In Deutschland ist die Memel meist aus der ersten Strophe des Deutschlandlieds oder als verlorener Strom Ostpreußens bekannt. Rada nimmt sie als verbindendes Band einer vergessenen Vielvölkerlandschaft im Osten Europas wahr und plädiert für eine Annäherung der europäischen Politik über die Außengrenzen der EU hinweg in Richtung Weißrussland und das zu Russland gehörende Kaliningrader Gebiet.
Deutsche und Litauer, Polen und Weißrussen, Russen und Juden haben an der Memel gelebt und weite Teile Europas bis in unsere Zeit geprägt. Rada hat Kaufleute, Fischer und Flößer aufgesucht, erzählt Geschichte und Geschichten. Er berichtet von Flucht, Vertreibung und Neubeginn, zitiert Gedichte und Romane, die entlang der Memel spielen. Kurzweilig wie kenntnisreich führt Rada durch das Universum des Flusses. Njemen, Neman, Njoman, Niemen: Die Namen, die der Strom auf seinem Lauf trägt, sind so zahlreich wie die Grenzen, die er im Lauf seiner Geschichte gebildet hat. Grenzen interessieren den taz-Redakteur Rada besonders. Litauen, das Kaliningrader Gebiet und die Memel – zwei Außengrenzen Europas in Form eines Flusses. Die europäische Symbolik des Flusses reicht mindestens zurück bis zum Tilsiter Frieden. Dazu Rada: „Lange bevor Deutschland in seinen Luisentaumel verfiel, wurde Preußens Königin im russischen Sowjetsk – dem ehemaligen Tilsit in Ostpreußen – geehrt. Der Bittgang der Luise in Tilsit war nicht nur konstitutiv für das deutsche Bild von der Königin der Herzen. Er ist auch nicht wegzudenken als Teil der preußisch-russischen Freundschaft zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Seit 2007 trägt die Memelbrücke, die vom ehemaligen Tilsit nach Litauen führt, wieder ihren alten Namen – Königin-Luise-Brücke.“
Fazit: ein spannendes, versöhnliches wie aufklärendes Lese- und Reisebuch, besonders wertvoll!
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Uwe Rada: Die Memel. Kulturgeschichte eines europäischen Stromes, 368 S., Siedler Verlag, 2010, 19,95 €