Von Frosch-Prinzessin und Feuervogel – Ein malerisches Märchenbuch des Verlags Mescheryakov lockt „Russische Volksmärchen“ zu entdecken

Sieben der schönsten und berühmtesten Erzählungen, die in dieser Fassung in zahlreichen Märchensammlungen enthalten und in leichten Abwandlungen fast in ganz Osteuropa bekannt sind, versammelt die Neuerscheinung. Die künstlerische Gestaltung Iwan Bilbins mit zahlreichen ganzseitigen Farbbildern verleihen dem belletristischen Kleinod eine nostalgische Optik, die Erwachsene ebenso anspricht wie Kinder. Bilbin war ein Universalkünstler der Szenerie. Für russische und europäische Theater entwarf er Bühnenbilder, Dekorationen und Kostüme. Die Werke Lermontovs, Puschlkins und Tolstois, Historien, Sagen, Volks- und Kunstmärchen aus ganz Europa verwandelte seine zeichnerische Fantasie in zeitlose Gesamtkunstwerke. Bevor das erste „Russische Volksmärchen“ beginnt, versetzt der Einband und die von Landschaftsmotiven umrankten Buchseiten in ein magisches altes Russland. Stilisierten Zaubervögel, Harpyien und Sirenen hüten das Märchenreich.

Das bestechende Kinderbuch gleicht einem Zauberspiegel, aus dem Baba Yaga, „Die wunderschöne Wassilissa“ und Kaschtschej, der Unsterbliche, blicken. Der dämonische Krieger Kaschtschej ist eine der unheimlichsten und finstersten Gestalten der russischen Sage. Unsterblich wie er ist Bilbins Vision von ihm als nackter Greis, der auf seinem feuerspeienden Pferd galoppiert. Die Illustrationen sind im kollektiven Gedächtnis untrennbar mit der populären Vorstellung der auf ihnen gezeigten Figuren verschmolzen, wie John Tenniels Zeichnungen mit der Vorstellung von „Alice im Wunderland“ und die Illustrationen Sidney Pagets mit der von „Sherlock Holmes“. Die auf ihrem Mörser reitende Bab Yaga aus „Russische Volksmärchen“ ist die wohl bekannteste der Bilder, welche „Russische Volksmärchen“ zur Augenweide machen.

Sie ist weniger Hexe als ein Naturgeist, alt wie die Wälder , die Haut faltig wie Gebirge. Dank ihm und ihrer auf Hühnerbeinen stehenden Hütte ist sie an keinen Ort gebunden. Gleich einem Unwetter kann sie einem plötzlich aus dem Nichts begegnen. Anders als die Hexe europäischer Märchen ist die Baba Yaga eine neutrale Figur. Ähnlich des Teufels Großmutter in den Grimms Märchen kann sie hilfreich oder wohlwollend auftreten. Besonders stark ist ihr wachender Einfluss auf Mädchen, die sie prüft. Was ihren stechende Augen entgeht, sehen die wachenden Totenschädel um ihr Haus. Auf Holzstöcke gespießt spähen sie mit glühenden Augen. Ihre Funken braucht „Die wunderschöne Wassilissa“, um wieder Feuer daheim zu entfachen. Wassilissa ist eine der zahlreichen starken weiblichen Gestalten der russischen Märchenwelt. Oft retten und beschützen ihr Liebster und sie einander gegenseitig wie „Marja Morewna“ und die in einen Frosch verwandelte Prinzessin der Erzählung „Marewna Fröschlein“ oder „Aljonuschka und Iwanuschka“, ihr durch einen magischen Fluss in ein Kälbchen verzauberter Bruder.

Die Parallelen zu „Brüderchen und Schwesterchen“ sind offensichtlich. Doch scheint das „Russische Volksmärchen“ dem Grimmschen Kinder- und Hausmärchen am nächsten, nimmt es eine überraschende Wendung. Wie den süffisanten Contes eines Perrault, den Naturmythen der skandinavischen Märchenwelt oder den weltklugen Erzählungen Arabiens strahlt das „Russische Volksmärchen“ einen eigenen Zauber aus. Malerischer als in dem gleichnamigen Märchenbuch des Verlagshauses Mescheryakov lässt es sich wohl nur in Russland selbst entdecken.

Titel: Russische Volksmärchen/ Illustrationen: Iwan Bilbin/ Verlag: Verlagshaus Mescheryakov/ Jahr: 2010/ Seiten: 128 /Preis: 2, 95 €

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