ´rein, wenn eine Zwei vorn steht“, schüttelt sich Felix.

Bei Klönschnack und Dalmatiner zwischen „Jolle und `Gorch Fock`“ klingt der erste Abend unter blankem Sternenhimmel aus. Die Lichter des kleinen Insel-Städtchens Milna flackern herüber.

Bis es irgendwann nachts anfängt zu orgeln. „Sarahs“ Rigg pfeift nervös, ihr Rumpf schüttelt sich. Die Unruhe treibt alle fast gleichzeitig aus den warmen Kojen an Deck. Über die Pinienwipfel greift ein kalter Wind nach dem Boot, dreht es und lässt es wie ein Spielzeug wippen. „Hält der Anker?“, bewegt jeden die bange Frage. Bis zum Morgen findet niemand mehr richtig in den Schlaf.

Einlaufen in einen Inselhafen auf Brac. © Foto/BU: Dr. Peer Schmidt-Walther

Sonntäglicher Segeltag

Schreck am Morgen: „Sarah“ driftet, der Anker schleift haltlos über den Grund. Durchziehende Böen rauen die See wie eine Patchwork-Decke auf, rütteln an Boot und Kette. Das gegenüberliegende Ufer kommt bedrohlich näher. Zum Glück zeigt das Echolot genügend Wasser unterm Kiel. „Maschine starten und Anker auf, aber dalli!“, ruft Ute und stürzt nach vorn. Schleppend wickelt sich die scheinbar endlose Kette über die Winde in den Kasten. „Das war knapp!“, findet Felix.

Unter Vollzeug schießt „Sarah“ aus der halbmondförmigen Bucht. Vom Festland her nähert sich eine Kavalkade weißer Dreiecke. Es ist Sonntag, Segeltag. Die Crew folgt der Empfehlung von Danijela und will Kurs nehmen auf die 18 Seemeilen entfernte Insel Vis. Doch kaum steckt „Sarah“ bei Kap Zaglav ihre robuste Nase um die Ecke, bekommt sie auch schon eins drauf und fängt an zu stampfen. Schaumkämme sprenkeln die Wellenkämme. Genua und Groß müssen dichter geholt werden. Der Kurs ist auf die kleine Inselgruppe Pakleni Otoci abgesetzt, die westlich der großen Insel Hvar liegt. Felix überlässt jetzt dem „Eisernen Steuermann“ das Ruder. Die Automatik gönnt ihm eine Ruhepause.

Als „Sarah“ aus dem Insel-Lee herauskommt, ist sofort Reffen angesagt. Zu den schräg von vorn anrollenden Wellen muss man aus „Höhe Null“ langsam aufsehen, und der Wind frischt spürbar auf. „Über 22 Knoten Wind zeigt das Display“, ruft Felix euphorisch, „das ist ´ne Stärke sechs mit zwei Meter hohen Wellen“. Schäumendes Kielwasser signalisiert gutes Tempo.

Unter Vollzeug voll voraus. © Foto/BU: Dr. Peer Schmidt-Walther

Böser Jugo

Bald sind die kahlen Inselchen querab, und es muss weiter gerefft werden. Die See wirft sich schäumend gegen die Felsen. Achteraus ist kein Segel mehr zu sehen. „Die haben sich alle verkrümelt“, grinst Ute und freut sich auf einen „zünftigen“ Törn über die offene See. Vis ist die äußerste der dalmatinischen Inseln, die sich als dunstverhangener Schatten weit voraus, knapp über den Wellenkämmen, abzeichnet. „Sarah“ hat glattweg der Jugo erwischt, ein warmer, feuchter Schirokko-Starkwind aus Süd-Ost mit Gänsehaut-Gefühl. Der Radio-Wetterbericht hat ihn nicht angekündigt. Zu bedrohlichen Vier-Meter-Bergen türmt sich die See auf, die das Boot von der Seite angreifen und es Berg- und Tal fahren lassen. Die stahlblaue Adria steigt gleich mit ins Boot und kriecht durch die Kragen unserer Jacken. Ein Glück, dass in Bootsmitte Schlingerleisten angebracht sind, sonst gäbe es kein Halten mehr in der überspülten Plicht. Die Crew erlebt ein Orgel- und Pfeifkonzert, das sich gewaschen hat. Der Windmesser ist unbestechlich: 45 Knoten Wind, in Spitzen sogar knapp über fünfzig. Das sind neun bis zehn Stärken auf der Beaufortskala: schwerer Sturm! „Sarah“ mittendrin im brüllenden Hexenkessel mit chaotischem Wellenbild. Wie würde das ein befreundeter Rostocker Kapitän kommentieren: „Seeleute hassen nichts mehr als Kälte, Nässe und Wind!“ Und einer aus Stralsund: „Segeln ist die teuerste Art, unbequem Urlaub zu machen“. Ist doch nicht so weit hergeholt, oder? Doch es hilft alles nichts, auch keine Sprüche: Überstehen ist jetzt alles!

Plötzlich ein hässlicher Knall, der uns in die Glieder fährt. Der fingerdicke Niro-Schäkel am Schothorn des Großsegels hat seinen Geist aufgegeben und sich den brachialen Naturkräften gebeugt. Im wahrsten Sinne des Wortes, denn der Jugo hat die stählerne, normalerweise sehr stabile U-Form geradegebogen. „Das kriegen wir wieder hin!“, brüllt Ute zuversichtlich gegen den Sturm und turnt mutig mit Bändsel und Takelmesser barfuß aufs Salondach.

Schon 1866 benahm sich die See hier so, wie wir sie jetzt erleben. Wir torkeln über ein historisches Seegebiet: Am damaligen 20. Juli tobte hier nicht nur das Wetter, sondern auch die denkwürdige Schlacht zwischen Österreichs (siegreichen) und Italiens Seestreitkräften. Damals hieß die Insel mit ihren zahlreichen griechisch-römischen Fundstätten noch Lissa.

Zwischendurch mal ein kühlendes Bad. © Foto/BU: Dr. Peer Schmidt-Walther

Freundlicher Lebenskünstler

Als der Leuchtturm von Stoncica Backbord voraus in Sicht kommt, atmen die Drei auf. Doch erst im Innern der tief eingeschnittenen Bucht von Vis, zu österreichisch-ungarischer Zeit schwer von Kanonenbastionen bewacht, beruhigt sich die Lage. „Lasst uns erst mal ´ne Hafenrundfahrt machen“, schlägt Felix vor. Gebraucht wird jetzt ein ruhiger Liegeplatz zum Entspannen, Trocknen und Salzabspülen. An der kleinen Mooring-Mole des malerischen Dörfchens Kut mit seinen amphitheatrisch angelegten Kalkstein-Häusern macht „Sarah“ in Sichtweite der Kirche fest und 175 Kuna Liegegebühr sind im kleinen Tourismusbüro fällig.

Nur wenige Segler haben hier Zuflucht gesucht. Vielleicht weil es im kroatischen Handbuch heißt: „Bei anhaltendem Nordwind kann der Wasserstand im Hafen erheblich ansteigen“, warnt der Hafenführer und empfiehlt, dann schleunigst auszulaufen. Ob die Drei wieder Glück haben? Auf jeden Fall, so viel ist sicher, nicht mit den Nachbarn: Die Russen sind schon da, die „Freunde“ aus der Marina Kastela. Vorbei mit der erhofften Ruhe! Das erneute Saufgelage passt nicht zur beschaulichen Stille des Ortes.

Den hat sich auch Bartek, ein Alexis-Sorbas-Typ, ausgesucht. Der polnische Innenarchitekt und Lebenskünstler steht samt Hund vor seinem Haus am Hang mit Palme und Zitronenbäumchen im Garten. Nach der Führung durch sein eigenhändig ausgebautes Refugium schenkt er den drei Deutschen zwei historische Karten. Darauf die Seeschlacht von Lissa samt landseitigen Stellungen der Kanonen mit ihren Streichwinkeln und Reichweiten. Beeindruckend! Ebenso die Motorradwerkstatt von Luka. Freundlich lädt der Hobby-Schrauber zur Besichtigung seines mit BMW, DKW oder Zündapp aus Vor- und Nachkriegszeit gut bestückten Oldtimer-Museums. Dafür interessiert sich auch ein ZDF-Team, das eine Doku-Familiengeschichte dreht. „Die Abgeschiedenheit hier eignet sich besonders dazu“, erklärt der Kameramann, und unsere Darsteller leben auf der kleinen Leuchtturminsel am Buchteingang.“ Ihre Rückkehr dorthin per Boot sei wegen des Sturms zur Zeit allerdings nicht möglich.

Einlaufen in einen Inselhafen auf Brac. © Foto/BU: Dr. Peer Schmidt-Walther

Zermürbendes Wechselspiel

„Immer noch zwanzig Knoten Wind“, kratzt sich Felix den Kopf, „aber wir sollten trotzdem mal wieder los!“ Nach schneidigem Segelsetzen noch in der Bucht wird „Sarah“ wieder von launischen Böen gepackt und auf die Seite gedrückt. Reffen ist das Gebot der Stunde. Hoher Schwell lässt zudem das Boot tanzen. „Ohne Kreuzen kommen wir hier nicht ´raus“, meint Felix und ruft auch schon „Klar zur Wende – Ree!“, Leinen fliegen, Winschen quietschen – „ein perfektes Manöver!“, lobt der Skipper. Weniger zufrieden ist er mit der Wetterlage. Das ursprüngliche Ziel, die Insel Korcula, wird wegen der Windrichtung vierkant von vorn aufgegeben. Spontan entscheiden wird, auf Hvar abzufallen und das Kap Pelegrin anzusteuern. Durchrutschen zwischen zwei Mini-Eilanden der Pakleni Otoci-Gruppe?

Auch diese Zitterpartie wird schadlos überstanden und das Boot rundet bald in 30-Grad-Schräglage Pelegrin mit dem Ziel Starigrad oder zu Deutsch: Alte Stadt. Die dicht unter Land vorbeischäumende Jadrolinja-Fähre weist den Weg. Doch der Wind spielt nicht mit: Er beschert ein zermürbendes Wechselspiel aus wütenden 30-Knoten-Böen, die von überall her einfallen, und schlaffer Null-Knoten-Windstille. Sportliches Kreuzen samt Ein- und Ausreffen ist angesagt. Gesegelt wird eben durch Täler oder auch Falten des Dalmatinischen Gebirges mit Düseneffekt. „Normalerweise“, liest man im Törnführer, „kein bis leichter Wind im Seegebiet der 1246 kroatischen Inseln.“ Eigentlich ideale Voraussetzungen. Oder mischt der globale Klimawandel auch hier schon kräftig mit?

Idyllischer Hafen Povlja auf Brac. © Foto/BU: Dr. Peer Schmidt-Walther

Unbestechliches Logbuch

30 Seemeilen und sechseinhalb Stunden weiter. Der kleine, kuschelige Hafen mit historischer Hafenmeisterei hinter Palmen ist sicher und sehr alt: Schon 350 vor Christus gab es ihn. Regen zwingt in den Salon, aber zwischendurch ist Pause für einen Stadtrundgang, von Nachtigallengesang untermalt. Sandregen aus der Sahara hat unser Schiff inzwischen Gelb eingefärbt.

Im Sommer wird es, nach den Liegeplätzen und Kneipen zu urteilen, hier anders aussehen. Da kassiert der Hafenmeister nicht nur 315 Kuna pro Liegenacht, sondern – und das wohlgemerkt ohne Duschen und Toiletten! – das Doppelte. Kroatien ist längst kein seglerisches Billig-Paradies mehr. Eine Nacht zum Batterieladen und Wasserbunkern reicht. Diesmal nerven slowenische Nachbarn mit ihrem feucht-fröhlichen Gelage und schrill kichernden Frauen-Stimmen. Nach ein paar kroatischen Bieren findet man mit Ohropax doch noch in den Schlaf.

Am nächsten Morgen wieder das übliche Wetter-Roulette. Dazu Utes Logbuch: „Starkwind-Vorhersage 35 Knoten (8 Bft., stürmischer Wind), ab 14.00 Uhr nachlassend. 15.00 Uhr Auslaufen vor dem Wind. Wird immer stärker. Laufen nur unter gerefftem Vorsegel. Böen bis 50 Knoten (Vorhersage „nachlassend“?!). Sonne, aber hohe achterliche See. 20 Seemeilen gelaufen. Drehen in Bucht von Necujam, Insel Solta, ein. Suchen sicheren, geschützten Ankergrund, nichts hält. Letzte Rettung: kleine Betonpier einer Feriensiedlung. Sehr starker Schwell, wird zwischen den Inseln reflektiert, scheint von allen Seiten zu kommen; Fender scheuern lautstark. Entscheiden daher, mit Steven an Mooringtonne und achtern mit vier Leinen an der Pier festzumachen. Nachts Wetterleuchten, Donner und Regen“.

Für den vorletzten Tag haben wir uns einen 28-Seemeilen-Törn entlang der Nordost-Küste von Brac vorgenommen. „Sarah“ läuft bei Sonne und Regen munter vor dem Wind, manchmal kommt er auch halb, also von der Seite. Die Fahrt zwischen Festland und Insel ist ein Genuss, vor allem auch landschaftlich. An Backbord die steil aufragenden mitteldalmatinischen Berge, steuerbords kleine Würfelhäuschen-Ortschaften und die sattgrüne Insel. „Einfach herrlich!“, schwärmt Ute.

Kleines Leuchtfeuer auf einer Insel. © Foto/BU: Dr. Peer Schmidt-Walther

Schlafender Wind

Povlja ist unser Hafen: Liegeplatz mitten im idyllischen Ort längsseits der Pier. Einzige Nachbarn: ein australisches Ehepaar auf Weltreise, das ausgerechnet hier seine holländischen Freunde getroffen hat. Sie fuhren mit eigenem Boot voraus, sozusagen in ihre Stammkneipe, die ihnen samt Liegeplatz vor der Tür gehört. Hilfsbereit nehmen die Fernsegler die Leinen an. Dann gibt es viel zu erzählen über die Unterwegs-Erlebnisse. „Am schlimmsten war es im Roten Meer“, sagt Betty, „da hatten wir nicht etwa mit Piraten, sondern nur mit Starkwind von vorn zu kämpfen.“ Viel Wasser sei ins Boot gedrungen.

Diesmal herrscht Ruhe, kein Hafenmeister kommt zum Kassieren.

Die Altstadt lädt ein zum Bummeln. Kultur pur: Hoch auf dem Berg thront eine frühchristliche Basilika, in der Nähe römische Ruinen und ein mittelalterlicher Wehrturm. Der ehemalige jugoslawische Marineschlepper hat schon bessere Tage gesehen. Sehr lohnend eine Wanderung am Südufer der Bucht entlang, unter duftenden Pinien und durch blühende Macchie. Beim öffentlichen Badesteg mit Dusche kann man nicht widerstehen: hinein ins jetzt schon 18 Grad warme Adria-Nass. Vorbeituckernde Fischer nicken anerkennend, aber schütteln sich dann gleich fröstelnd.

Schweren Herzens laufen Die Stralsunder an ihrem letzten Tag aus. Die Sonne brennt, und der Wind schläft. Die Zeit läuft davon. Da hilft nichts: Motor an – was eigentlich vermieden werden sollte –, Segel bergen und ab nach Split zur Tankstelle. Schließlich muss man den Tank gefüllt übergeben. Am Freitagabend herrscht dort Segler-Stau, denn Sonnabendmorgen ist bei den meisten Vercharterern Übergabe. Ute hat eine Idee: „Ich fang´ schon mal mit dem Kochen an.“ Den glutroten Sonnenuntergang lässt sie sich aber nicht entgehen, vor allen Dingen nicht das Fotomotiv Felix. Der steht am Steven – und posiert mit ausgestreckten Armen in „Titanic“-Manier. Glücklich über die abwechslungs- und erlebnisreichen Törntage mit „Sarah“ – und natürlich seine „Matrosen“.

Nach dem Festmachen in der Marina Kastela kommen pünktlich Spaghetti mit Tomatensauce satt auf die Back: das Captain’s Dinner. „Na, dann Prost!“, klingen die Gläser, diesmal ohne über Bord gekippte Adria-Beruhigstropfen. Und wie dazu bestellt: ein donnerndes, knallbuntes Abschieds-Feuerwerk über Split.

Skipper in Titanic-Pose vor Split. © Foto/BU: Dr. Peer Schmidt-Walther

Infos:

Boot: Bénéteau „Oceanis 37“, 11,47 m Gesamtlänge, 3,91 m Breite, 1,90 m Tiefgang, Gewicht 6,4 t, Masthöhe 16,70 m, Großsegel 33,0 qm, Rollgenua 32 qm, Maschine 29 PS, Kraftstofftank 140 l, Frischwassertank 346 l, Fäkalientank 80 l, 3 Kabinen (6 Kojenplätze), 1 Salon, 1 Du/WC, Pantry mit Gasherd und Backofen, GPS, Autopilot, UKW-Seefunk, elektr. Seekarte, Logge, Echolot, 230-Volt-Steckdose, 12-Volt-Steckdose in der Navi, Einleinen-Reffsystem, elektr. Ankerwinsch, Traveller mit Leinenführung, Sprayhood, Bimini-Sonnendach, Cockpitdusche, Badeplattform

Voraussetzungen: Sportbootführerschein See, Funkbetriebszeugnis (SRC)

Revier: üppige Natur und historische Städte, unzählige malerische Buchten zum Verstecken, einsame Strände (die östliche Adria hat das sauberste Wasser im gesamten Mittelmeerraum), Karstlandschaft, Felsformationen, Riffe.

Nirgendwo im Mittelmeer gibt es mehr Häfen, Ankerbuchten und Marinas. Die Distanzen zwischen den Inseln sind relativ gering.

Mit allen Wetterlagen in kürzesten Zeitabständen muss gerechnet werden. Berge sorgen für Fallwinde, plötzliche Böen und zwischen zwei Bergen bzw. in pfortenartigen Tälern kann ein Düseneffekt entstehen. Unbedingt englischsprachigen Wetterbericht abhören! Auch für die Hafenwahl.

Typische Windsysteme: Maestral aus Nordwest, Jugo aus südöstlichen Richtungen und Bora aus Nordost an der Festlandküste.

In der Hochsaison (Anfang Juli bis Ende August) muss mit wesentlich höheren Liegebühren (auch für Bojenplätze) gerechnet werden.

Vor- und Nachsaison bieten weniger volle Häfen und Ankerplätze (aber mit starker Bora und Sturmtiefs).

Etmale zwischen 12 und 30 Seemeilen sollten eingeplant werden.

Fazit: insgesamt (wegen des Wetters) ein eher anspruchsvolles Revier, nichts für blutige Anfänger, obwohl unkompliziert (optisch) navigiert werden kann.

Charter: Wir waren mit einer Bénéteau „Oceanis 37“ des kroatischen Anbieters Sailcroatia (www.sailcroatia.net) unterwegs, der eine große Palette von neuen Charterbooten und schiffen anbietet. Vorabinfo und vertragliche Regelungen über Master-Yachting (www.Master-Yachting.de). Bareboot-Preise der „Oceanis 37“ zwischen 1450 € und 2610 € pro Woche, je nach Saison.

Anreise: über den Flughafen Split (wird von vielen Billig-Airlines günstig angeflogen). Von dort Taxi (280 Kuna) zur rund 5 km entfernten Marina Kastela oder öffentlicher Bus (10 Kuna).

Einkauf: Supermarkt in 500 m mit Marina-eigenen Einkaufswagen.

Literatur: Kroatien, Buchten – Ankerplätze – Häfen – Landgänge, DSV-Verlag, ISBN 978-3-88412-366-9;

Kroatien mit Slowenien, Häfen und Küsten von oben, Martin Muth, Delius Klasing Verlag, ISBN 978-3-7688-2603-7;

Der erfolgreiche Chartertörn, Planung, Praxis, Reviere, Ludwig Brackmann, Delius Klasing Verlag, ISBN 978-3-7688-3134-5

Vorheriger ArtikelDer Mercedes-Maybach stellt die S-Klasse in den Schatten
Nächster ArtikelAntideutsche Linke führt hinter die Fichte – Ekelhaft, aber wahr: Die Linke ist eine Partei der Umvolkung