Klar, wir kennen diese Art der Unterhaltung mit und ohne Essen und nachdem wir erst einmal unsere Erfahrungen vom tollen Tigerpalast in Frankfurt am Main, über das Spiegelzelt in Leipzig, Krimi-Essen oder die Jamie Oliver Dinners und sonstiges in den Palazzo mitgebracht hatten und vergleichen wollten, haben wir das alles ganz schnell an der Garderobe wieder abgegeben, denn hier taugt kein Vergleich, sondern nur das Geschehen am Abend selbst ist wichtig und ob und wie es einem gefallen hat und ob man wiederkommt. Und wenn wir wiederkommen wollen, hat es neben dem viergängigen Menü vor allem mit dem leckeren Brot zu tun, das den ersten Hunger stillte, den anspruchsvollen Solistennummern der Akrobaten und der Gesamtstimmung, die zu spüren war, weil es den Leuten gefallen hat. Diese macht dann das Zelt noch wärmer, als es im eiskalten Frankfurt dieser Tage schon hochgeheizt wurde, was nicht verhindern kann, daß man gerade an den Außenplätzen, wo man die beste Übersicht hat und geradezu königlich thront und alles überblickt, von hinten doch unterkühlt wird. Decke mitnehmen, war die Überlegung für ein nächstes Mal. Aber damit war je schon die Grundsatzentscheidung gefallen, daß es ein nächstes Mal gibt. Was übrigens ein leichtes Unterfangen sein wird, denn Palazzo kommt im nächsten Jahr wieder nach Frankfurt und anderswohin.
„Vier Spitzenköche – ein Menü“ ist angesagt beim diesjährigen kulinarischen Ereignis im Zelt. Denn es muß schon etwas Neues auf den Tisch, sollen all die Besucher der letzten Jahre erneut angesprochen werden. Aber erst einmal ist der lange dünne Radfahrer als Erstklässler dran, der im Affenzahn um die Tische herumkurvt. „Erstklässler“ wurde er an unserem Tisch genannt, denn seine kurzen Hosen an sehr sehr langen und dünnen Beinen geben ihm in Verbindung mit immer wieder etwas törichten Fragen auf Englisch so einen Anstrich von Schulanfänger. „Mr. P.P. ist ein wahres Urgestein des Dinner-Theaters und ein begnadeter Komiker“, sagt der Veranstalter und fügt hinzu „sein Humor ist britisch geprägt“. So ist es auch und da es mit Humor immer so eine Sache ist, haben die einen laut gelacht und die anderen auf die nächste Nummer gewartet. Eines kann man allen Mitwirkenden attestieren: da war kein Schlendrian, nicht irgendeine Nummer abgezogen, sondern die Künstler machten den Eindruck, als ob das lange Einstudierte tatsächlich in diesem Moment erfunden würde.
Das galt vor allem für die Beziehungsdramen. Wie das? Na, ja, das ist ein bißchen hochgegriffen, aber neben Mr. P.P., der bürgerlich Tim Tyler heißt, dem Georgina Chakos nachstellen mußte, dabei immer in den höchsten Tönen durch den Pop- und Opernmusikhimmel singend, waren es das Scherzpaar John Fealey aus England als überdrehter Chefkoch und Christine Gruber aus Österreich als Hosteß, die in der gleichen Macho-Art: Mädel schwärmt Mann an, der fühlt sich belästigt und zeigt es, das verhinderte Liebesduett gaben. Wie sehr sich allerdings dieser Küchenchef vertan hatte, in der Ablehnung des Aschenputtels, zeigte diese am Schluß in ihrer Luftnummer. Buchstäblich. Christine Gruber erhob sich in die Lüfte, an zwei Seilen mit Ringen, durch die sie krabbelte, hindurchschoß, beide verband und nur noch an den Fußspitzen gehalten an ihnen hing, in einer körperlichen Eleganz, die in Verbindung mit Musik und Lichtspielen dem Abend auch noch eine poetische Note brachte. Als sie dann noch ihre zusammengesteckten und unter der Kappe verborgenen langen blonden Haare öffnete und diese kopfüber durch die Lüfte wehen ließ, war das Publikum hin und weg und hatte eine schwanenhafte Prinzessin erhalten, wo man zuvor das häßliche Englein vorgeführt erhielt. Daß sie diese so schöne Luftartistik als Tramp begann – die lässig wirkend sollende Zigarette dabei fanden wir weniger witzig und finden, daß ihre Artistik das gar nicht nötig hat -, sollte diesen Veränderungsprozeß stützen. Wir sagen es gleich, daß wir jede Veranstaltung besuchen täten, wo sie auftritt, obwohl sie hier harte Konkurrenz hatte, die uns auch gefiel.
Denn, was Sos & Victoria Petrosyan vorführen, muß einfach Zauberei sein, weil es der eigene Verstand nicht kapieren kann. Es geht um blitzschnelles Umkleiden. Da wirft der Hexenmeister ein Tuch oder einen Tuchsack nach und über die weiß und knapp gekleidete Dame, zieht es wieder weg und darunter kommt nämliche in einem roten Carmenkostüm mit allen Zutaten zum Vorschein, wird aber im nächsten Moment wieder vom Tuch umfangen und im rasanten Tempo im bunten Bikini sichtbar, dann im Herrenkostüm, das gibt es einfach nicht, wie diese Frau sich innerhalb von Sekunden verwandelt, dazwischen tanzt sie auch noch. Durch die Rasanz und durch die bunten Kleider fegt eine aufgeräumte Stimmung durchs Zelt. Was allerdings Sos dabei macht, denn wir als Hexenmeister bezeichneten, wissen wir auch nicht genau und erklären Victoria zur Oberhexe, im besten Sinne.
Im Nachhinein hat man immer das Gefühl, den einzelnen nicht gerecht geworden zu sein. Denn auch Sabrina Russo, die aus Italien kommt und mit Hula-Hoop-Reifen bezaubert, war eine tolle Nummer ganz am Anfang. Ihre Darbietung mutet nicht nur durch die vielfach kreiselnden Reifen an Kniekehlen, Hüfte, Hals und beiden Armen artistisch an, sondern ihre Tanzausbildung schlägt auch hier durch, weil alles so elegant und eben tänzerisch durchgeführt wird. Auch Maxim Popazov aus Rußland hat viel mehr verdient, als hier nur zu sagen, daß diese Stuhlakrobatik einem fast das Herz stehen läßt. Natürlich sorgt man sich auch um den Mann, wenn er Stuhl auf Stuhl übereinanderstellt und daran hochkrabbelt und oben noch Handstand macht. Erst ziemlich weit oben seilt er sich unauffällig an und wir können gleich entspannter dieser Luftnummer an der Zeltdecke zusehen.
Die „Skating Arates“ zeigen auch hohe Kunst – auf Rollschuhen, in unglaublichem Tempo und das alles auf einem kleinen Rund, direkt vor den ersten Tischen in der Zeltmitte. Nicht auszudenken, daß beim Herumwirbeln des Rollschuhfahrers, bei dem die Dame an dessen Armen hängt, von ihm huckepack genommen wird, auf die Schultern und unter den Arm, wobei sie dann immer noch Spagat macht, ihm aus den Händen gleitet und auf den Tischen landet. Das ist noch nie passiert, sei zur Vorsicht schon mal erzählt. Eine ganz tolle Nummer auch dies. Und zwischendurch zeigen Mariss Burgess und Les Déesses aus Australien Tanz und Musik, schöne Frauen, die mit ihren Reizen nicht geizen und Paris und das „Moulin Rouge“ wiedererstehen lassen, was das Publikum zu Beifallsstürmen hinriß und ein wunderschöner bunter Abschluß war.
Völlig gegen unsere Absicht, ist uns nun das Menü abhanden gekommen, das ja zwischen den Nummern serviert wird. Anders herum ist es richtig. Zwischen den Gängen kommen dann die Künstler, die bei uns Hauptspeise wurden! Denn Palazzo legt schon Wert darauf, daß Erlebnisgastronomie auch Spitzengastronomie bedeutet. Das Besondere in Frankfurt drückt sich im Zusammenspiel von gleich vier Spitzenköchen aus. Juan Amador, Hessens erster Drei-Sterne-Koch, legt mit einer Gazpacho Andaluz in Texturen mit eingelegter Sardine los. Das kleine Röhrchen, das manche zuerst erhielten und irrtümlich für einen Aperitif hielten, enthält die Suppe. Die Texturen erinnerten an moderne Kunst, die man nur ungern durch Aufessen zerstörte. Hans-Peter-Wodarz, der Pionier solcher Eßereignisse, ließ eine richtig wohlschmeckende Karotten-Tomatensuppe servieren, wo nur die Flußkrebse etwas matschig aufgetaut schmeckten. Beim Hauptgang, „Heide-Entenbrust mit Spitzkohlwickel“ des Michael Kammermeier, heute Chefkoch der Ente, machte uns vor allem der Krautwickel glücklich, weil man solche ehemals alte Hausmannskost in hochgezüchteten modernen Speisen selten erlebt. Und Harald Wohlfahrt, immer wieder Koch des Jahres, hat ein feines Dessert kreiert, das wir noch nicht mal aussprechen können, so deliziös war es.
Wir versprechen, beim nächsten Mal fangen wir mit dem Essen an und erzählen auch mehr über die Geschichte des Palazzo, den Sie derzeit auch als Wodarz&Lohse Palazzo in Berlin und als Harald Wohlfahrt Palazzo in München, Stuttgart und Mannheim erleben können.