Das aus Zeichnungen, druckgrafischen Arbeiten und Fotografien zusammengestellte Werkensemble wird einerseits weitgehend chronologisch präsentiert – die Auswahl reicht von einem radierten Selbstbildnis des Malers Francisco de Goya (1746–1828) aus dem ausgehenden 18. Jahrhundert bis zu einem Porträt des US-amerikanischen Komponisten Philip Glass, das sein Freund Chuck Close (*1940) im Jahr 1995 radierte – reizt aber auch zu anderen Betrachtungsweisen.
Von der Chronologie her gilt die Aufmerksamkeit z.B. der Frage, wie das Aufkommen der Fotografie als neues Medium den Bedarf und die Erwartungen auch an das gezeichnete Bild beeinflusst und verändert. Daher finden sich in der Ausstellung auch frühe Fotografien, etwa ein Portrait der Mutter von Virginia Woolf, aufgenommen 1867 von Margaret Cameron oder ein Bildnis von George Sand von 1864, fotografiert von Nadar. Vor allem letzterem Bild sieht man noch die technische Beschränkung jener Zeit an, die die Dargestellten zum minutenlangen Stillsitzen zwang.
Jenseits der chronologischen Komponente erlaubt die Ausstellung aber interessante Vergleiche und Kontraste, auf die die Kuratorin der Ausstellung, Julia Schütt, gerne verweist. So fallen Bezüge zwischen einem großformatigen Holzschnitt von Roy Lichtenstein (1980) und Portraitholzschnitten des Expressionismus (Kirchner, Felixmüller u.a.) ins Auge. Eine andere Beziehung sieht die Kuratorin etwa zwischen Andy Warhols frech-farbiger Verarbeitung von Tischbeins „Goethe in der Campagna“ und einem Farblitho, in dem Toulouse-Lautrec die Tänzerin Marcelle Lender für die Zeitschrift PAN fertigte und das seinerzeit für einen heftigen Eklat sorgte.
Neben Bildnissen eines Gegenübers zeigt die Präsentation weiterhin Selbstporträts, etwa von Käthe Kollwitz (1867–1945), die seit den 1890er-Jahren ihr eigenes Antlitz in Holzschnitt, Radierung und Lithografie stets aufs Neue festhält und überprüft. Der für Frankfurt und die Städelsche Sammlung ebenso wichtige Zeitgenosse Max Beckmann ist durch das herausragende „Selbstbildnis mit steifem Hut“ (1921) vertreten, das in zwei Fassungen gezeigt wird. Ein Spiel der Selbstbefragung und Selbstverwandlung demonstriert der Schweizer Urs Lüthi (*1947) mit seiner für die Selbstbildnisse der 1970er-Jahre typischen Serie von Offsetdrucken nach Schwarz-Weiß-Fotografien.
Wer daher nach dem Besuch der Esprit-Montmartre-Schau, die derzeit in der Schirn zu sehen ist, noch Kapazitäten frei hat, sollte den Weg über den Main suchen und wird es nicht bereuen.