Von dekadenter, spiritueller Todessehnsucht im „Zauberberg“ zum echten „Tod in Venedig“ – Serie: „Thomas Mann. Die großen Hörspiele“ aus dem Hörverlag (Teil 2/2)

Aber im Eigentlichen geht es um die Liebe und den Tod. Die Liebe, die verkörpert Madame Chauchat, die wir dann als Clawdia kennenlernen, die von Karina Krawczyk gesprochen wird und sich später mit dem eindrucksvollen Mynheer Peeperkorn einläßt, den Traugott Buhre gewichtig ins Szene setzt. Konstantin Graudus ist dieser ahnungslose junge Hans, der dann in sieben Jahren von seinen Mentoren und Mentorinnen ahnungsvoll entwickelt wird und der eben auch eine Karikatur eines todessehnsüchtigen Menschen abgibt, wenn ihm dann am Schluß auf den Schlachtfeldern Schuberts „Lindenbaum“ auf den Lippen liegt. So ganz weiß man das nie, meint Thomas Mann das gerade ernst oder ironisiert er. Und genau das ist das Spannende.

„Der Tod in Venedig“ ist die späteste Arbeit dieser drei Hörspiele und auch kein Roman, sondern wurde von Thomas Mann als Novelle bezeichnet und ins Jahr 1911 gelegt, demselben, in dem er das dann 1912 erschienene Buch schrieb. Das Erstaunliche vorweg. Nach so vielen Hörspiel CDs hätte man ja eine gewisse Ermüdung erwarten können. Daß die nicht eintritt, führen wir auf das ausgezeichnete Konzept des Hörverlages zurück, nicht in einer einheitlichen Aufnahmetechnik und einer gemeinsamen Regie diese Werke von Thomas Mann als Hörspiele zu erstellen, sondern auf völlig unterschiedliche Produktionen zurückzugreifen, so daß tatsächlich jedes der Hörspiele eine eigene Aura gewinnt.

Das gilt auch für diese Produktion des Hessischen Rundfunks mit dem Norddeutschen Rundfunk aus dem Jahr 2009, also der jüngsten Aufnahme. Die ist technisch so gestaltet, daß der Stereoeffekt ausgereizt wird, und sich die unterschiedlichen Ebenen der Erzählung an verschiedenen Lautsprechern wiederfinden. Ulrich Noethen gibt den Erzähler und Rüdiger Vogler spricht direkt die Partie des Gustav von Aschenbach, des berühmten Schriftstellers, der gerade zu seinem 50. Geburtstag geadelt wurde. Viel ist geraunt worden über die Bezüge dieses alternden Schriftstellers in der Novelle – mein Gott, was ist heute schon ein gut Fünfzigjähriger? Im besten Mannesalter – zum Autor Thomas Mann selbst. Dabei geht es sowohl um die Anlage der Figur als Schriftsteller, als alternder und berühmter dazu, als auch im Besonderen um die homosexuellen Neigungen, die Thomas Mann hatte, sich zu ihnen aber nicht bekennen konnte/wollte, sie aber immer wieder literarisch zum Thema machte, wie überhaupt die gesellschaftlich nicht erlaubte Liebe ihn beim Erzählen Funken sprühen ließ, wie in „Wälsungenblut“, nach dem wir sofort Hörsehnsucht entwickeln, aber erst überprüfen müssen, ob es die als HörCD überhaupt gibt.

Nun ist es aber in heutigen Tagen noch schwieriger geworden, sich unbefangen die Liebesgefühle des älteren Mannes gegenüber seinem in Venedig im eigenen Hotel auf dem Lido zufällig entdeckten Schwarms, des knabenhaften, wunderschönen, langhaarigen Tadzio anzuhören. Die immer bekannten, aber in der Häufigkeit weit unterschätzten Pädophilievorkommen in unserer Zeit und unsere geschärfte Sensibilisierung gegenüber diesem Verbrechen an Kindern, macht auch vor dem Hören eines Klassikers nicht halt. Da muß man sich schon immer wieder sagen, daß es Aschenbach bei seinen Gefühlen beläßt und daß er nur sich selbst unglücklich macht, durch das Beharren, dem Objekt seiner Begierde nahe zu bleiben.

Es geht übel aus. Das spüren wir von den ersten Tönen an. Es ist eine Getragenheit im zeitlos vorgetragenen Raum der Novelle, die wir passend finden, die uns einstimmt darauf, daß wir es mit Gedanken und Gefühlen zu tun bekommen, weniger mit Handlungen und Ereignissen. Pathetisch wird das nie, was so ernst wie leicht dahingesagt wird, wenn der Erzähler, der eigentlich alles weiß, uns am Entstehen der Gefühle und deren Entwicklung des von Aschenbach teilhaben läßt. Virtuos ist es, wie viele zusätzliche Stimmen die Atmosphäre des Kurhotels auf dem Lido in uns erzeugen, in dem sie im Hintergrund parlieren oder wir so nebenbei etwas erhaschen, was nicht die Erzählung voranbringt, sondern unser Eintauchen in diese Welt des Gustav von Aschenbach.

Warum er sterben muß? Als Strafe für seine Neigungen? Wer weiß? Die offizielle Begründung des Autors ist es, daß sich dieser Gustav so in seinen Liebeswahn zu dem Knaben verrennt, daß er das innere Erleben vor das äußere Leben setzt und ihm die Choleragefahren – eine Epidemie ist im Anmarsch – in der Tragweite nicht bewußt werden, bis es zu spät ist.

Info:

Was uns bei den Aufnahmen so gefällt, ist, daß sie technisch klar gegliedert sind, die sogenannten ’Tracks“ – für ein deutsches Wort sollte es einen Preis geben – sichern, daß man sofort zurückkann, wenn das Telefon geklingelt hatte oder sonst eine Störung war und man die laufende Aufnahme nicht mehr mitbekam. Ach, wir geben es zu, manchmal haben wir auch noch einmal gehört, obwohl wir aufmerksam zugehört hatten, denn manche Feinheit der Produktionen erschließt sich erst beim zweiten Mal. Nicht auszudenken, was wir dann beim dritten oder gar vierten Male hören. Aber das schreiben wir dann ein andermal. Jetzt ist genug.

Thomas Mann, Die großen Hörspiele, Buddenbrooks/Zauberberg/Der Tod in Venedig, 19 CDs aus dem Hörverlag

Die Werke von Thomas Mann finden Sie im Fischer Verlag.

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